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# taz.de -- Drei Atomkraftwerke vom Netz genommen: Abgeschaltet
> Atomkraftgegner:innen feiern in der Silvesternacht das endgüligte
> Aus des AKW Grohnde. Es ist eins von dreien, die planmäßig abgestellt
> wurden.
Bild: Aus! Atomkraftgegner:innen feiern Silvester in Grohnde
Grohnde taz | Als das neue Jahr beginnt, schieben Aktivist:innen den
symbolischen Abschalthebel auf „Off“. Andere stimmen ein Lied an: „Grohnde
ist aus“. Dann schallt aus einem Musikgerät [1][„Tage wie diese“ von den
Toten Hosen]. „Das hat mich vor der Kulisse der zwei nun abkühlenden
Kühltürme wirklich bewegt“, sagt Arno Schelle, der aus dem 50 Kilometer
entfernten Dörfchen Fredelsloh zur nächtlichen „Abschaltfeier“ nach Grohn…
gekommen ist. Insgesamt haben sich am späten Silvesterabend rund 120 Leute
am Kraftwerk versammelt, unter ihnen auch einige niedersächsische Landtags-
und Bundestagsabgeordnete der Grünen.
Das AKW an der Weser nahe Hameln lief seit 1987 und wurde zum Jahresende
wie die die Meiler [2][Brokdorf (Schleswig-Holstein)] und
[3][Gundremmimgen-C (Bayern]) im Zuge des Atomausstiegs dauerhaft vom Netz
genommen. Spätestens Ende 2022 gehen die auch drei verbliebenen
Atomkraftwerke Emsland, Neckarwestheim-2 (Baden-Württemberg) und Isar-2
(Bayern) außer Betrieb.
In Gundremmingen hatten sich bereits am Freitagnachmittag Demonstranten
versammelt, um auf die Stilllegung des letzten deutschen
Siedewasserreaktors anzustoßen. In Brokdorf verliehen Aktivist:innen in
der Neujahrsnacht mit einer Projektion auf die Reaktorkuppel ihrer Freude
über das Aus des AKW Ausdruck. Auf dem Kraftwerk war in großen Lettern
abwechselnd zu lesen: „Dat Ding is ut!“, „Gemeinsam gewonnen“, „Schlu…
Endlich!“
Bei der Kundgebung in Grohnde erinnern ältere Teilnehmer an die
Großdemonstration am 19. März 1977, bei der zahleiche Demonstranten und
Polizisten verletzt wurden und die als „Schlacht von Grohnde“ in die
Protestgeschichte einging. Redner:innen wiesen auf zahlreiche Störfälle
des AKW und die ungelösten Probleme bei der Entsorgung des Atommülls hin.
Seit der Inbetriebnahme des Kraftwerks habe es dort rekordverdächtige rund
280 meldepflichtige Ereignisse gegeben. 1985 fiel bei einer Revision auf,
dass das Hochdruck-Notkühlsystem nicht funktionierte, weil eine der vier
Pumpen Gas statt Wasser enthielt. Ein Leck im Primärkühlkreislauf, befand
der Umweltverband BUND, hätte damals „zur Kernschmelze und damit zum
Super-GAU führen können“.
## Atomkraftaufkleber am Kühlschrank
Auch der frühere niedersächsische Landwirtschaftsminister und jetzige
Grünen-Abgeordnete Christian Meyer ist bei der Abschaltfeier vor Ort. Sein
Vater war als Bauarbeiter an der Errichtung des AKW beteiligt, später auch
mit Strahlenpass bei Revisionsarbeiten in der Anlage eingesetzt. Von dort
brachte er dem Sohn einen Aufkleber mit, der lange am Kühlschrank in der
Küche klebte: „Atomkraftgegner überwintern – bei Dunkelheit mit kaltem
Hintern“.
Wahrscheinlich, so Meyer, „hat mich das zum Energiewendefreund und
Atomkraftgegner gemacht“. Später als Politiker konnte er den
Katastrophenschutzplan für Grohnde einsehen und „war erschrocken. Viele
Sammelstellen waren gar nicht mehr vorhanden, es gab keine Koordinierung
zwischen den Landkreisen, ob Holzminden Atomflüchtlinge aus Hameln
aufnehmen könnte, war sehr umstritten. Mein Gymnasium sollte die
Dekontaminationseinheit für den Fall der Atomkatastrophe werden.“
Drinnen im Kraftwerk ist niemandem zum Feiern zumute. „Für uns Kraftwerker
ist das ein trauriger Moment, denn die Anlage ist in einem sehr guten
Zustand“, sagte AKW-Leiter Michael Bongartz. „In den vergangenen 37 Jahren
haben wir in Grohnde mehr Strom erzeugt als jedes andere Kraftwerk auf der
Welt“. Seit der ersten Netzsynchronisation am 5. September 1984 sei der
Reaktor insgesamt „acht Mal Weltmeister“ in der Jahresstromerzeugung
gewesen und habe dabei „zwei Mal einen Weltrekord“ aufgestellt.
Mit dem Ende des Regelbetriebs beginnt in Grohnde die Phase des Rückbaus.
Der Betreiber PreussenElektra rechnet damit, dass allein der Abriss des
nuklearen Teils rund 15 Jahre dauern wird. Die Atomkraftgegner wollen den
Prozess kritisch begleiten.
1 Jan 2022
## LINKS
[1] https://youtu.be/j09hpp3AxIE
[2] /Leben-in-der-Evakuierungszone/!5822201
[3] /Leben-in-der-Evakuierungszone/!5822201
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
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Brokdorf
AKW Grohnde
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Atomausstieg
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