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# taz.de -- Atomausstieg wird real: Abschaltfeier für Grohnde
> Zum Jahreswechsel geht das umkämpfte AKW vom Netz. Umweltschützer wollen
> das in der Silvesternacht vor Ort feiern. Die Belegschaft ist traurig.
Bild: Hat sich gelohnt: Anti-Atomprotest vor dem Atomkraftwerk Grohnde
Göttingen taz | Gebäck soll es geben und vielleicht auch ein Gläschen Sekt,
wenn Atomkraftgegner:innen in der Silvesternacht das endgültige Aus
für das AKW Grohnde feiern. „Wir werden uns ab 23 Uhr vor dem Tor treffen
und runterzählen“, sagt Peter Dickel von der „Regionalkonferenz Grohnde
abschalten“, einem Zusammenschluss mehrerer Bürgerinitiativen. „Um Punkt
zwölf wollen wir auf die Stilllegung angestoßen.“
Die ganz große Party wird es allerdings schon wegen Corona nicht. Aus
Göttingen etwa wollen sich sechs Aktive auf den rund 100 Kilometer langen
Weg nach Grohnde machen, erzählt Ute Simmerling von der örtlichen
Anti-Atom-Initiative. „Wir haben auch schon einen Kleinbus organisiert,
suchen dafür aber noch einen Fahrer.“
Drinnen im Kraftwerk werde an Silvester niemandem zum Feiern zumute sein,
sagt AKW-Leiter Michael Bongartz: „Für uns Kraftwerker ist das ein
trauriger Moment, denn die Anlage ist in einem sehr guten Zustand. Wir
haben unseren Auftrag, für eine sichere und verlässliche Stromversorgung zu
sorgen, mit großer Leidenschaft erfüllt.“ Diese Aufgabe müssten nun andere
übernehmen.
„In den vergangenen fast 37 Jahren haben wir in Grohnde mehr Strom erzeugt
als jedes andere Kraftwerk auf der Welt“, fügt Bongartz hinzu. Seit der
ersten Netzsynchronisation am 5. September 1984 sei der Reaktor insgesamt
„acht Mal Weltmeister“ in der Jahresstromerzeugung gewesen und habe dabei
„zwei Mal einen Weltrekord“ aufgestellt.
## 280 meldepflichtige Ereignisse
Das Kraftwerk habe eine [1][durchschnittliche Verfügbarkeit von gut 91
Prozent aufgewiesen] – auch dies ein Spitzenwert im internationalen
Vergleich. Ein weiterer Rekord sei im Februar 2020 mit der Erzeugung der
400-milliardsten Kilowattstunde hinzugekommen.
Atomkraftgegner machen eine andere Bilanz auf. Seit der Inbetriebnahme des
Kraftwerks habe es dort etwa 280 meldepflichtige Ereignisse gegeben. 1985
fiel bei einer Revision auf, dass das Hochdruck-Notkühlsystem nicht
funktionierte, weil eine der vier Pumpen Gas statt Wasser enthielt.
Ein [2][Leck im Primärkühlkreislauf, befand der Umweltverband BUND, hätte
damals „zur Kernschmelze und damit zum Super-GAU führen können]“. Verwies…
wurde auch auf Gefahren durch Einwirkungen von außen, etwa durch einen
terroristischen Anschlag auf das AKW und das auf demselben Gelände
errichtete Zwischenlager.
Im Juni 2014 untersagte das niedersächsische Umweltministerium das
Hochfahren des Reaktors nach einer Revision und schaltete die
Staatsanwaltschaft ein. Es bestand der Verdacht, der Betreiber habe eine
Schweißnaht an einer Armatur schlampig reparieren lassen, um das AKW
schnellstmöglich wieder ans Netz zu bringen.
Bereits der Bau des AKW Grohnde war heftig umkämpft. Bei schweren
Auseinandersetzungen am Bauplatz wurden am 19. März 1977 Hunderte
Demonstranten und Dutzende Polizisten teils schwer verletzt. Im Juni 1977
errichteten Bürgerinitiativen auf dem geplanten Kühlturmgelände ein
Anti-Atom-Dorf, in dem sogar eine Hochzeit gefeiert wurde. Ende August
rückten 1.500 Polizisten an und zerstörten die über 20 Hütten, ein Windrad,
einen Backofen und den Stall für das Dorfschwein „Genscher“.
Auch in den Folgejahren gab es am Atomkraftwerk immer wieder Proteste. Am
[3][Ostermontag 2011 beteiligten sich bis zu 20.000 Menschen an einer
Umzingelung des Kraftwerks]. Ebenso viele machten am 9. März 2013
anlässlich des Fukushima-Jahrestages bei einer „Katastrophen-Simulation“
rund um das AKW mit.
2015 beantragten Anwohner beim Land Niedersachsen die vorzeitige
Abschaltung; über eine nachgereichte Klage wurde nicht mehr entschieden.
Seit 2017 forderten immer mehr Städte, Gemeinden und Kreise in der näheren
und weiteren Umgebung die Stilllegung des AKW. Fast 20 kommunale
Körperschaften in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen verabschiedeten
entsprechende Resolutionen.
Ulrich Räbiger hat oft gegen das Atomkraftwerk demonstriert, auch 1977 bei
der „Schlacht um Grohnde“ war er dabei. Heute ist Räbiger Fraktionschef der
Grünen im Hildesheimer Stadtrat. Silvester will er noch ein letztes Mal
nach Grohnde fahren – um einen Abschluss zu finden, wie er der Hildesheimer
Allgemeinen Zeitung sagte. Denn was auch immer in den Jahrzehnten bis heute
passiert sei: „Das Kapitel Grohnde endet jetzt für uns.“
## 17 Jahre Rückbau
Für die Kraftwerker endet es nicht: Sie bereiten sich bereits auf die Zeit
nach der Abschaltung vor. Mit dem Ende des Regelbetriebes beginnt die Phase
des Rückbaus. Der [4][Betreiber Preussen-Elektra rechnet damit, dass allein
der Abriss des nuklearen Teils rund 15 Jahre dauern wird]. Dazu kämen noch
rund zwei Jahre für den Abbruch der Gebäude.
Der Rückbau sei ein „hoch komplexes Unterfangen“, sagt Niedersachsens
Umweltminister Olaf Lies (SPD). Er sieht das Land in der Pflicht, den
flüssigen Ablauf aller Genehmigungsverfahren zu gewährleisten, rechtzeitig
für die entsprechenden Lagerkapazitäten zu sorgen und den Abriss so zu
einer Erfolgsgeschichte zu machen.
30 Dec 2021
## LINKS
[1] /Atomkraftwerke-und-Corona/!5676497
[2] /Gravierende-Sicherheitsmaengel/!5154494
[3] /Anti-Atom-Demos-im-Norden/!5122032
[4] https://www.preussenelektra.de/de/unsereaufgabe/Kraftwerkezurueckbauen/2020…
## AUTOREN
Reimar Paul
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Schwerpunkt Atomkraft
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Anti-AKW-Proteste
Erneuerbare Energien
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