# taz.de -- Deutscher Atomausstieg nach Fukushima: Sekt und Selters | |
> Auch die starke Anti-AKW-Bewegung sorgte für den Atomausstieg in | |
> Deutschland. Doch die Aktivist:innen sehen heute noch Gefahren. | |
Bild: Einen Tag nach Fukushima: große Menschenkette zwischen Stuttgart und dem… | |
Berlin taz | Als am 11. März 2011 drei Atomanlagen im japanischen Fukushima | |
havarierten, war die deutsche Anti-Atom-Bewegung schon auf den Beinen. Für | |
den Tag darauf war nämlich eine große Menschenkette in Stuttgart geplant, | |
um der baden-württembergischen Landesregierung Druck zu machen. Dann | |
sickerten die ersten Nachrichten aus Japan durch – und die Aktion wurde | |
riesig. Rund 60.000 Menschen nahmen teil. | |
„Persönlich und emotional war das ganz schwierig, dass da jetzt so | |
Schreckliches passiert, wovor wir immer gewarnt haben“, erinnert sich | |
Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-NGO Ausgestrahlt. Viel Zeit zum | |
Verarbeiten gab es aber nicht. „Wir wussten rational, dass das auch eine | |
politische Chance ist, dass man jetzt mobilisieren muss.“ | |
Vier Monate später beschloss die Bundesregierung, die Laufzeitverlängerung, | |
die sie den Energiekonzernen erst im Vorjahr zugestanden hatte, weitgehend | |
rückgängig zu machen. Der Atomausstieg bis zum Jahr 2022 war besiegelt. | |
„Manche Leute sagen: Das war doch nur wegen Fukushima“, meint Stay. „Aber | |
ohne die starke Bewegung hätte es das so nicht gegeben.“ | |
Das sieht auch die Münchner Politologin Miranda Schreurs so. „Es gab diese | |
entscheidende Verknüpfung“, meint sie. „Man hatte eine Anti-Atom-Bewegung, | |
die noch empört war wegen der Laufzeitverlängerung aus dem Jahr davor – und | |
dann kam Fukushima“, so Schreurs. | |
## Bewegung sieht nur Teilerfolg | |
Hunderttausende waren nach dem GAU auf den Straßen oder bei Besetzungen. | |
Die Strukturen waren da, im Prinzip spätestens seit der Kernschmelze in | |
Tschernobyl 1986. Am Montag nach dem Unglück in Japan gab es Mahnwachen an | |
mehr als 700 Orten in Deutschland. | |
„Es war schnell sehr klar, dass die Bevölkerung unzufrieden war mit der | |
Atompolitik“, sagte Schreurs. Die öffentliche Meinung habe zu dieser Zeit | |
eine große Rolle gespielt. Der Grund: Landtagswahlen in Baden-Württemberg, | |
Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt Ende März 2011. | |
Ohne Auseinandersetzungen verlief die Bewegungsarbeit nicht. Einige größere | |
NGOs planten damals eine [1][Riesendemo nach der anderen] – | |
konfliktträchtig in einer Bewegung, die sonst von vielen kleinen Gruppen | |
lebt. „Fünf Männer gegen Merkel“, [2][stand] etwa auch in der taz. Jochen | |
Stay war einer der besagten fünf. „Da haben wir zu Recht Ärger bekommen“, | |
sagt er heute. Die Bewegung insgesamt war schließlich weder fünfköpfig noch | |
vor allem männlich. | |
Von Erfolg gekrönt waren die Aktionen trotz der Reibungen. Etwas verwundert | |
reagiert Stay, wenn man das so formuliert. „Es ist für uns ein bisschen | |
Sekt und Selters“, sagt er. „Das war eben nur ein Teilerfolg.“ Der | |
Atomausstieg sei ja noch gar nicht geschafft. | |
Sprich: Sechs AKW laufen noch. Eine Endlagerlösung für den Atommüll ist | |
auch fern. „2011 wurde ich teilweise von Medien gefragt, was ich denn jetzt | |
mit meiner freien Zeit mache“, sagt Stay. „Aber für uns gibt es noch viel | |
zu tun.“ | |
11 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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