# taz.de -- Gangsterkomödie „First Love“ auf DVD: Liebe und viel Blut | |
> Krawallregisseur Takashi Miike bringt in der Komödie „First Love“ einen | |
> Boxer und eine Sexarbeiterin zusammen – und viele Yakuza ins Grab. | |
Bild: Er ist ohne Illusionen, sie hat Halluzinationen: Leo und Monica auf der F… | |
Gewalt im Film bietet oft Anlass für Kontroversen. Angefangen damit, dass | |
es die verbreitete Ansicht gibt, Gewalt solle im Kino am besten gar nicht | |
gezeigt werden. Filmemacher, die sich expliziter Gewaltszenen bedienen, | |
bekommen denn auch gern den Vorwurf gemacht, sie bedienten lediglich | |
niedrige Instinkte oder Ähnliches, wollten sich mithin durch ein tiefrot | |
ausgemaltes Spektakel vor allem ihr geneigtes Publikum sichern. | |
Der [1][japanische Filmemacher Takashi Miike] ist bekannt für exzessiv | |
dargestellte Gewalt, auch seine soeben auf DVD erschienene Gangsterkomödie | |
„First Love“ macht da keine Ausnahme. In einem seiner berühmtesten Filme | |
etwa, „Audition“ von 2000, muss das Publikum zehn Minuten lang | |
mitverfolgen, wie eine Frau einen Mann unter Drogen setzt und diesen dann, | |
bewegungsunfähig gemacht, ausgiebig foltert, bis sie schließlich | |
Schlimmeres mit ihm anstellt. | |
Schockierend ist das ohne Zweifel. Man kann diese Szene aber unschwer als | |
drastische Kritik an männlicher Gewalt gegenüber Frauen erkennen. Miike | |
dreht hier buchstäblich den Spieß um. | |
Miikes aktueller Film „First Love“ handelt ebenfalls von Gewalt gegen | |
Frauen, doch ist dies lediglich ein Strang dieser kräftig gegen den Strich | |
gebürsteten Liebesgeschichte. Monica (Sakurako Konishi) ist Prostituierte | |
wider Willen. Ihr Vater, der sie früher häufig geschlagen hat, überließ sie | |
irgendwann einem Yakuza-Clan. Bei dem hatte der Vater zu viele Schulden | |
angehäuft, jetzt muss seine Tochter anschaffen, um seine Altlasten zu | |
begleichen. | |
Monica wird in einer Wohnung der Gangster gefangengehalten, ist | |
drogensüchtig. Wenn sie nüchtern wird, plagen sie Halluzinationen: Immer | |
wieder erscheint ihr dann die Gestalt ihres Vaters. Sakurako Konishi lässt | |
diese Monica als panisch Getriebene durch den Film stolpern. | |
## Er kann halt nur boxen | |
Durch einen Zufall trifft Monica, die bürgerlich Yuri heißt, auf den jungen | |
Boxer Leo (Masataka Kubota). Der ist zwar wahnsinnig talentiert, hat aber | |
im Grunde keinerlei Ambitionen. Als Waisenkind aufgewachsen, fühlt er sich | |
niemandem verpflichtet. Boxen tut er einfach, weil er nichts anderes kann. | |
Masataka Kubota gibt diesen Leo maximal abgebrüht unbeteiligt. Seit ihm ein | |
Hirntumor diagnostiziert wurde, hat dieser ohnehin nichts mehr zu | |
verlieren. | |
Das Zusammentreffen von Monica und Leo verdankt sich einem Yakuza-Plot, in | |
dem ein eigenmächtig handelnder Clan-Gangster und ein korrupter Polizist | |
planen, sich eine für den Clan bestimmte Lieferung Crystal Meth unter den | |
Nagel zu reißen. Als Bauernopfer wählen sie Monica aus, der sie den | |
Drogenklau unterschieben wollen. Diese wohnt praktischerweise schon bei dem | |
Gangster, der regelmäßig die Drogenlieferungen entgegennimmt. | |
Damit Monica beim Drogenraub nicht im Weg ist, „bucht“ der Polizist sie für | |
den Termin der Drogenlieferung. Später soll sie aus dem Weg geschafft | |
werden. | |
## Nach allen Regeln der Kunst gesetzter Fausthieb | |
Bei dem Deal geht einiges schief, angefangen damit, dass Monica, während | |
sie mit dem Polizisten auf der Straße unterwegs ist, erneut von der | |
Erscheinung ihres Vaters heimgesucht wird und reißaus nimmt. Der Polizist | |
verfolgt sie, Monica ruft um Hilfe. Da kommt Leo des Wegs und interpretiert | |
die Situation derart, dass er den Polizisten mit einem nach allen Regeln | |
der Kunst gesetzten Fausthieb niederstreckt. Danach flieht er mit Monica. | |
Die Geschichte der Begegnung von Monica und Leo und des Drogenraubs | |
kompliziert sich im Folgenden dadurch, dass ein chinesischer Clan mit dem | |
Yakuza-Clan einen Krieg anzetteln will. Auf einmal sind jedenfalls nicht | |
nur die japanischen Gangster hinter dem unfreiwilligen Paar her, sondern | |
auch die chinesischen. | |
Auf beiden Seiten wird es im Verlauf der Handlung, die Miike nach und nach | |
immer atemloser – und immer gewalttätiger – inszeniert, viele Opfer geben. | |
Doch verfolgen Miikes Gangster nicht allein kalt ihre Geschäftsinteressen, | |
sie erweisen sich mitunter durchaus als Menschen mit eigenem Wertesystem. | |
## Gewalt hat in Filmen ihren Platz | |
Über Gewalt im Film hat Miike einmal gesagt, dass er diese nicht des reinen | |
Schocks wegen einsetzt. Ihn ängstigten vielmehr am meisten solche Kollegen, | |
die die Gewalt unter den Teppich kehrten. Was nicht heißen soll, dass alle | |
Filme zwingend Gewalt nötig hätten, um wahrhaftig zu sein. Man kann Miikes | |
Einlassung als Plädoyer dafür verstehen, dass Gewalt in Filmen ihren Platz | |
hat. In bestimmten zumindest. | |
Auf Miike angewandt heißt das: in sehr vielen Filmen. Mehr als 100 | |
erstellte der Schnellarbeiter seit seinem Debüt „Eyecatch Junction“ von | |
1991. Nicht alles davon ist aufwendig produziert. Für „First Love“ hat er | |
sich immerhin eine Verfolgungsjagd mit zahllosen Polizeiwagen gegönnt. Der | |
spektakulärste Moment ist allerdings – unvermittelt – als Animation im | |
Comic-Stil gehalten. | |
Denn bei allem Blut hat Miike viel Sinn für Humor, nicht bloß für | |
schwarzen. In einer Szene von „First Love“ greift Leo sogar zu einer | |
eigenwilligen therapeutischen Intervention: Als Monica wieder einmal von | |
ihren Halluzinationen geplagt wird, steckt er ihr seinen Kopfhörer mit | |
Musik ins Ohr. Das Gespenst ihres Vaters beginnt darauf, im Rhythmus dazu | |
zu tanzen. | |
5 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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