# taz.de -- Atommüll in Schweden: Gefährliches Endlager | |
> Die schwedische Regierung stimmt einem Atommüll-Endlager zu. Viele | |
> Wissenschaftler aber warnen vor einer Korrosion der Kapseln nach 100 | |
> Jahren. | |
Bild: Modell des Atommüll-Endlagers in Forsmark, Schweden | |
Stockholm taz | Die schwedische Regierung hat das Konzept der AKW-Betreiber | |
zur Endlagerung der abgebrannten Brennelemente aus den schwedischen | |
Reaktoren genehmigt. Die im Eigentum der Betreibergesellschaften | |
Vattenfall, Fortum und Uniper stehende Atommüllgesellschaft „Svensk | |
Kärnbränslehantering“ (SKB) dürfe ein entsprechendes Endlager in der Nähe | |
des 140 km nördlich von Stockholm gelegenen AKW Forsmark errichten und | |
betreiben, teilte Umwelt- und Klimaministerin Annika Strandhäll am | |
Donnerstagnachmittag vor der Presse in Stockholm mit. Sie war „stolz“ | |
darüber, dass Schweden damit eines der weltweit ersten Länder mit | |
Atomkraftwerken sei, die [1][bei der „Lösung“ des Atommüllproblems] nun so | |
weit gekommen seien. | |
Das Konzept sieht vor, dass rund 12.000 Tonnen hochradioaktiven Atommülls | |
in 6.000 Kupferkapseln in einem System von 500 Tunneln, die 500 m tief in | |
den Fels gesprengt werden, deponiert werden sollen. Jede dieser Kapseln hat | |
eine Länge von 5 Metern und einen Durchmesser von einem Meter, wiegt 2 | |
Tonnen und soll in ein Bett aus Betonit eingelagert werden. Diese Kapseln | |
sollen laut SKB Erdbeben und künftige Eiszeiten unbeschädigt überstehen | |
können. Der Zeitraum, für den dieser Atommüll in einem solchen Endlager – | |
laut der gesetzlichen Vorgaben – „strahlensicher“ gelagert sein soll, | |
umschreibt die Strahlenschutzbehörde mit „Hunderttausenden Jahren“. | |
Während die Regierung diese Voraussetzungen mit dem Konzept nun als erfüllt | |
ansieht und Strandhäll betonte, dass man nach jahrzehntelangen | |
Forschungsarbeiten nun ausreichend Informationen habe, um so einen | |
Beschluss auch tatsächlich fassen zu können, warfen KritikerInnen dieses | |
Atommüllkonzepts der sozialdemokratischen Regierung vor, sie treffe mit | |
dieser Genehmigung eine unverantwortliche Entscheidung. Tatsächlich gibt | |
noch viele ungelöste Fragen und große grundsätzliche Zweifel an dieser | |
Endlagerungsmethode. | |
Innerhalb der Wissenschaft gibt es viel Unsicherheit. Das konstatierte auch | |
die Umweltorganisation Greenpeace, die am Donnerstag eine Protestaktion vor | |
dem Regierungssitz in Stockholm veranstaltete. Greenpeace sagt: Die | |
Atomlobby wolle das ungelöste Atommüllproblem so schnell wie möglich „aus | |
der Welt haben“, „um [2][weiterhin lebensgefährlichen Müll produzieren] zu | |
können“. Die schwedische Regierung lasse sich nun dafür einspannen ohne | |
Rücksicht auf die Folgen, „die ihre Entscheidung Tausende Jahre lang für | |
Menschen und Natur haben werde“. | |
## Wie dicht halten die Kapseln wirklich? | |
Unter Wissenschaftler:innen gibt es seit Jahren vor allem eine | |
kontroverse Debatte über die Frage der Korrosionsbeständigkeit der | |
Kupferkapseln. Die Reaktorbetreiber standen mit ihrem Atommüllkonzept unter | |
Zeitdruck, weil ein 1977 in Kraft getretenes Gesetz den Betrieb der | |
schwedischen Atomreaktoren von der Vorlage eines solchen Konzepts für die | |
sichere Handhabung der abgebrannten Brennelemente abhängig gemacht hatte. | |
Schon 1978 präsentierte SKB deshalb einen ersten und 1983 einen | |
ausgearbeiteten Entwurf für die Lagerung in Kupferkapseln. Aus | |
Kostengründen schrumpfte deren Wandstärke erst von 20 auf 10 cm, dann auf 6 | |
und nunmehr auf nur noch 5 cm. Und obwohl man in den vergangenen 40 Jahren | |
keine Versuche unter realistischen Bedingungen vorgenommen hat, behauptet | |
SKB, das Kupfer werde unter den geplanten Lagerverhältnissen so gut wie | |
nicht korrodieren. Man müsse allenfalls mit einer theoretischen Korrosion | |
von 0,5 nm (Nanometer) pro Jahr rechnen. | |
Doch selbst bei einzelnen SKB-Laborversuchen waren | |
Korrosionsgeschwindigkeiten zwischen 1000 und 10.000 nm pro Jahr gemessen | |
worden. Es gab Ausreißer von bis zu 15 Millionen nm und von der | |
Atomwirtschaft unabhängige Korrosionsforscher kamen auf noch wesentlich | |
höhere Werte. Während SKB behauptet, die Kapseln würden eine Million Jahre | |
halten, kamen ForscherInnen der Technischen Hochschule in Stockholm zum | |
Ergebnis, diese könnten schon nach 100 Jahren kollabieren. Eine Korrosion | |
von 10 Prozent würde die Stabilität der Kupferkapseln so schwächen, dass | |
schon nach mehreren Hundert Jahren die Verstrahlung des Grundwassers und | |
der restlichen Umwelt drohe. | |
## Verantwortungslose Entscheidung | |
Die Genehmigung ihres Endlagerkonzepts hatte SKB bereits 2011 beantragt. | |
2018 gab das zuständige Umweltgericht den Kritiker:innen recht: Es gebe | |
„bedeutende Unsicherheiten“, inwieweit die vorgesehene Technik den | |
Strahlenmüll auf längere Sicht sicher einschließen könne. Die gesetzliche | |
Forderung nach einer „sicheren Endlagermethode“ sei damit nicht erfüllt. | |
Die endgültige Entscheidung landete damit auf dem Tisch der Regierung. Die | |
Grünen blockierten bis zu ihrem Ausscheiden aus der rot-grünen Koalition im | |
November 2021 eine Genehmigung. Ohne diesen „Bremsklotz“ hatte es die | |
sozialdemokratische Regierung nun plötzlich sehr eilig. Man will das Thema | |
vor den Parlamentswahlen im September vom Tisch zu haben. Per Bolund, | |
ehemaliger grüner Umweltminister warf der Regierung deshalb | |
„verantwortungsloses Handeln“ vor. Angesichts der jetzigen Faktenlage hätte | |
sie „Nein“ sagen müssen: „Es reicht nicht, wenn wir eine Sicherheit nur … | |
50 oder 100 Jahre haben.“ Von einer „Schande“ spricht auch [3][die linke | |
Tageszeitung „ETC“]: Bei einem Beschluss, bei dem es um die Sicherheit von | |
Menschen in Tausenden von Jahren gehe, reiche die Perspektive der Regierung | |
nur bis zum nächsten Wahltermin. | |
Nach der grundsätzlichen Genehmigung seitens der Regierung wird mit einem | |
Beginn der Arbeiten am unterirdischen Lager Mitte des Jahrzehnts gerechnet. | |
In den 2030er Jahren will SKB mit der Einlagerung der ersten abgebrannten | |
Brennelemente beginnen. Und sollte es bis dahin neue Forschungsergebnisse | |
oder eine andere und bessere Methode geben, wurde Ministerin Strandhäll in | |
der Pressekonferenz gefragt. Dann könne die Regierung darauf natürlich | |
immer noch reagieren, versprach die Ministerin. | |
28 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Atommuell-Endlager-im-Schacht-Konrad/!5791296 | |
[2] /Billigentsorgung-von-Atommuell/!5638653 | |
[3] /Zeitungskrise-in-Schweden/!5650498 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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