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# taz.de -- Menschenkette gegen Atomkraft: Hochgesteckte Ziele weit übertroffen
> Erfolg für die Bewegung: Über 100.000 Menschen bilden auf 120 Kilometern
> eine weitgehend geschlossene Kette. In Bilbis und Ahaus gehen über
> weitere 20.000 DemonstrantInnen auf die Straße.
Bild: Kette geschlossen: Samstagnachmittag am Akw Krümmel.
HAMBURG taz | Im Vorfeld hatten einige den Veranstaltern Größenwahn
unterstellt: Eine 120 Kilometer lange Menschenkette durch dünn besiedeltes
Gebiet in Norddeutschland wollten sie auf die Beine stellen – und zur
gleichen Zeit noch Demonstrationen im hessischen Biblis und im
nordrhein-westfälischen Ahaus. Auch wenn die Bundesregierung gerade alles
tut, um die Menschen gegen Atomkraft auf die Straße zu bringen, schien das
vielen ein zu hoch gestecktes Ziel.
Und die Ungewissheit über Erfolg oder Misserfolg hielt lange an.
Schließlich hatte bis zuletzt niemand der TeilnehmerInnen einen genauen
Überblick über die gesamte Strecke. So war die Stimmung zunächst sehr
gemischt: Dort wo sich die Kette um 14.30 Uhr tatsächlich schloss,
herrschte Optimismus; dort wo es Lücken gab, waren die Menschen eher
enttäuscht. Ein allgemeines Aufatmen gab es erst, als die Veranstalter um
15.00 per SMS die Zahl vermeldeteten, die sie zuvor aus den Angaben von 124
Streckenposten ermittelt hatten: Aus 120.000 Menschen soll die Kette
demnach bestanden haben.
Die Zweifel, die an den weniger dicht besetzten Streckenabschnitten unter
den TeilnehmerInnen zunächst noch bestehen, verziehen sich spätestens in
dem Moment, als die Polizei diese Größenordnung bestätigt und je nach
Meldung von 120.000, über 100.000 oder rund 93.000 (33.000 in Hamburg und
60.000 in Schleswig-Holstein) spricht. Denn während die Kette in den
abgelegeneren Gegenden oft nur mithilfe von Bändern und Transparenten
geschlossen werden konnte, standen die Menschen in der Hamburger Innenstadt
teilweise eng gedrängt in Viererreihen. Überall blieb es friedlich; die
Polizei beschränkte sich darauf, den Verkehr zu regeln.
Bei den sieben Abschlusskundgebungen entlang der Strecke war die Stimmung
darum gut – bei herrlichem Sonnenschein und karibischen Rhythmen kam echtes
Festival-Feeling auf, prominente Musiker wie Jan Delay traten auf. Und die
RednerInnen beschworen den Erfolg – ebenso wie die Veranstalter. „Die Kette
zeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung aus der gefährlichen Atomenergie
aussteigen will“, erklärte der Trägerkreis der Menschenkette. „Der heutige
Tag wird eine bundesweite Kettenreaktion auslösen, sollte die
Bundesregierung in der Atompolitik nicht einlenken.“
Die Oppositionsparteien hoffen, dass es dazu nicht kommen wird. Sie warben
am Samstag massiv für einen Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen. Denn
wenn Union und FDP dort im Mai verlieren, hätte Schwarz-Gelb im Bundesrat
keine Mehrheit mehr – doch die wäre für die Verlängerung der Laufzeiten
notwendig. „Über die Mehrheit im Bundesrat haben wir eine Chance, mehr
Atommüll, mehr Unsicherheit, mehr Atomenergie zu verhindern“, sagte der
Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir in Hamburg.
SPD-Chef Sigmar Gabriel, der sich in Elmshorn in die Kette einreihte,
bezeichnete die geplante Laufzeitverlängerung als „arbeitsmarkt- und
energiepolitischen Wahnsinn“ und versprach: „SPD und Grüne stehen weiterhin
zu dem von ihnen gemeinsam beschlossenen Ausstiegsprogramm.“ Der
designierte Linken-Chef Klaus Ernst kritisierte in Brokdorf hingegen den
rot-grünen Atomkonsens als „Zeitbombe“. Weil der Konsens nicht die
Laufzeiten begrenze, sondern Stommengen definiere, „dürfen gerade die
Reaktoren, die wegen vieler Pannen oft stillstehen, länger am Netz
bleiben“, so Ernst.
Nicht nur bei der Menschenkette in Norddeutschland wurde die Erwartungen
übertroffen. Vor dem nordrhein-westfälischen Zwischenlager Ahaus waren
weitere 6000 (Polizei) bis 8000 (Veranstalter) Menschen auf den Beinen. Und
auch in Biblis gab es mit 20.000 DemonstrantInnen laut Veranstaltern die
größte Demonstration seit über 20 Jahren; die Polizei sprach hier von
10.000 Teilnehmern. Die Bilanz von Biblis-Mitorganisator Dieter Kaufmann:
„Die heutigen Proteste zeigen eindeutig, dass die Anti-Atom-Bewegung
erfolgreich den Sprung über drei Generationen hinweg geschafft und dabei
immer neue Kommunikations- und Aktionsformen entwickelt hat!“
24 Apr 2010
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
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