| # taz.de -- Linke stimmt über Koalitionsvertag ab: „Das ist ein Zweckbündni… | |
| > Kommt in Berlin erneut Rot-Grün-Rot? Der Abgeordnete Tobias Schulze wirbt | |
| > dafür, die Chancen für eine linke Politik zu nutzen. | |
| Bild: Sie wollen regieren – aber will die linke Basis das auch? | |
| taz: Herr Schulze, bis Ende kommender Woche dürfen die Mitglieder der | |
| Berliner Linkspartei über [1][den rot-grün-roten Koalitionsvertrag] | |
| abstimmen. Glauben Sie, es wird dafür eine Mehrheit geben? | |
| Tobias Schulze: Ja. Ich bin zuversichtlich, dass die Mehrheit unserer | |
| Mitglieder erkennt, dass eine erneute Koalition mit Grünen und SPD nicht | |
| nur Risiken bietet, sondern auch viele Chancen, die im Koalitionsvertrag | |
| festgeschrieben sind und die wir nutzen wollen. | |
| Aber es könnte knapp werden? | |
| Es gibt durchaus [2][viel Kritik in der Partei an einzelnen Stellen des | |
| Koalitionsvertrages], insbesondere in der Frage der Umsetzung des | |
| Enteignen-Volksentscheids. Das kann ich in gewisser Weise nachvollziehen. | |
| Inwiefern? | |
| Unsere Mitglieder haben mit der Initiative auf der Straße gestanden und | |
| Unterschriften gesammelt. Viele hätten sich eine deutlich zügigere und | |
| klarere Umsetzung gewünscht. Wir haben aber den Weg verhandelt, der zu | |
| verhandeln war mit SPD und Grünen. Und den wollen wir jetzt auch gehen, | |
| denn einen anderen Weg haben wir nicht. | |
| Aber verstehen Sie die Enttäuschung darüber, dass es nach diesem | |
| fulminanten Ergebnis mit 57,6 Prozent Ja-Stimmen jetzt relativ zäh werden | |
| könnte? | |
| Am meisten enttäuscht waren wir selber, die wir mit SPD und Grünen | |
| verhandelt haben. Man muss allerdings auch sagen: Die Vorstellung, dass wir | |
| nach drei Monaten einen verfassungsgemäßen Gesetzentwurf haben könnten, war | |
| nicht realistisch. Wir brauchen auf jeden Fall eine längere Phase der | |
| Erarbeitung und der Prüfung durch Verfassungsjuristen. Wir wollen ja nicht | |
| scheitern. Eine erneute Klatsche vor dem Bundesverfassungsgericht nach dem | |
| Mietendeckel können wir uns auf gar keinen Fall leisten. | |
| Ein Scheitern droht nun allerdings bereits in den ersten 100 Tagen eines | |
| rot-grün-roten Senats: Bis dahin muss die Expertenkommission besetzt sein, | |
| die den Enteignen-Gesetzentwurf erarbeiten soll. | |
| In diesem Prozess, den wir im Koalitionsvertrag vorgesehen haben zur | |
| Umsetzung des Volksentscheids, sind viele Knackpunkte enthalten, an denen | |
| das Projekt scheitern kann. Dazu gehört die Frage der Zusammensetzung der | |
| Kommission. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass wir in diesem Prozess | |
| immer wieder die Möglichkeit haben, mit den progressiven Teilen der Grünen | |
| und auch der SPD gute Vereinbarungen zu erarbeiten, sodass es weitergeht. | |
| Es muss doch allen klar sein: Knapp 60 Prozent der Berlinerinnen und | |
| Berliner haben für diesen Volksentscheid gestimmt – deutlich mehr, als | |
| Rot-Grün-Rot Stimmen bekommen hat. Dieses Ergebnis ist so eindeutig, dass | |
| es eine Aufforderung an alle Parteien im Parlament ist, den Willen der | |
| Bevölkerung umzusetzen. | |
| Wie wollen Sie die unter anderem von der „Initiative Deutsche Wohnen und | |
| Co. enteignen“ geäußerte Befürchtung zerstreuen, dass die SPD auf Zeit | |
| spielt, also das Ganze verschleppen möchte? | |
| Wir haben extra die Jahreszahlen im Koalitionsvertrag festgehalten: 2022 | |
| muss die Kommission ein Ergebnis präsentieren; im darauffolgenden Jahr soll | |
| der Senat Eckpunkte für einen Gesetzentwurf vorlegen. Insofern sehe ich | |
| keine Möglichkeit der Verschleppung. Und das im Koalitionsvertrag | |
| enthaltene Wort „gegebenenfalls“, das viel kritisiert wird, bezieht sich | |
| nicht auf den politischen Willen, ob man einen Gesetzentwurf macht, sondern | |
| auf die Verfassungsprüfung, die einem solchen Gesetzentwurf vorauszugehen | |
| hat. | |
| Es gibt einen anderen großen Knackpunkt, der an der Linkenbasis sehr | |
| kritisch gesehen wird, nämlich der Verlust der Senatsverwaltung für Bauen | |
| und Stadtentwicklung. War das unvermeidbar? | |
| Das müssen Sie andere fragen. Wir haben an dem Ressort festgehalten, weil | |
| es für uns profilbildend war und unser wichtigstes Wahlkampfthema Wohnen | |
| und Mieten betrifft. Die Enttäuschung bei uns über den Verlust des Ressorts | |
| ist sehr groß. | |
| Die Linke wirbt seit geraumer Zeit mit dem Slogan: „Wir holen uns die Stadt | |
| zurück“. Ist dieser Anspruch mit dem Verlust des Stadtentwicklungsressorts | |
| gescheitert? | |
| Es wird schwieriger, aber gescheitert ist es nicht. Wir haben im | |
| Koalitionsvertrag, gerade auch im Bereich Stadtentwicklung und Wohnen, | |
| viele gute Ziele zur Reduzierung der Mietenexplosion drin, die auch von | |
| einem SPD-geführten Stadtentwicklungssenator oder -senatorin umgesetzt | |
| werden müssen. | |
| Katalin Gennburg, Expertin der Linksfraktion für Wohnungspolitik, hat die | |
| Verhandlungsergebnisse gerade in diesem Bereich [3][als unzureichend | |
| kritisiert und erklärt, sie werde gegen den Koalitionsvertrag stimmen]. Was | |
| halten Sie ihr entgegen? | |
| Sie hat sich in ihrer Kritik vor allem auf die vereinbarten 200.000 | |
| Neubau-Wohnungen bezogen, die in den nächsten zehn Jahren entstehen sollen. | |
| Es geht also um die Fragen, wie wir unsere Stadt weiter entwickeln, wo | |
| diese neuen Wohnungen entstehen sollen und wie. In der Tat enthalten die | |
| Vereinbarungen zum Wohnungsbau viele Fallstricke, mit denen wir umgehen | |
| müssen. Da wird es auch noch viele Probleme geben, etwa mit Blick auf | |
| Anwohnerinteressen oder die Verkehrsanbindung. Insofern kann ich die Kritik | |
| von Gennburgs Seite nachvollziehen. Sie hat es ja auch selber | |
| mitverhandelt. | |
| Aber was halten Sie Katalin Gennburg nun entgegen? | |
| Dass wir bei diesem Thema auch viele sehr gute Dinge vereinbaren konnten, | |
| etwa beim kooperativen Bauland-Modell oder beim Mietendeckel für die | |
| landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, der bleiben wird. | |
| Eng verbunden mit dem Thema Mieten und Bauen ist ja eine gewisse generelle | |
| Abneigung gegen die Person Franziska Giffey, die bisweilen bei der Linken | |
| zu spüren ist. | |
| Wir haben im Vergleich zur vergangenen Legislaturperiode mit Grünen und SPD | |
| zwei Parteien, die sehr stark auf ihre eigene Profilierung setzen. Das ist | |
| für uns eine neue Situation, so etwas wie ein rot-grün-rotes Projekt sehe | |
| ich jetzt erst mal nicht. Es ist ein Zweckbündnis dreier Parteien, die | |
| programmatisch noch die größten Schnittmengen haben im Vergleich zu anderen | |
| Konstellationen. Ich bin dafür, die Chancen, linke Politik umzusetzen, zu | |
| nutzen und nicht voreilig in den Wind zu schreiben. | |
| Das heißt also, in Abwandlung einer bekannten FDP-Aussage: „Lieber schlecht | |
| regieren als nicht regieren“? | |
| Nein. Schlecht regieren dürfen wir auf gar keinen Fall. Das hat die Stadt | |
| nicht verdient. Wenn für uns rote Linien überschritten werden, ohne dass | |
| klar wird, welche Möglichkeiten für eine soziale Stadtpolitik bestehen, | |
| dann müssen wir ernsthaft über den Fortbestand der Koalition nachdenken. | |
| Aber da sind wir noch nicht. | |
| Sie haben jetzt sehr viele Punkte im Koalitionsvertrag erwähnt, die auch | |
| Sie durchaus kritisch sehen. Wieso stimmt für Sie dennoch das Gesamtbild? | |
| Es gibt im Koalitionsvertrag viele linke Leuchttürme. Ich nenne mal zwei: | |
| Wir haben vereinbart, den Masterplan zur Überwindung der Wohnungslosigkeit | |
| von Elke Breitenbach umzusetzen. Der zweite ist, dass wir die Forderungen | |
| der Krankenhaus-Bewegung – eine bis zum Wahltag und darüber hinaus | |
| bestimmende Debatte in Berlin – umsetzen müssen und die Pflegenden in | |
| unserer Stadt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Krankenhäuser nicht | |
| alleine lassen können. Das sind bemerkenswerte Ziele für die es sich lohnt, | |
| in die Regierung zu gehen. Man darf den Koalitionsvertrag nicht auf den | |
| Bereich Bauen und Wohnen reduzieren. | |
| Was würde passieren, wenn die Linke nicht zustimmen würde: Neuwahlen? Oder | |
| würde es erst mal weitere Koalitionsverhandlungen geben? | |
| Das müssen Sie andere fragen, vor allem SPD und Grüne. Ich gehe erst mal | |
| davon aus, dass unsere Mitglieder dem Koalitionsvertrag zustimmen und wir | |
| ihn unterzeichnen können. Was passiert, wenn unsere Partei sich aus der | |
| Regierungsarbeit verabschiedet, möchte ich mir ehrlich gesagt gar nicht | |
| vorstellen. | |
| 10 Dec 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Nach-Volksentscheid-in-Berlin/!5813744 | |
| [2] /Sonderparteitag-der-Berliner-Linken/!5817234 | |
| [3] /Kritik-am-Koalitionsvertrag/!5815729 | |
| ## AUTOREN | |
| Bert Schulz | |
| ## TAGS | |
| Die Linke Berlin | |
| Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
| Berlin | |
| Koalitionsvertrag | |
| Mitgliederentscheid | |
| Berlin | |
| Die Linke Berlin | |
| Die Linke Berlin | |
| Rot-Grün-Rot | |
| Wochenvorschau | |
| Lena Kreck | |
| Die Linke Berlin | |
| Franziska Giffey | |
| R2G Berlin | |
| Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Enteignungs-Debatte in Berlin: Kampfansage an den Senat | |
| Wie wird der erfolgreiche Volksentscheid umgesetzt? Die Initiative | |
| „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ stellt ihre Pläne vor. | |
| Ja der Linkspartei zu Rot-Grün-Rot: Um des linken Friedens willen | |
| Die Mitglieder der Berliner Linkspartei votieren für die Koalition. Doch | |
| die 75 Prozent sind eine Zustimmung unter Vorbehalt. Ein Wochenkommentar. | |
| Berlins Linke stimmt für Koalition: Weg frei für Rot-Grün-Rot | |
| Die letzte Hürde ist genommen: Die Mitglieder der Linkspartei votieren mit | |
| einer dreiviertel Mehrheit für die erneute Koalition mit SPD und Grünen. | |
| Nachverhandlungen zum Koalitionsvetrag: Bitte noch ein Ressort mehr | |
| Könnte die Linke bei einem Nein ihrer Mitglieder zum Koalitionsvertrag | |
| nachverhandeln? 1996 gelang der SPD genau das. | |
| Die Wochenvorschau für Berlin: Müllers letzte Runde | |
| Michael Müller regiert Berlin seit 2014. Diese Woche dürfte seine letzte im | |
| Amt sein. Sie führt ihn auch an den Breitscheidplatz, Ort des Attentats. | |
| Linke präsentiert Justizsenatorin: Lena Kreck nominiert | |
| Die Linke will das Justizressort mit Lena Kreck besetzen. Für die | |
| Opposition ein Affront: Kreck war 2019 als Verfassungsrichterin | |
| durchgefallen. | |
| Sonderparteitag der Berliner Linken: Mühsames Werben für Rot-Grün-Rot | |
| Auf dem Parteitag der Linken nimmt die Spitze den Unmut eines Teils der | |
| Basis zum Koalitionsvertrag ernst. 8.000 Mitglieder stimmen darüber ab. | |
| SPD billigt rot-grün-roten Vertrag: „Wir werden es zusammen gut machen“ | |
| Viel Zuspruch für Franziska Giffey: Beim online abgehaltenen | |
| SPD-Landesparteitag stimmen 91,5 Prozent der Delegierten dem | |
| Koalitionsvertrag zu. | |
| Kritik am Koalitionsvertrag: „Abkehr von sozialer Stadtplanung“ | |
| Die Linke Katalin Gennburg kritisiert die Fokussierung der SPD auf den | |
| Neubau durch Private. Sie wirbt für ein Nein ihrer Partei zur Koalition. | |
| Nach Volksentscheid in Berlin: Enteignen als Chance | |
| Einer Neuauflage von Rot-Grün-Rot in Berlin steht kaum mehr etwas im Weg. | |
| Aber der Umgang mit dem Volksentscheid wird Streitthema bleiben. |