| # taz.de -- Murakami-Verfilmung „Drive My Car“: In den Gleichklang hineinfa… | |
| > Der Film „Drive My Car“ ist ein Roadmovie à la Murakami. Ryūsuke | |
| > Hamaguchi nutzt das Innere eines Wagens virtuos für ein Spiel mit der | |
| > Suggestion. | |
| Bild: Yūsuke Kafuku (Hidetoshi Nishijima) und Misaki Watari (Tōko Miura) sind… | |
| Das Genre Roadmovie ist fast so alt wie das Kino selbst, aber wie sich | |
| Autofahren wirklich anfühlt, das hat noch niemand so auf die Leinwand | |
| gebracht wie [1][Ryūsuke Hamaguchi] mit seinem Film „Drive My Car“. Der | |
| Titel hält genau das, was er verspricht: Man sitzt im Kino und wird | |
| fortgetragen, während jemand anderes am Steuer sitzt. Beiläufiges Starren | |
| in die Landschaft mit eingeschlossen. | |
| Der erste Trigger für diesen besonderen Geisteszustand, in den einen das | |
| ereignislose Dahinrollen auf den wohlgeteerten Straßen unserer | |
| Industrienationen versetzen kann, ist ein roter Saab 900, neben den zwei | |
| Hauptdarsteller:innen der MVP, Most Valuable Player, dieses Films. | |
| Farbe und Form des Saab wecken sinnliche Erinnerungen an analoge Zeiten und | |
| weisen seinen Besitzer, den Theaterschauspieler und -regisseur Yūsuke | |
| Kafuku (Hidetoshi Nishijima) als einen Mann aus, der sich gegen neue | |
| Konventionen stemmt, indem er starr an alten festhält. | |
| Sein Hang zu alten Techniken ist sogar so groß, dass er nichts, aber auch | |
| gar nichts an seinen Routinen ändert, als er eines Abends früher als | |
| erwartet nach Hause kommt und sieht, wie seine Frau Oto (Reika Kirishima) | |
| mit einem anderen Mann Sex hat. Es ist nicht klar, ob seine Frau ihn | |
| bemerkt hat, Kafuku jedenfalls schleicht sich einfach wieder aus dem Haus | |
| und übernachtet am Flughafen. | |
| Dass Oto fremdgeht, ist dabei noch das Banalste an diesem Paar, das | |
| Hamaguchi in den ersten 40 Minuten seines Films vorstellt, gewissermaßen | |
| als Vorspann vor dem eigentlichen Film (dessen Titelsequenz auch erst dann, | |
| nach gut 40 Minuten, eingeblendet wird). | |
| So real die Figuren wirken, spürt man in den Details, mit denen ihr | |
| Zusammenleben beschrieben wird, doch deutlich die literarische Fiktion | |
| durch: Zu aufgeräumt ist ihr schweigendes Pendeln durch die glatt-modernen | |
| Räume ihrer Hochhauswohnung und Büros, zu pittoresk das Auflegen von | |
| Vinylschallplatten mit klassischer Musik und zu erotisch für ein lang | |
| verheiratetes Ehepaar das aktive Liebesleben, aus dessen Orgasmus Dinge | |
| geschöpft werden: Sex regt Oto dazu an, Erzählfäden zu spinnen, die sie | |
| dann wieder vergisst, weshalb Kafuku sie sich merken muss. | |
| ## Dialoge lernen beim Fahren im Saab | |
| Überhaupt sind sie ein Paar wie aus einem Filmschülerdrehbuch: Oto arbeitet | |
| als Autorin für Fernsehen; Kafuku wird als Schauspieler in | |
| Tschechow-Inszenierungen gefeiert. Seine Dialoge lernt er, indem er beim | |
| Fahren in seinem Saab eine Tonkassette einlegt, auf der Oto ihm die Zeilen | |
| seiner Mitspieler vorliest, mit genau getimten Pausen für seine Rolle. | |
| Sie sind einerseits so gut aufeinander eingestimmt, dass man ihre Liebe für | |
| innig halten könnte, andererseits leben sie so reibungsfrei nebeneinander | |
| her, dass man die Jahrzehnte zu erahnen meint, die dieses perfekte | |
| Vermeidungsspiel hervorgebracht haben. Was wirklich zwischen ihnen passiert | |
| ist und noch passiert – das klärt sich erst viel später im Film auf. | |
| Obwohl man schon in diesem Vorspann Kafuku recht oft in seinem Auto sieht, | |
| nimmt „Drive My Car“ erst danach richtig Fahrt auf, man verzeihe das | |
| Wortspiel. Nach einem tragischen Ereignis vollzieht der Film einen | |
| Zeitsprung, der Kafuku an einen anderen Ort und damit auch in eine andere | |
| Routine bringt. Als „Artist in Residence“ soll er in Hiroshima in einem | |
| Kulturzentrum Tschechows „Onkel Wanja“ inszenieren. | |
| ## Erstickender Gutwille der Kulturdenkmalsbranche | |
| Der Clou des Projekts ist die Multilingualität: Auf der Bühne stehen | |
| japanische mit koreanischen und US-amerikanischen Schauspielern zusammen | |
| und sprechen je ihre eigene Sprache. Für die Zuschauer:innen wird per | |
| projizierter „Untertitel“ übersetzt. Eine der Darsteller:innen, die Kafuku | |
| auswählt, spielt ihren Part sogar in Zeichensprache. Hamaguchi gelingt hier | |
| das Kunststück, so punktgenau den alles erstickenden Gutwillen der | |
| internationalen Kulturdenkmalsbranche darzustellen, dass man die | |
| satirischen Untertöne fast überhört. | |
| Es ist eine Ironie, die der von Tschechow sehr, sehr nahekommt. Wie in den | |
| Theaterstücken des Russen wendet sich auch in Hamaguchis Film die Ironie | |
| nie gegen die Figuren. Ihr alltägliches Tun wird fast auf pathetische Weise | |
| ernst genommen, aber nicht unbedingt die Lebenskonstruktionen, die sich | |
| daraus ergeben. | |
| Der rote Saab rückt in den Mittelpunkt nicht nur der Küstenlandschaft, die | |
| die Kamera in Grauwettertönen einfängt. Aus versicherungstechnischen | |
| Gründen lassen die Veranstalter in Hiroshima Kafuku nicht selbst Auto | |
| fahren. Er, der sich extra eine Stunde entfernt ein Hotelzimmer gemietet | |
| hat, damit er auf den Fahrten in Einsamkeit seinen Text studieren kann, | |
| muss sich mit einem Chauffeur abfinden. | |
| Der Chauffeur stellt sich als junge Frau namens Misaki (Tōko Miura) heraus, | |
| deren schweigsamer Fahrstil den melancholischen Regisseur aber schnell | |
| überzeugt. Nach ein paar Fahrten vertraut er ihr sogar so weit, dass er es | |
| ihr überlässt, die Tschechowkassetten mit der Stimme seiner Frau | |
| einzulegen. | |
| ## Sich bei der Trauerarbeit Gesellschaft leisten | |
| Von da an rhythmisieren die Fahrten der beiden den Film. Auf der Plotebene | |
| geschieht das Erwartbare: Vertrauen wird gefasst, kleine Zugeständnisse | |
| führen zu verhaltenen Lebensbeichten. Der ältere Mann und die noch sehr | |
| junge Frau leisten sich Gesellschaft bei der Trauerarbeit um ihre je | |
| eigenen Verluste. Nichts Besonderes also. | |
| Die große Faszination dieses Films liegt darin, wie Hamaguchi diesem | |
| weitere Schichten von Bedeutung und Suggestion hinzufügt, und das nur durch | |
| die Länge von Einstellungen, den Rahmen des Bildausschnitts und ein | |
| Tondesign, das aus dem dumpfen Summen im Wageninnern einen | |
| untergründig-emotionalen musikalischen Soundtrack macht. | |
| Doch während Kafuku sich mit seiner Chauffeurin in immer mehr Gleichklang | |
| hineinfährt, kommen bei seiner Theaterarbeit mehr und mehr Dissonanzen und | |
| Irritationen auf. Einen der Störfaktoren hat er sich selbst ausgesucht, | |
| indem er für die Rolle von Onkel Wanja den jungen Filmstar Kōji (Masaki | |
| Okada) besetzt hat, von dem er glaubt, er sei der Liebhaber seiner Frau | |
| gewesen. Aber weiß er es genau? | |
| Ist die Tatsache, dass Kōji eine von Otos Post-Orgasmusgeschichten kennt, | |
| ein Geständnis? Kōji selbst ist eine Chaosfigur; wo Kafuku und seine | |
| Fahrerin hinter ungerührten Gesichtern ihre Dramen mit sich selbst | |
| ausmachen, agiert Kōji alles aus und richtet Zerstörung an, wohin er kommt. | |
| ## Wunderbar assoziativ ins Filmische übersetzt | |
| „Drive My Car“ beruht auf mehreren Erzählungen von [2][Haruki Murakami], | |
| dessen kühl beobachtenden Innerlichkeitston Hamaguchi wunderbar assoziativ | |
| ins Filmische übersetzt. Aber Tschechow mit seinen hier so oft und | |
| ausführlich repetierten Sätzen verleiht dem Ganzen noch eine weitere Note: | |
| In Parallelität zu Wanja und Sonja aus dem Stück bestärken Kafuku und | |
| Misaki sich gegenseitig darin, weitermachen zu müssen, auch ohne Hoffnung | |
| darauf, dass es besser wird. | |
| Aber wie Wanja und Sonja sind sie in ihrer Selbstverstricktheit auch | |
| ignorant gegenüber dem Leiden um sie herum: Dass der Mord, der passiert, | |
| während sie tatenlos im Auto warten, etwas mit ihrem Leben zu tun haben | |
| könnte, kommt ihnen nicht in den Sinn. | |
| Ein japanischer Dreistundenfilm, der von einer Theateraufführung handelt, | |
| so etwas hakt man schnell mit dem Label „Nicht jedem sein Ding“ ab. Dem zum | |
| Trotz erweist sich „Drive My Car“ dieser Tage als everybody’s Lieblingsfi… | |
| mit großen Oscar-Chancen. Tatsächlich fühlt man sich als Zuschauer nach | |
| Ablauf der 179 Minuten fast frischer als am Anfang, so fesselnd und | |
| entspannt zugleich war der Trip. | |
| 22 Dec 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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