Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Drei AKWs zu Silvester abgeschaltet: Atomkraft kurz vor Schluss
> In der Silvesternacht werden die Kraftwerke Grohnde, Gundremmingen und
> Brokdorf abgeschaltet. In einem Jahr sind die verbleibenden drei Anlagen
> dran.
Bild: Da dampfte es noch aus den Kühltürmen des niedersächsischen AKW Grohnd…
Das Ende der Atomenergie in Deutschland kommt – planmäßig. Während etwa
Frankreich und Großbritannien neue Kraftwerke bauen wollen, werden
hierzulande bald weitere drei Anlagen abgeschaltet. „Es bleibt dabei“, sagt
Almut Zyweck, Sprecherin der Betreiberfirma PreussenElektra. „Vor
Mitternacht am 31. Dezember wird die Kernspaltung im Kraftwerk Grohnde
gestoppt und die Anlage vom Stromnetz getrennt.“ Die Versorgung mit
Elektrizität in der Bundesrepublik gefährdet das nicht.
Neben [1][Grohnde an der Weser] südlich von Hannover ist dann auch Schluss
für die Atomkraftwerke Brokdorf bei Hamburg und Gundremmingen an der Donau
zwischen Augsburg und Ulm. Übrig bleiben nur noch die Anlagen Emsland, Isar
(Bayern) und Neckarwestheim (Baden-Württemberg), die jedoch 2022 ebenfalls
abgeschaltet werden sollen. Nach der Atomkatastrophe im japanischen
Fukushima 2011 beschloss die deutsche Politik das Ende aller hiesigen AKW.
Die Konzerne RWE, EnBW und Eon, zu dem PreussenElektra gehört, haben sich
damit arrangiert und setzen auf erneuerbare Energien.
Der 43-jährige Kai Diesing leitet den Betriebsrat des Kraftwerks Grohnde.
Mit 16 Jahren begann er seine Lehre im ebenfalls an der Weser gelegenen
Kernkraftwerk Würgassen als Schlosser, legte später die Prüfungen zum
Meister und zum Reaktorfahrer ab. Dann saß er „im Schichtbetrieb rund um
die Uhr“ in der Leitzentrale und steuerte die Anlage. „Gesund und munter“
sei er, sagt Diesing – ein Urlaubsflug setze ihn einer höheren
Strahlenbelastung aus als die Arbeit im Nuklearreaktor. Nur fünf Kilometer
entfernt wohnt er im eigenen Haus. Und er will weiter in Grohnde arbeiten,
möglichst bis zum Ende. „Ich liebe den Job“, so Diesing. „Wir sind stolz
auf die vergangenen 36 Jahre, in denen wir Strom produziert haben.“
## Der „nukleare Rückbau“ wird noch dauern
Was jetzt kommt, ist ein langer Prozess des Abbaus der Anlagen.
„Wahrscheinlich im Januar 2022 beginnen wir, den Reaktorkern zu entladen
und lagern die Brennelemente im Kühlbecken ein, wo sie bis zu fünf Jahre
bleiben“, sagt PreussenElektra-Sprecherin Zyweck. Nach und nach werden
sodann die nicht mehr benötigten technischen Systeme stillgelegt. Aber erst
in der zweiten Hälfte der 2030er Jahre dürfte der „nukleare Rückbau“ ganz
abgeschlossen sein. Was dann noch von den Gebäuden steht, ist nicht mehr
verstrahlt. Im RWE-Kraftwerk Gundremmingen wird es ähnlich ablaufen wie in
Grohnde.
Momentan arbeitet Grohnde noch mit der regulären Belegschaft – rund 300
PreussenElektra-Beschäftigte plus bis zu 200 Leute von externen Firmen.
Diese Zahl kann in den kommenden Jahren sogar steigen, denn für den Abbau
braucht man zwischendurch mehr Arbeitskräfte als im regulären Betrieb.
Perspektivisch allerdings wird die Personalstärke sinken. Für 2025 rechnet
Zyweck nur noch mit 230 Personen in der Stammbelegschaft.
Kündigungen soll es nicht geben, haben Unternehmen und Betriebsrat
vereinbart. Die Auszubildenden können etwa ihre Elektronikerlehre noch
beenden. Die notwendige Reduzierung der Arbeitsplätze will man
bewerkstelligen, indem Beschäftigte in Rente gehen, Vorruhestandsregelungen
in Anspruch nehmen oder auf andere Tätigkeiten im Unternehmen wechseln.
## Stromimport ist Europapolitik
Und was bedeutet der Abschied der drei Kraftwerke für die Stromversorgung
von Privathaushalten und Unternehmen? Grohnde, Brokdorf und Gundremmingen
decken 2021 etwa sechs Prozent des bundesdeutschen Elektrizitätsverbrauchs
ab. „Durch die Abschaltung entsteht jedoch keine Stromlücke“, sagt eine
Sprecherin des Verbands der Energiewirtschaft (BDEW). Ein wesentlicher
Grund: Deutschland stellt mehr Strom her, als hierzulande verbraucht wird,
exportiert unter dem Strich also Energie. Infolge der Abschaltung könnte
2022 dann etwas mehr Elektrizität importiert werden.
Das ist überhaupt kein Problem – dafür gibt es den europäischen Strommarkt
mit Leitungen in die Nachbarländer. Ökonomisch wäre mehr Import sogar gut,
denn Deutschland setzt andere Länder mit seiner notorischen Exportkraft und
dem hohen Außenhandelsüberschuss bei Waren und Dienstleistungen unter
Druck. Andererseits könnte mehr Stromimport aber auch bedeuten, dass
vielleicht mehr französischer Atomstrom in deutschen Kabeln fließt, dem
hiesigen Atomausstieg zum Trotz. Will man das verhindern, muss hierzulande
der Anteil der erneuerbaren Energien steigen, mehr Wind- und Solarenergie
angeschlossen werden.
## Zwischenlager werden lange bleiben
Wann die Atomkraftwerke Grohnde, Brokdorf und Gundremmingen – wie auch die
anderen – komplett verschwunden sein werden, steht in den Sternen. Denn auf
den Firmengeländen der Kraftwerke bleiben die Zwischenlager zurück, jeweils
eines für schwach- und mittelradioaktiven Abfall, ein anderes für die
abgebrannten Brennelemente. Für beide Sorten Müll fehlen augenblicklich
funktionierende Endlager. Für den hochradioaktiven Abfall wurde noch nicht
einmal ein Ort bestimmt. Bis zur Einlagerung kann es Jahrzehnte dauern.
31 Dec 2021
## LINKS
[1] /Drei-Atomkraftwerke-vom-Netz-genommen/!5825468
## AUTOREN
Hannes Koch
## TAGS
Atomausstieg
AKW
Zwischenlager
GNS
EU-Taxonomie
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
EU-Politik
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Atomkraft
Lesestück Recherche und Reportage
Lesestück Meinung und Analyse
Schwerpunkt Atomkraft
Anti-Atom-Bewegung
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Friedrich Merz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Abschaltung deutscher Atomkraftwerke: Rasanter Anstieg der Stromimporte?
Britische Analysten sehen Deutschland inzwischen als zweitgrößten
Nettoimporteur Europas. Doch nicht alle Experten teilen diese Einschätzung.
Gutachten zu geplantem Bau: Zwischenlager unnötig
Ein geplantes Atommüllzwischenlager in Würgassen ist nicht erforderlich,
sagt ein TÜV-Gutachten. Initiativen fordern ein Ende der Planungen.
EU-Einstufung von Atomkraft und Erdgas: Russisch-europäisches Roulette
Die EU-Kommission betreibt ein Glücksspiel. Berlin und Paris schieben sich
gegenseitig die Bälle zu. Paris setzt auf Kernenergie, Berlin auf Erdgas.
EU und Klimawende: Eine Hand greenwasht die andere
Die EU-Kommission erklärt Atomenergie und Erdgas für klimafreundlich.
Dahinter steckt ein Kompromiss zwischen Frankreich und Deutschland.
Drei Atomkraftwerke vom Netz genommen: Abgeschaltet
Atomkraftgegner:innen feiern in der Silvesternacht das endgüligte Aus
des AKW Grohnde. Es ist eins von dreien, die planmäßig abgestellt wurden.
Leben in der Evakuierungszone: Kinder der Kernkraft
Am Silvesterabend wird der letzte Block des AKW Gundremmingen abgeschaltet.
Erinnerungen an eine Jugend im Schatten der Kühltürme.
Renaissance der AKWs?: Atomkraft? Nein danke!
Viele glauben, dass uns nur Atomkraft vor dem Klimakollaps retten kann. Das
ist Unfug. Atommeiler sind unsicher und zu teuer.
Atomausstieg wird real: Abschaltfeier für Grohnde
Zum Jahreswechsel geht das umkämpfte AKW vom Netz. Umweltschützer wollen
das in der Silvesternacht vor Ort feiern. Die Belegschaft ist traurig.
Atomkraftgegner über Ampelkoalition: „Die Grünen müssen jetzt handeln“
Der Atomausstieg ist noch nicht abgesichert, auch die Urananreicherung in
Deutschland kann beendet werden, sagt Atomkraftgegner Eickhoff.
Atomkraft in Frankreich: Herbeigeredete Wiedergeburt
Länder wie Frankreich haben andere Gründe, an der Atomkraft festzuhalten,
als das Klima. Macron etwa geht es ums Militär.
Atomkraft in Deutschland: Ein Herz für Zombies
Die Atomkraft in Deutschland ist tot und begraben. Wer ihre
Wiederauferstehung fordert, der stört die Totenruhe. Das ist nicht
hinnehmbar. Eine Glosse.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.