# taz.de -- Ein Besuch im Sonneneck Deutschlands: Die Zusammenfassung von allem | |
> Hartheim am Rhein ist derzeit die statistische „Durchschnittsgemeinde“ in | |
> Baden-Württemberg. Manche Menschen dort fühlen sich auch so. | |
Bild: Hartheim am Rhein: Ein Ortder vielen gefällt, weil es hier so normal ist… | |
Letten, Weidling, Salmen – in Hartheim am Rhein, 20 Kilometer westlich von | |
Freiburg, benutzt manch einer Wörter, die andernorts den meisten Leuten | |
nichts sagen. Letten ist feinkörniger Sandlehm, Weidling ein flaches Boot. | |
Und bei Salmen, da könnte es am ehesten noch klingeln. Salmen, [englisch: | |
salmon], Salm. Lachs halt, ein Traum. | |
Wer sich von Norden dem Ort nähert, erkennt schon von Weitem den schlanken | |
Hartheimer Kirchturm. Daneben ragt ein Ensemble aus hohen Silos in den | |
Himmel, in denen Zemente gelagert sind. Sie machen dem Kirchturm den Rang | |
streitig. Je nach Wetter gesellt sich im Hintergrund die blaugraue | |
Silhouette des Schwarzwalds und der Vogesen dazu. | |
Laut [1][Statistischem Landesamt von Baden-Württemberg] ist genau dieser | |
Ort derzeit die „Durchschnittsgemeinde“ im südwestlichen Bundesland, wie in | |
einer Pressemitteilung vom 5. März 2020 steht. Alle Leute im Ländle geteilt | |
durch alle Ortschaften ergibt 4.793 Personen. So viele, wie am Stichtag in | |
[2][Hartheim] wohnten. Das Dorf steht für den „Schnitt“, wie es hier heißt | |
und wie der zähe 81-Jährige an der Bushaltestelle sagt, nachdem er sein | |
Leben im Zeitraffer Revue passieren ließ. „Entschuldigen Sie, dass ich von | |
mir erzähle, das macht noch keinen Schnitt.“ Als Jugendlicher hat er mit | |
einem vorgespannten Ochsen die Felder gepflügt. „Alle waren Bauern im | |
Dorf.“ Sie beackerten steinigen Boden. Er wollte Geld verdienen, ging zum | |
Straßenbau, wurde Lkw-Fahrer, heiratete einmal, heiratete ein zweites Mal, | |
hat seit acht Jahren Krebs, hat ihn im Griff. | |
Der Mann an der Bushaltestelle ist aus Feldkirch. Es ist das kleinste der | |
drei Dörfer, die seit der Gemeindereform von 1974 zusammengehören. Das | |
mittlere ist Bremgarten. Das Rathaus aber steht in Hartheim, dem größten | |
und namengebenden Dorf, direkt neben der Kirche, dem Pfarrhaus, dem | |
Spielplatz. Der ist das quirlige Zentrum im Ort, wo allerhand Sprachfetzen | |
das Kindergeschrei übertönen. Ungarische. Spanische. Italienische. | |
Alemannische. Letzteres der hier gesprochene Dialekt. | |
## Ein unchristliches Hochamt | |
Als der Hartheimer Bürgermeister Stefan Ostermaier von dieser | |
Durchschnittssache erfährt, und er erfährt es an Fasnacht, was in | |
alemannischen Dörfern ein unchristliches Hochamt ist, lacht er auf. Der | |
Durchschnitt, das passt zum Motto der größten Narrenzunft im Ort: | |
„Hauptsache egal!“ Sofort denkt sich der Bürgermeister neue Slogans fürs | |
Dorf aus. „Hartheim – durchschnittlich! und symbadisch“, ist einer. | |
Diese Gemeinde also, die flach in der Oberrheinebene liegt, soll fürs | |
Mittel stehen. Mit ihren Menschen und Häusern. Etliche davon gehörten | |
Bauern oder Fischern, vom Großvater auf den Vater vererbt. Wo früher die | |
Scheunen standen, sind neue Anbauten für die Kinder, die Enkel, und wo | |
früher Äcker waren, sind Baugebiete. Alte wohnen im Ort, Junge, und | |
Familien mit im Durchschnitt zwei Kindern. Es gibt ein Industriegebiet. | |
Fast alle haben eine Arbeit und ein Auto, manche zwei. Jede Viertelstunde | |
schlägt die Kirchturmuhr. Ein Hahn kräht. Wirtshäuser dagegen gibt es kaum | |
mehr. | |
Dass in Hartheim das Wirtshaussterben grassiert, entspreche dem | |
Durchschnitt im Land, sagt der Bürgermeister, als er an einem | |
Gemarkungsstein steht, wo alle drei Gemeinden zusammentreffen. In der Ferne | |
Kirchtürme, umgeben von Häusern und umgepflügten Äckern. Dass es in den | |
Dörfern aber noch eine Infrastruktur gibt mit Bäcker, Metzger, einer | |
Apotheke, Hofläden, sei schon eher ungewöhnlich. Dazu ist eine | |
Ganztagsgrundschule in Hartheim und drei Kindergärten, in jedem Ortsteil | |
einer, freiwillige Feuerwehren, Blasmusik, Fußball und viel Sonnenschein. | |
72 Vereine und leerstehende Pfarrhäuser gibt es noch. Auch ein Fundbüro. | |
Dort wurde eine Drohne abgegeben. | |
## Dort begann es | |
Halt, 72 Vereine? Alle im Ort beteuern, es wäre so. Einer ist die | |
Fischerzunft. Denn einst war Hartheim ein Fischerdorf. Der Rhein mäanderte | |
im mehrere Kilometer breiten Oberrheingraben. Ständig fand er neue Wege. | |
Direkt hinter den Häusern der Hauptstraße begann die Sumpflandschaft, | |
durchzogen von Flüssen und Inseln. So erzählen es die Alten. „Dort, dort | |
begann es.“ Heute liegt, was vom Rhein übrig ist, zwei Kilometer vom Dorf | |
entfernt. | |
Als der Fluss im 19. Jahrhundert begradigt wurde, vor allem aber, als der | |
Rheinseitenkanal 1959 auf elsässischer Seite fertig gebaut war, für | |
Stromgewinnung, für Schiffbarmachung, ein Projekt, das Frankreich laut | |
Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg im Rahmen der Reparation | |
zustand, verschwand das Wasser, verschwand der Lachs. Fischtreppen waren | |
nicht eingebaut worden. | |
Heute ist der „Restrhein“ ein überschaubarer Fluss. Aal, Rotaugen, Hecht, | |
Zander waren noch da, nachdem der Kanal in Betrieb ging, zumindest bis zum | |
Chemieunglück von Sandoz in Basel 1986, das alles vergiftete. Für | |
Jahrzehnte war Blei im Schlick. Schwimmen verboten. „Tonnenweise haben wir | |
tote Fische rausgeholt“, sagt Bernhard Birkenmeier. Er ist der Vorsitzende | |
der Fischerzunft. | |
## Kies und Sand | |
Der letzte Fischer gab 1986 auf, aber die Zunft lebt und darf mittlerweile | |
im Hartheimer Flussabschnitt wieder die Angelkarten verkaufen. Man halte an | |
der Tradition fest. „Vielleicht wird die Fischerei doch noch einmal | |
attraktiv“, sagt der Zunftmeister. Ihn interessiert aber heute mehr das | |
Jagen. In seiner Stube hängen viele Geweihe und ein ausgestopfter | |
Wildschweinkopf. Die Hauer 19 Zentimeter lang und messerscharf. | |
Mit den namensgleichen „Kiesbaronen“, wie die Kieswerksbesitzer in der | |
Gegend genannt werden, ist der Fischzunftmeister nicht verwandt. Das muss | |
man nämlich wissen: Wo der Rhein einst war, ist steiniger Grund. Unzählige | |
Kieswerke, und so auch Arbeitgeber, stehen entlang des Flusses. Kies und | |
Sand – heute ein wertvollerer Rohstoff denn je. | |
Ach ja, Aal darf seit ein paar Jahren wieder gefischt werden. Nur gebe es | |
kaum welchen, sagt der Zunftmeister und erzählt dann lieber von seinem | |
Bruder in den USA, den er sehr verehrt und mit dem er jede Woche | |
telefoniert. Hubert Birkenmeier – ein Torwart. Es scheint ihm, dass das | |
interessanter sein müsste fürs Lesepublikum als so ein Dorf. Sein Bruder | |
nämlich hat bei Tennis Borussia Berlin gespielt und später mit Beckenbauer | |
und anderen Stars bei Cosmos New York. „Er ist der berühmteste Hartheimer.“ | |
## Der Salmen | |
Ganz stimmt das nicht. Da ist auch der Salmen – ehemals ein ehrwürdiges | |
Gasthaus, wo früher alle Dorffeste gefeiert wurden. In seinen letzten | |
Lebensjahren gehörte das Haus Dietrich Schwanitz. Der Professor und Autor | |
brachte Shakespeare ins Dorf. | |
Schwanitz kannte Hartheim von seiner Studentenzeit in den 60er Jahren. | |
Damals hatte er eine Kommune mit anderen im Ort. Von Seiten der | |
Einheimischen gab’s Kopfschütteln. Heute bleiben Sätze, die nicht zu Ende | |
gesprochen werden: „Wenn die dann mit den Kinderwagen durchs Dorf gingen.“ | |
– „Ja, was dann?“ Unglauben. | |
Nach Schwanitz’ Tod verkaufte die Witwe den Salmen an die Gemeinde. Die | |
wollte das Haus abreißen. Das stieß auf Widerstand. Der Zimmermann und | |
Mundartdichter Rolf Imm war einer der Wortführer, der dagegen war. Warum? | |
„Weil man das Herz eines Dorfes nicht zerstört.“ | |
## Man kennt sich | |
Am Ende lenkte der Gemeinderat ein. Mit viel ehrenamtlicher Arbeit haben | |
die Dörfler das Wirtshaus saniert und organisieren, wenn keine Pandemie | |
ist, Theater und Konzerte im großen Saal mit den 120 Plätzen. „Viel | |
Kabarett dazu.“ Man lache halt gerne. Auch über sich. Der Salmen sei ein | |
Magnet, sagt Imm. In Großstädten bräuchte es für so etwas eine | |
Hausbesetzung, in einem badischen Dorf Eigen- und Gemeinsinn. „Man kennt | |
sich ja.“ | |
Dem jungen Bürgermeister, 34 ist er, kein Hartheimer, aber mit einer | |
Hartheimerin verheiratet, geht es nicht so sehr um Superlative und | |
Berühmtheiten. Er will das mit dem Schnitt in den Griff bekommen, es | |
gefällt ihm, wenn alles normal ist. Und schön. So, dass die Menschen sich | |
wohlfühlen. Und bereit sind, sich im Dorf einzubringen. Er zeigt die | |
Rheinauen, den Baggersee, will noch zur Brücke, die das elsässische Dorf | |
Fessenheim auf der französischen Rheinseite mit dem badischen Hartheim | |
verbindet und die es nicht gäbe, wenn die Bürgermeister der beiden Dörfer | |
sich nicht jahrzehntelang dafür eingesetzt hätten. 2006 wurde die Brücke | |
eingeweiht. | |
Stopp, Fessenheim? Das Fessenheim in Frankreich mit dem maroden AKW? Ja, | |
genau das. Seit das Atomkraftwerk Anfang des Jahres endlich abgeschaltet | |
wurde, können die Leute aufatmen, meint der Bürgermeister. „Wir haben bei | |
uns gegen das AKW in Wyhl demonstriert und das wurde dann nicht gebaut, | |
dafür haben die Franzosen uns Fessenheim vor die Nase gesetzt“, sagt eine | |
Hartheimerin, die das in den 70er Jahren erlebte. Was sie noch sagt: „Die | |
in Fessenheim waren alle dafür und wir alle dagegen.“ Trotzdem: Die | |
Gemeindepartnerschaft mit Fessenheim, diese „Jumelage“, sei sehr eng. Nur | |
dass man wegen Corona gerade nicht hin kann. | |
## Das Gros spiegelt das nicht | |
Mit dem Durchschnitt allerdings hat das wenig zu tun. Wie auch die | |
Zusammensetzung des Gemeinderats nicht. Drin nämlich sind die Freien | |
Wähler, die CDU, die Frauenliste und die Liste FuD, Für unsere Dörfer, | |
vertreten. Letztere seien die Bauern. Das baden-württembergische Polit-Gros | |
spiegelt das nicht. | |
Christiana Schmidt, „eine Eingeheiratete“, wie es früher hieß, eine | |
Junge-Union-Erfahrene, sitzt auf einer Bank des Spielplatzes. Sie wollte | |
bei der Kommunalwahl vor 28 Jahren auf den zweiten CDU-Listenplatz für den | |
Gemeinderat. „So läuft das nicht“, erklärte man ihr und setzte sie am Ende | |
auf den vorletzten Platz. „Dann stelle ich eben eine Frauenliste auf die | |
Beine“, dachte sie, suchte Mitstreiterinnen und wurde mit einer anderen | |
Frau auf Anhieb gewählt. „Die Männer waren not amused.“ Seither wird in | |
Hartheim geguckt, was Frauen brauchen. Hervorragende Kinderbetreuung etwa. | |
Ganztagsschule. Gemeindehelferinnen. Bessere Taktzeiten für den ÖPNV. Ihr | |
neues Projekt: die Alten in die Mitte des Dorfes holen. Neben den | |
Spielplatz, die Kirche, das Rathaus. Eine Tagespflegeeinrichtung mit | |
stationärer Alten-WG, sowie ein Seniorenwohnheim mit Arztpraxen wird | |
entstehen. „Warum soll man die Älteren an den Dorfrand drängen, womöglich | |
noch neben den Friedhof? Hier ist der richtige Platz.“ | |
Der ÖPNV ist allerdings gerade ein Streitpunkt, denn der Weg nach Freiburg | |
soll durch die Streckenführung länger werden anstatt kürzer. So werde das | |
nichts mit dem Klimaschutz, wer lasse dann das Auto stehen? „Es ist so | |
langatmig, wenn man was bewegen will“, sagt Schmidt. | |
## Klassenzimmer der alten Schule | |
Doch sie hat Mitstreiterinnen. Die Ortsvorsteherin von Feldkirch, | |
Antoinette Faller, ist so eine. Und sie ist wirklich in der CDU. „Aber wir | |
machen keine Parteipolitik. Wir machen Politik für die Menschen.“ Feldkirch | |
ist ein schönes Dorf, die Kirche mindestens 900 Jahre alt. Faller sitzt im | |
Klassenzimmer der alten Schule, wo jetzt die Ortsverwaltung ist. Soziales | |
ist ihr wichtig. Dass Leute nicht auf der Strecke bleiben. Dass Leute gerne | |
im Dorf leben. Der Kindergarten, der Jugendraum, der Austausch mit | |
elsässischen Kitas, der Verschenkemarkt, die Flüchtlingsunterstützung, | |
zählt sie auf. Im ersten Stock der alten Schule wohnt eine Familie aus | |
Syrien, in der Kellerwohnung im Feuerwehrhaus zwei afghanische Flüchtlinge. | |
Deutschkurse wurden angeboten. Frauen aus dem Dorf hätten die gegeben – | |
learning by doing. „Neulich kam der Kazim, aus Nigeria war der, und zeigte | |
mir seine Einbürgerungsurkunde. Da habe ich mich sehr gefreut.“ | |
Auf einer Luftaufnahme zeigt sie noch auf die Felder hinter Feldkirch, wo | |
die neue Gütertrasse der Bahn im Oberrheingraben verlaufen wird. Lange | |
wurde dafür gekämpft, dass die Trasse unter die Erde gelegt wird, um den | |
Lärm erträglich zu halten. Die Bürgerinitiative setzte nicht nur auf Demos | |
und Protest, sie wies auch nach, dass das kostengünstiger ist. Nach 20 | |
Jahren endlich lenkt die Bahn ein. Ein Erfolg. | |
Nur, das ist nicht alles. Denn Lärm ist ein großes Problem in der Gemeinde. | |
Die Autobahn führt direkt am Ort vorbei. Trotzdem rattern an Wochentagen | |
noch 1.000 Lkws, Zugmaschinen und Schwerlaster, manche bald höher als die | |
Häuser, durch die enge Hauptstraße von Hartheim und Bremgarten. Viele | |
könnten auf die Autobahn. Tun es aber nicht, um Maut zu sparen. Nun hat das | |
Landratsamt eingelenkt und schreibt 30 km/h vor. Eine Lösung ist das nicht. | |
## Viele Freizeitflieger | |
Das mit der Straße sieht Bürgermeister Ostermaier auch als großes Problem, | |
aber auf eine andere Lärmquelle angesprochen, reagiert er unmutig. Denn da | |
gibt es noch den ehemaligen Nato-Flugplatz in Bremgarten, wo jetzt viele | |
Freizeitflieger abheben. Er findet es übertrieben, aus dem Fluglärm ein so | |
großes Ding zu machen. Der Krach sei kein Vergleich mit dem der Starfighter | |
und Phantome, die früher abhoben. Möbel wackelten. Geschirr klirrte. „Wie | |
kann man eins mit dem anderen in Zusammenhang bringen?“, fragt eine | |
aufgebrachte Bremgartenerin. „Warum sollen wir, weil wir früher den krassen | |
Lärm der Militärflieger aushalten mussten, jetzt die Freizeitflieger am | |
Wochenende ertragen, nur weil sie leiser sind?“ Es geht ihr gegen den | |
Strich. „ Und warum ist die Spaßfliegerei angesichts des Klimawandels | |
überhaupt noch opportun?“ | |
„Hartheim hat, was keiner will“, sagt sie. Weil das so ist, ist man | |
kampferprobt im Ort. Die Leute protestieren, machen Eingaben, schreiben | |
Briefe. Und haben, bleiben sie lang genug stur, mitunter eben Erfolg. Dank | |
Protest wird ja auch der Rheinwald nicht „ausgekiest“. | |
## Auskiesen? – was ist das jetzt schon wieder für ein Wort? | |
Damit Köln und Düsseldorf und andere Städte am Rhein weiter nördlich nicht | |
absaufen bei Hochwasser, müssen hier am Oberrhein Rückhaltegebiete | |
geschaffen werden. Das sehe man ja ein, sagt der Bürgermeister von | |
Hartheim. Schlauberger, Schreibtischplaner aber wollten bei der Aktion | |
gleich den Kies gewinnen und den Wald opfern. „Wir stehen hier auf viel | |
Geld“, sagt er, als er das Rheinufer zeigt. Die Gemeinde hat sich gewehrt. | |
Es werde schon so viel Natur zerstört. „Nun werden Furten angelegt | |
stattdessen“, sagt er. Dem Wald gehe es dennoch schlecht. Wegen der Dürren. | |
Bleiben die Bauern, die hier nicht fehlen dürfen, denn in den drei Dörfern | |
sind sie stark. Vor allem Sonderkulturen werden gezogen: Spargel, | |
Erdbeeren, Himbeeren, Kürbis, Frühkartoffeln, Feldsalat. Alle Landwirte | |
bauen konventionell an. Martin Hauss aus Feldkirch auch. 50 Hektar | |
bewirtschaftet er. Er wäre bereit, es anders zu probieren. Da der | |
ökologische Landbau jedoch weniger Ertrag bringe, bräuchte er mehr Flächen. | |
Land aber, das er erwerben könnte, gibt es nicht. Bauträger kaufen es auf – | |
als Ausgleichsflächen. „Wer ein Haus baut, sagen wir auf einem Hektar, der | |
muss noch eineinhalb Hektar Ausgleichsfläche nachweisen. Und schon sind | |
zweieinhalb Hektar Ackerland für die regionale Nahrungsproduktion weg.“ | |
Seine Analyse ist glasklar: Die EU-Subventionen für die Landwirtschaft sind | |
falsch ausgerichtet, sie fördern Agroindustrie. Der Preisdruck im | |
Lebensmittelhandel vernichtet die Bauern. Und die Entfremdung zwischen | |
Erzeuger und Verbraucher wird politisch noch gefördert. Sein Sohn, der den | |
Hof übernimmt, sitzt schon seit drei Stunden in einer Zoomkonferenz. „Wir | |
sind Landwirte, keine Verwalter. Ich würde gern aufs Geld von der EU | |
verzichten, wenn ich von meinen Produkten leben könnte.“ | |
Beantwortet das jetzt, wo man den Durchschnitt in so einem Dorf findet? | |
Eher nicht. Da springt eine Frau ungarischer Herkunft, die am | |
Sandkastenrand auf dem Spielplatz sitzt, ein. „Ich bin Durchschnitt“, sagt | |
sie. „Ich lebe seit 21 Jahren im Dorf, arbeite im Dorf, habe zwei Kinder.“ | |
Sie verliebte sich in einen Hartheimer. Auf einer Bank daneben sitzt eine | |
andere Frau, spanische Herkunft, auch zwei Kinder. Sie engagiert sich bei | |
der Frauenliste und hat ebenfalls einen Hartheimer zum Mann. Schon wieder | |
die Liebe. „Hartheim gefällt mir“, sagt sie, „das Dorf ist eine | |
Zusammenfassung von allem.“ | |
11 Mar 2021 | |
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