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# taz.de -- Wahl in Baden-Württemberg: Das grüne Dilemma
> Winfried Kretschmann regiert seit zehn Jahren in Baden-Württemberg. Doch
> der Ausbau der Windenergie ist kaum vorangekommen. Warum eigentlich?
Bild: Klimaneutralität als grünes Regierungsziel: Kretschmann bei der Enthül…
Der meist zitierte Satz aus dem grün-roten Koalitionsvertrag ist vermutlich
dieser: „Wir wollen bis 2020 mindestens 10 Prozent unseres Stroms aus
heimischer Windkraft decken.“ Geschrieben 2011 in Stuttgart, formuliert von
der ersten grünen Landesregierung unter Winfried Kretschmann.
Das Ziel wurde deutlich verfehlt. [1][Im Jahr 2019 betrug der Anteil der
Windkraft im „Musterländle“ gerade 4,4 Prozent]. Zahlen für 2020 liegen
zwar noch nicht vor, aber viel kam nicht mehr hinzu. Damit hat
Baden-Württemberg seine Windkraft unter dem grünen Landesvater zwar
verfünffacht, dürftig bleibt ihr Anteil gleichwohl.
Woran lag es? Zum einen an einer sehr diffizilen Gemengelage beim
Artenschutz. Die meisten Windräder im Südwesten scheiterten nämlich nicht
an der Energiepolitik des Landes. Vielmehr waren Brutplätze von Rotmilan
oder Wespenbussard der Hauptgrund dafür, dass Projekte aufgegeben wurden.
Wo Auerwild vorkommt, lassen Investoren mögliche Standorte inzwischen von
vorneherein links liegen.
Diese Konstellation brachte die grüne Regierung ziemlich in die Bredouille,
weil auch klassische Naturschützer zur grünen Wählerklientel gehören. Den
Konflikt zu entschärfen gelang der Landesregierung nicht. Bis zuletzt
schaffte sie es nicht, ausreichende Rechtssicherheit bei
artenschutzrechtlichen Prüfungen zu etablieren. Hessen zum Beispiel bekam
das besser hin.
Mit voller Wucht traf der Konflikt zwischen Klima- und Naturschutz
natürlich stets den Umweltminister. Nicht nur bei der Windkraft trat ein
solcher Zwiespalt auf: [2][Auch beim geplanten und inzwischen verworfenen
Pumpspeicher-Projekt Atdorf im Südschwarzwald,] von Umweltminister Franz
Untersteller stets als wichtiger Teil der Energiewende propagiert, stand
der Grüne im Widerspruch zu einem erheblichen Teil seiner Wähler. Womöglich
hatten auch diese Konflikte im grünen Milieu Anteil an Unterstellers
Abschied aus der Landespolitik.
Der zweite Grund für die zähe Entwicklung der erneuerbaren Energien trotz
grüner Regierung war die mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz, auf die
manches Projekt stieß. In einem Land mit politisch sehr aktiver
Bürgerschaft – dafür stehen Stichworte wie Wyhl und Stuttgart 21 – wird
solcher Missmut dann entsprechend deutlich artikuliert.
## Wo ist das grüne Konzept?
So kämpfen Bürger eben auch gegen Windkraftanlagen. Einige Projekte wurden
durch lokale Initiativen verzögert oder gar per Bürgerentscheid verhindert.
Somit haben die [3][zehn Amtsjahre der grün geführten Stuttgarter Regierung
auch gezeigt]: Energiewende geht nicht einfach per Regierungsbeschluss. Man
braucht Bürger, die mitziehen.
Diese Akzeptanz muss man sich aber erarbeiten. Nun sind Widerstände gegen
Projekte vor Ort völlig normal, doch diese ließen sich eindämmen, fände das
Gesamtkonzept Energiewende mehr gesellschaftlichen Rückhalt. An diesem
fehlt es nämlich zunehmend, sobald es konkret wird.
Ursprünglich war die Energiewende ein Mitmachprojekt von Bürgern – gerade
im Südwesten, wo nach dem Krieg die ersten professionellen Windräder
konstruiert wurden. Die Menschen tüftelten an Windkraft- und Solaranlagen,
bewiesen mit Gemeinschaftsprojekten kommunalen Gemeinsinn und sahen sich
als Teil einer großen Idee. Das alles schon, bevor es ein
Erneuerbare-Energien-Gesetz gab.
## Die Energiewende hat ihren Charme verloren
Diese Aufbruchstimmung ist inzwischen dahin. Die Energiewende hat ihren
Charme verloren, gilt als technokratisches Monstrum und erscheint manchem
als Gängelprojekt: Verbot des Verbrennungsmotors, Verbot der Ölheizung,
Verbot von Kohle. Wer hingegen selbst aktiv werden will, etwa durch den Bau
von Photovoltaik auf Gemeinschaftsdächern, wird durch Bürokratie abgewürgt.
Das geht dann zwar eher von Berlin als von Stuttgart aus, es prägt aber
auch im Südwesten den Eindruck von der Energiewende als Maßnahme der
Volkserziehung.
Erschwerend kommen solche Klimaaktivisten hinzu, die das Thema ideologisch
überhöhen. Die Energiewende wirkt dann wie ein Kampf von Gut gegen Böse,
dessen Protagonisten ihre selbst attestierte moralische Überlegenheit stets
aufs Neue inszenieren.
Damit rückt das ganze Vorhaben mitunter in eine religiös anmutende Ecke –
mit negativer Medienresonanz. „Ersatzreligion Klimaschutz“ titelte einmal
die Wirtschaftswoche. Hilfreich ist das ebenso wenig wie Aktivisten die –
statt sich auf ihr Kernanliegen zu beschränken – Klimaschutz mit
Systemfragen vermengen.
## Zu viel Moral nutzt nichts
Von dieser Weltsicht mancher Akteure – mal moralisierend, mal mit Hang zum
Verbot, oft beides zugleich – vermochten die Grünen in Baden-Württemberg
ihre Energiewende nicht ausreichend argumentativ zu entkoppeln.
In einem bodenständigen Land, wie Baden-Württemberg eines ist, zumal als
Stammland des liberalen Denkens, muss Energiewende vielmehr ein Projekt der
Macher sein, nicht eines der selbstgerechten Eiferer. Und so manifestiert
sich heute in manchem Widerstand gegen die Energiewende auch unterschwellig
eine grundsätzliche Opposition zu einem als dirigistisch empfundenen
Staatsprojekt.
Eine Regierung, die im Südwesten Akzeptanz für die Energiewende gewinnen
will, muss deutlicher machen, dass sie das Projekt alleine als Umbau der
Energiewirtschaft sieht. Als ein Gemeinschaftsprojekt kreativer Köpfe (von
denen es gerade im Südwesten viele gibt), nicht als einen illiberal und
ideologisch getriebenen Gesellschaftsumbau.
Dass die Grünen in Baden-Württemberg das zwar stets deutlich besser
erkannten als manche Parteikollegen in anderen Teilen Deutschlands, half
ihnen am Ende trotzdem nur bedingt. Die Regierung war die Leidtragende
eines zunehmend verbreiteten Energiewende-Frusts – und scheiterte auch
deswegen mit ihren Windkraft-Zielen.
11 Mar 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Bernward Janzing
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