# taz.de -- Slapstick im japanischen Gangsterfilm: Modelle des Scheiterns | |
> „Dangan Runner“ ist ein Klassiker des japanischen Kinos. Mit Witz erzählt | |
> der Regisseur Sabu von der anstrengenden Performance der Männlichkeit. | |
Bild: Eigentlich hatte sich Yasuda (Tomorowo Taguchi) die Waffe für einen Bank… | |
Auch schon vor „Barbie“ gab es Filme, die Gender-Stereotype mit | |
spielerischem Touch aufs Korn nahmen. Nur dass sie meist ausschließlich von | |
„Kens“, also Männern, handelten. Der [1][japanische Regisseur Sabu] hat | |
seit seinem Regiedebüt „Dangan Runner“ von 1996 das beständige Pech, mit | |
[2][Quentin Tarantino] verglichen zu werden, nur weil auch in seinen Filmen | |
Verbrecher mit Attitüde auftreten und Gewaltszenen sich absichtlich | |
unangemessen mit schwarzem Humor mischen. Dabei bilden in „Dangan Runner“ | |
sowohl die Yakuza-Männerbünde in ihren feinen Anzügen als auch die Gewalt | |
nur den Hintergrund. Im Vordergrund nämlich stehen, besser gesagt rennen, | |
drei junge Kerle und überdenken dabei ihre Rolle im Leben. | |
Der Verleih Rapid Eye Movie bringt den hierzulande unbekannten Klassiker | |
nun in seiner Zeitlos-Reihe ins Kino. | |
Die drei jungen Kerle repräsentieren, wenn man so will, verschiedene | |
Modelle männlichen Scheiterns: Ganz vorne rennt Yasuda (Tomorowo Taguchi), | |
der gerade mit Schimpf und Schande und einer Ladung Kraut auf den Haaren | |
aus seinem freudlosen Restaurantküchenjob entlassen wurde. Die Freundin | |
ist ihm schon vor Längerem mit einem anderen davongelaufen. In den ersten | |
Szenen des Films sah man ihn noch mit Stoppuhr in der Hand in großer | |
Präsizion einen Banküberfall planen. | |
Doch dann, als er am Tag X pünktlich vor den Glastüren der Bank steht, | |
fällt ihm ein, dass er den Maskenschutz vergessen hat. Er eilt in den | |
nächsten Minisupermarkt, wird prompt beim Klauen erwischt – er hat kein | |
Geld dabei – und hat von da an den Kassierer Aizawa (Diamond Yukai) auf den | |
Fersen. Aizawa selbst träumt vom Ruhm als Rockmusiker, was aber auch bloß | |
die Fantasien seiner Heroinsucht sein könnten. | |
## Großmäulig und feige | |
Seinen Stoff bezieht er von Takeda (Shinichi Tsutsumi) im Haileder-Anzug, | |
der die beiden durch den Markt rennen sieht und seinerseits die Verfolgung | |
aufnimmt. Zum einen, weil ihm Aizawa offenbar Geld schuldet, und zum | |
anderen, weil er einen Akt von Feigheit kompensieren will. Anders nämlich | |
als zuvor großmäulig behauptet, hat er für seinen Boss, einen wichtigen | |
Yakuza-Mann, nicht sein Leben gegeben, sondern ist schnell und gelenkig | |
ausgewichen, als ein Messerattentäter des Wegs kam. | |
So rennen sie hintereinander her, Yasuda, Aizawa und Takeda, fast die | |
gesamten 82 Minuten des Films lang – und dabei erzählt Sabu keineswegs in | |
Realzeit. Während sie rennen, vergeht der Nachmittag, es wird Abend und | |
Nacht. Ihr Hecheln legt sich immer wieder als Rhythmus über den Filmscore, | |
aber während ihr Laufen mehr und mehr jeden Anschein von Realismus | |
verliert, lädt sich ihre Anstrengung mit Bedeutung auf. Um sie herum | |
ereignet sich das Übliche: Rivalisierende Gangster rüsten sich zur | |
Konfrontation, die Polizei plant ein Dazwischengehen. | |
Wie viele Independent-Filme der 90er Jahre, darin tatsächlich mit Tarantino | |
vergleichbar oder auch mit Tom Tykwers „Lola rennt“ von 1998, bezieht sich | |
Sabu nicht nur auf Gangsterfilme und Genre-Konventionen, sondern spielt mit | |
den Erzählmöglichkeiten des Kinos selbst. | |
Man achte zum Beispiel darauf, wie gut „Dangan Runner“ auch als Stummfilm | |
funktionieren würde. Der Humor resultiert meist aus sorgfältig | |
choreografierten Slapstick-Situationen, es gibt kaum expositorischen | |
Dialog. Die wichtigsten Sätze, etwa wenn Yasuda am Ende konstatiert: | |
„Vielleicht habe ich einfach nur mal einen guten Lauf gebraucht“, könnte | |
man sich auch gut als Schrifttafel vorstellen. | |
Ansonsten schneidet Sabu zwischen verschiedenen Figuren und ihren | |
Perspektiven, zwischen unterschiedlichen Orten und Zeiten hin und her, und | |
trotzdem verliert man nie den Überblick. Zum großen Teil sind das die voll | |
besetzten Autos der Cops und der Gangster; der Parallelschnitt stellt die | |
Ähnlichkeit ihrer performativen Männer-Coolness-Routine heraus, wobei es | |
hier die Polizisten sind, die mehr Filmzitate draufhaben. | |
In einer der augenfälligsten Sequenzen rennen die drei Läufer an einer | |
attraktiven Frau vorbei, die sich gerade zu Boden beugt. Yasuda erhascht | |
einen Blick in ihren Ausschnitt, Takeda bewundert die Rundung ihres | |
Hinterns, für alle drei montiert Sabu erotische Fantasien in den Lauf. Ihr | |
Hecheln wird kurzfristig doppeldeutig; der eigentliche Witz der geträumten | |
Sexszenen aber besteht darin, wie sich in ihnen die unterschiedlichen | |
Persönlichkeiten ihrer Träumer spiegeln. | |
Denn das ist das wahre Wunder dieses Films: wie viel man über die drei dann | |
doch erfährt, obwohl man sie nur beim Rennen und in wenigen knappen | |
Rückblenden sieht. Wenn sie zuletzt in stummfilmhafter | |
Slapstick-Zufälligkeit dann doch wieder im großen Getümmel der Cops und | |
Gangster landen, sind sie es, die das Treffen und damit das Genre selbst | |
von unten aufmischen. | |
15 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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