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# taz.de -- Anti-Atom-Bewegung: "Ist Handanfassen nicht total 80er?"
> Kirchen, Wendländer, Gewerkschaften, Unternehmer: Die Bewegung ist
> vielfältig. Differenzen gibt es über den Grad der Professionalisierung
> und die Rolle der Parteien.
Bild: Der Dreh zum campact-Mobilisierungsvideo.
Das Gemeindehaus der Auferstehungskirchengemeinde Hamburg-Lurup liegt
direkt an der Straße, durch die heute die 120-Kilometer lange Menschenkette
verläuft. „Wir sind für grünen Strom“, sagt Pastorin Ada Woldag, die sich
mit ihrer Gemeinde an der Kette beteiligen will. Damit sich auch Senioren
in die Kette einreihen können, stellen die Kirchenmitarbeiter Stühle an die
Strecke, da „viele der älteren Menschen nicht eine halbe Stunde lang stehen
können“.
Mit bei der Kette dabei sind Gewerkschaften, Parteien, attac, deren
Jugendorganisationen – und auch die spirituell-feministischen
„Mondschwestern“ aus Hamburg. Und natürlich die Aktivisten und Bauern aus
dem Wendland. Organisiert wurde die Kette von einem Bündnis, Sprecher des
Trägerkreises sind Jochen Stay von ausgestrahlt und Thorben Becker vom
BUND.
„Ist Handanfassen nicht total 80er?“, hatte man sich bei der Konzeption der
Menschenkette gefragt, so Jochen Stay, „da waren wir selbst unsicher“. Doch
bei den von Campact und ausgestrahlt organisierten Probe-Menschenketten, an
denen insgesamt 8000 Menschen in 53 Städten teilnahmen „fanden die Leute
das gut“. Die Älteren fühlten sich da „an früher“ erinnert.
Nicht alle sind begeistert. Die Vollzeitaktivistin Hanna Poddig von
contratom fährt beim „Treck nach Krümmel“ mit. „Wir sind keine Fans der
Menschenkette,“ sagt Poddig. Die in Ahaus und Biblis parallel
stattfindenden Umzingelungen findet sie besser und stört sich auch am
„Bewegungsunternehmertum“, das in den letzten Jahren von ausgestrahlt und
Campact etabliert worden sei. „Wir hingegen wollen die Leute animieren,
mehr zu machen.“ Ein „konsumierbarer halber Tag“ reicht Poddig nicht.
Christoph Bautz von Campact widerspricht: „Da waren Leute erst bei unseren
Flashmobs und haben danach angefangen, sich in der lokalen Anti-Atom-Gruppe
zu engagieren.“ Campact gehe es darum, auch Menschen, die im Berufsleben
stünden, für politisches Engagement zu begeistern.
„In diesem Jahr liegt noch viel an“, sagt auch Hans-Werner Zachow von der
Bäuerlichen Notgemeinschaft. Deswegen war er nicht beim Treck dabei, die
Kräfte müssen eingeteilt werden. Im Herbst der Castor-Transport, bei dem
die Bäuerliche Notgemeinschaft traditionell mit ausgeklügelten und mutigen
Aktionen zivilen Ungehorsams blockiert. Und für den Sommer planen die
Bauern „eine intensive Protestaktion im Wendland“, dafür soll auch bei der
Anti-Atom-Kette geworben werden. Im Juli oder August, so Zachow, will
Schwarz-Gelb den Rahmenbetriebsplan für Gorleben beschließen – nach altem
Bergrecht.
Dagegen wollen die Bauern klagen – und politischen Druck machen. Damit
Schwarz-Gelb Gorleben nicht „zum Endlager macht“, wie viele Atomgegner
befürchten, muss es der Bewegung gelingen, die Bundesregierung in der
Atomfrage zu spalten – ein schwieriges Unterfangen. Dennoch oder gerade
deswegen laden die Organisatoren „atomkritische Anhänger von CDU und FDP“
zur Menschenkette ein. Um SPD und Grüne gab es hingegen im Vorfeld Streit:
Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel wollten eigentlich beide am selben Ort
sprechen – doch der Trägerkreis sah dies nicht als sinnvoll an.
Gesine Agena, Vorsitzende der Grünen Jugend, findet die Zerstrittenheit der
Bewegung und den ständig wieder aufbrandenden „Parteienstreit“ nicht
schlimm. „Langfristig kämpfen wir alle für das Gleiche,“ sagt Agena. Die
Bewegung sei sehr heterogen und genau das sei ihre Stärke. „Die einen
machen Aktionen vor Ort und die anderen organisieren eben eine
Menschenkette. Das ist es, was die Anti-Atom-Bewegung so erfolgreich
macht.“
23 Apr 2010
## AUTOREN
J. Henke
J. Seeliger
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