# taz.de -- Zum Tod von Antiatom-Ikone Jochen Stay: Er organisierte das „Nein… | |
> Jochen Stay hat entscheidend zum Atomausstieg von Deutschland | |
> beigetragen. Jetzt ist er im Alter von 56 Jahren verstorben. | |
Bild: Die lautstarke und unnachgiebige Konstante der Anti-Atom-Bewegung: Jochen… | |
Berlin taz | Die letzten Telefonate mit Jochen Stay drehten sich um den | |
EU-Vorstoß, die Atomkraft [1][in der sogenannten Taxonomie] als | |
„nachhaltig“ und klimafreundlich einzustufen. Stay sprach mit gewohnt | |
scharfer Diktion und Härte; er war nicht überrascht. Irrsinn konnte ihn | |
nach 30 Jahren Anti-Atom-Engagement nicht mehr wirklich erstaunen. | |
Der politische Kopf und Sprecher der bundesweiten Anti-Atom-Initiative | |
„Ausgestrahlt“ hatte vor allen anderen vor dem grünen Mäntelchen gewarnt, | |
das man in Europa den Atommeilern überziehen will. Stay war misstrauisch, | |
das gehörte zum Kerngeschäft eines Menschen, der die Finten und Märchen der | |
Atomindustrie so gut kannte wie nur wenige im Land. Den Grünen warf er | |
Krokodilstränen vor. Der Spurensucher hatte nämlich recherchiert, dass im | |
Koalitionsvertrag der Ampel ein wichtiger Satz, mit dem man sich gegen den | |
EU-Handstreich positioniert hätte, wieder gestrichen worden war. | |
Sein Verriss der EU-Taxonomie gehörte zu seinen letzten Aktivitäten. | |
Immerhin erlebte er am Jahreswechsel noch das [2][Aus der Atomkraftwerke in | |
Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen]. | |
## Stay hatte ein Gefühl dafür, wie man Menschen mitnimmt | |
Für einen Menschen, der hauptamtlich und mit bestürzender Leidenschaft und | |
Radikalität sein halbes Leben lang die AKW-Ablehnungsfront organisiert | |
hatte, war das kein Tag wie jeder andere. Stay sprach – ungewöhnlich für | |
ihn – sogar von einer Art Freudenfest, dass das Ende des Jahres nach dem | |
Abschalten der letzten deutschen Meiler stattfinden soll. | |
Jochen Stay stammte aus Mannheim. In den 1980er Jahren beteiligte er sich | |
an den Pershing-Blockaden in Mutlangen. Über die Demonstrationen gegen die | |
geplante Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf stieß er zur | |
Anti-Atom-Bewegung. | |
Anfang der 90er Jahre engagierte er sich vor allem im Wendland, wo er | |
zeitweise auch im Vorstand der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg arbeitete | |
und als Sprecher der Initiative „X-tausendmal quer“ die Blockaden gegen die | |
Castortransporte organisierte. Stay, sagt das Gorleben-Urgestein Wolfgang | |
Ehmke, hatte ein Gespür dafür, wie man Menschen mitnehmen kann, für die | |
Blockaden eigentlich eine Grenzüberschreitung sind. | |
Stay selbst ging dafür ins Gefängnis. Wegen einer „bevorstehenden Begehung | |
oder Fortsetzung von Straftaten“ und „Aufruf zum Landfriedensbruch“ wurde | |
er [3][im Zuge der Castor-Blockaden] drei Tage eingesperrt. Man habe ihn in | |
der heißen Zeit schlicht aus dem Verkehr gezogen, sagt Ehmke, eine | |
rechtswidrige Aktion, wie das Oberlandesgericht Celle dann feststellte. | |
Das größte Verdienst Stays war womöglich, dass er die Großdemonstrationen | |
gegen Angela Merkels Laufzeitverlängerung 2010 und nach Fukushima 2011 | |
organisierte. Die [4][120 Kilometer lange Menschenkette von Brunsbüttel | |
nach Krümmel] war historisch. Es folgten weitere große Protestzüge und | |
Menschenketten, die Meinungsumfragen kippten und – Merkel [5][beschloss den | |
Ausstieg]. Stay hat dazu mehr als nur ein Scherflein beigetragen. | |
## Ein unbequemer, aber großer politischer Kopf | |
Und er hörte nicht auf. Während die alten Aktivisten eher entspannt und ein | |
wenig müde die neue Energiepolitik betrachteten und sich Wind und Sonne | |
zuwandten, blieb Stay auf dem Posten. Er war die große, durchaus lautstarke | |
und vor allem unnachgiebige Konstante, die die Konkursmasse der deutschen | |
Atomindustrie jederzeit im Blick behielt. | |
Atommüll, Endlagersuche, Zwischenlagerung, der Freifahrtschein für | |
niedrigradioaktiven Bauschutt von stillgelegten Meilern, die | |
Forschungsreaktoren, die Urananreicherung in Gronau, Wasserstoff aus | |
Atomkraft: Die Nervensäge Stay war immer da, war immer rigoros und immer | |
bestens informiert. | |
Man hätte ihm gern nach den Erfolgen der zähen Atomproteste irgendwann eine | |
andere Rolle gewünscht, mit der er seine Expertise und Leidenschaft | |
freudvoller hätte einbringen können. | |
Es kam nicht mehr dazu. Das Freudenfest am Jahresende wird nun ohne ihn | |
stattfinden müssen. Jochen Stay ist mit 56 Jahren einer Herzkrankheit | |
erlegen. Die Zivilgesellschaft verliert einen unbequemen, aber großen | |
politischen Kopf, einen Dickschädel und Leader. Was hätte er an Silvester | |
2022 gesagt? [6][Vielleicht das]: „Der Ausstieg ist ein Riesenerfolg für | |
uns, aber die Dinger stehen ja noch an unseren Grenzen und in vielen | |
Ländern der Welt.“ | |
18 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /EU-und-Klimawende/!5823224 | |
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[3] /Blockaden-gegen-den-Castortransport/!5106528 | |
[4] /Menschenkette-gegen-Atomkraft/!5143768 | |
[5] /Bundestag-beschliesst-Atomausstieg/!5117431 | |
[6] /Deutscher-Atomausstieg-nach-Fukushima/!5752547 | |
## AUTOREN | |
Manfred Kriener | |
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