| # taz.de -- Japanischer Comic-Großmeister: Der einarmige Zeichner | |
| > Shigeru Mizuki schuf Antikriegs-Mangas. Und er erzählt auf phantastische | |
| > Weise von seiner Jugend in Japan vor und während des Zweiten Weltkriegs. | |
| Bild: Shigeru Mizuki – Kindheit und Jugend | |
| In der japanischen Armee heißt es: Strohmatten und Rekruten haben eines | |
| gemein – je mehr man sie schlägt, desto besser werden sie.“ Diesen Spruch | |
| hat sich der Rekrut Shigeru leicht merken können – denn schon beim | |
| kleinsten Widerspruch gegenüber Ranghöheren, selbst bei einer harmlosen | |
| Frage, hagelte es Backpfeifen. Der so Schikanierte sollte 1944, bei einem | |
| Bombardement der US-Armee, seinen linken Arm verlieren. | |
| Obwohl Linkshänder, lernte er daraufhin, mit dem rechten Arm zu schreiben | |
| und zu zeichnen. Und wurde zu einem der berühmtesten Mangaka | |
| (Comiczeichner) Japans. | |
| Shigeru Mizuki lebte von 1922 bis 2015 und war bis vor wenigen Jahren | |
| außerhalb Japans noch weitgehend unbekannt. Nach ersten Übersetzungen ins | |
| Englische und ins Französische wurde er in Angouleme 2007 mit dem Preis für | |
| das beste Album (für „Tante NonNon“) ausgezeichnet. Im letzten Jahr hat der | |
| Reprodukt Verlag begonnen, auch deutschen Lesern eine Auswahl seiner | |
| wichtigsten Werke zugänglich zu machen („Hitler“, „Auf in den Heldentod�… | |
| und setzt diese Reihe nun fort. | |
| Mizukis Vielseitigkeit sticht dabei sofort ins Auge. Er arbeitet sowohl mit | |
| fantastischen wie auch mit realistischen, autobiografischen oder | |
| historischen Bezügen. Ästhetisch unterscheidet sich Mizukis Stil deutlich | |
| vom herkömmlichen Manga, den der von Walt Disney beeinflusste „Gott des | |
| Manga“ Osamu Tezuka („Kimba“, „Astro Boy“) nach 1945 entscheidend pr�… | |
| ## Keine Rehaugen | |
| Überwiegen in Mainstream-Mangas häufig schematische Figurendarstellungen – | |
| etwa übergroße Rehaugen, überlange Beine der Protagonisten, | |
| effekthascherisches Seitenlayout –, so geht Mizuki einen anderen Weg. Er | |
| zeichnet seine Figuren als einfache, oft ins Groteske überzeichnete | |
| Karikaturen und schafft für sie realistische Hintergründe. Diese entstehen | |
| meist auf der Grundlage von Fotos. Seine Erzählweise ist dabei insgesamt | |
| humoristisch und satirisch. | |
| Mizukis Karriere begann nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Zeichnen von | |
| Bilderfolgen für das japanische Kamishibai-Papiertheater. Danach schuf er | |
| erste Mangas für Leihbibliotheken. 1959 erfand er die Figur, die seinen | |
| Ruhm begründete: „Kitarō, der Geisterjunge vom Friedhof“. Mit dieser und | |
| weiteren Mangaserien (sowie deren Anime-Verfilmungen) belebte er alte | |
| japanische Volksmärchen neu – Generationen japanischer Kinder lernen diese | |
| seitdem vor allem in Mizukis Version kennen. | |
| „Kindheit und Jugend“ heißt das zuletzt erschienene Werk, das sich | |
| hervorragend als Einstieg in Mizukis Universum eignet. Es ist der erste von | |
| drei Bänden einer 1.500-seitigen gezeichneten Autobiografie. Sie beginnt | |
| mit der Geburt des Zeichners in Osaka und endet mit der Einberufung zum | |
| Kriegsdienst 1943. | |
| ## An Japans Westküste | |
| Es erzählt zunächst vom behüteten Aufwachsen des kleinen Shigeru in | |
| bürgerlichem Milieu in der Kleinstadt Sakaiminato an Japans Westküste. Und | |
| von einer zunehmend fragilen Gesellschaft. Durch die Weltwirtschaftskrise | |
| 1929 endet eine Ära des Wohlstands. Große Bevölkerungsteile verarmen. Der | |
| kulturbeflissene Vater, der zeitweilig ein Kino betrieb, hat zunehmend | |
| Schwierigkeiten, seine Familie zu versorgen. | |
| Tante NonNon, eine verarmte alte Frau, wird zu Shigerus Kindermädchen. Sie | |
| führt ihn in die gruselige Welt des japanischen Aberglaubens ein. Fortan | |
| lauern dem kleinen Shigeru an jeder Ecke „Yōkai“, Geister, auf. Die Welt | |
| der Kinder ist nicht gerade unschuldig: Banden der Nachbarorte liefern sich | |
| brutale Straßenkämpfe. | |
| In der Schule ist Shigeru bei Mitschülern beliebt, da er auf Kommando – | |
| besonders gerne in feierlichen Momenten – laut zu furzen versteht. Als | |
| Jugendlicher ist er träge und verfressen. Doch liest er auch gerne Bücher, | |
| besonders Eckermanns Gespräche mit Goethe. In einer Szene wandelt Shigeru | |
| verträumt, „auf der Suche nach Frau von Stein“ durch die Straßen und stel… | |
| sich Sakaiminato als Weimar vor. | |
| Mit oft hinreißender Selbstironie gelingt Mizuki so ein oftmals abgründiges | |
| Porträt seiner Jugend. Der zunehmende Nationalismus in Japan wird früh | |
| gestreift. Der Zeichner erinnert daran, wie die Soldaten bereits von | |
| kleinen Kindern als Helden verehrt wurden. Unterbrochen werden die aus | |
| Sicht Shigerus erzählten Episoden gelegentlich von Kommentaren des | |
| „Rattenmannes“. Sie ist eine bekannte Yōkai-Figur aus „Kitarō“ und fu… | |
| hier als Alter Ego Mizukis. So vermag der Autor, Erläuterungen zu | |
| politischen Ereignissen im zunehmend imperialistisch-aggressiven Japan | |
| einzustreuen. | |
| ## Zweiter Weltkrieg | |
| Und schließlich ist der Krieg da. Nach der Grundausbildung, in der Mizuki | |
| sich selbst als tölpelhaften „Schütze Arsch“ zeichnet, werden die Soldaten | |
| auf einen übervollen Frachter gepfercht und ins Zentrum des Krieges nach | |
| Guadalcanal befördert. Ein Vorgeschmack auf das später erlebte | |
| Selbtmordkommando: in Panik erdrücken sich die Soldaten fast selbst, als | |
| sie bei einem falschen Alarm über die Strickleiter an Deck zu kommen | |
| versuchen. Danach erfahren sie: es war nur eine Notfallübung. | |
| Der erste Teil der in den 2000er Jahren entstandenen Autobiografie bietet | |
| einen derb-humorigen, aber auch tiefsinnigen Einblick in eine [1][nur | |
| scheinbar fremde Kultur] und ein reiches Leben. Sie bricht vor dem | |
| entscheidenden Kriegseinsatz ab. Doch gibt es die Möglichkeit, die Lektüre | |
| sogleich fortzusetzen und zum Band „Auf in den Heldentod!“ zu greifen. | |
| In diesem bereits 1973 erschienenen Antikriegs-Manga schilderte Mizuki | |
| seine Erfahrungen im Pazifikkrieg minutiös und als Fiktion getarnt (hier | |
| nennt er sich, erkennbar an der runden Brille, Maruyama). Zunächst glauben | |
| die Rekruten angesichts der idyllischen Inselkulisse Neu-Britanniens | |
| (Papua-Neuguinea), im Paradies gelandet zu sein. Doch sie werden durch | |
| unsinnigste Befehle aufgerieben. | |
| Einige sterben an Malaria, andere werden von Krokodilen gefressen oder | |
| ersticken auf absurde Weise beim Fischfang. Die Versorgung ist knapp. Der | |
| dauerhungrige Maruyama versteckt gar eine Bananenstaude in einem | |
| Bombentrichter. | |
| ## Kauzige Typen | |
| Die einfachen japanischen Soldaten werden keineswegs, wie oft fälschlich | |
| verallgemeinert, als fanatisierte Harakiri-Kämpfer charakterisiert. Es sind | |
| eher normale, kauzige Typen, Zwangsrekrutierte, die den Entscheidungen der | |
| kaiserlichen Offiziere hilflos ausgeliefert sind. Sie werden zu Beginn | |
| ihres Einsatzes auf den „Heldenkampf“ eingeschworen. Und sollen den | |
| „Heldentod“, als die Niederlage des kaiserlich-faschistischen Regimes | |
| bereits absehbar ist, unbedingt noch sterben – wie einst der berühmte, | |
| kaisertreue Samurai Dai-Nankô. | |
| Die nationalistisch aufgeladene, mit Samurai-Legenden veredelte Ideologie | |
| der höheren Ränge macht Mizuki mit einfachen, aber effektiven | |
| künstlerischen Mitteln anschaulich. Auf dem Höhepunkt seiner Rede bekommt | |
| der Bataillonskommandeurs einen Strahlenkranz um sich herum gezeichnet, | |
| passend zu dessen feierlich-dümmlichem Pathos. | |
| Nach der Schlacht schafften es dann doch einige aus der dem Tod geweihten | |
| Kompanie ins Lager zurück. Zwei ihrer Leutnants mussten Harakiri begehen, | |
| um die Schande des Rückzugs wiedergutzumachen. Gegen Ende überzeichnet | |
| Mizuki die Wirklichkeit, indem er die anmaßenden Befehle des Kommandostabs | |
| ins Absurde steigert. | |
| Als Kontrast zu den karikiert gezeichneten Charakteren und den satirisch | |
| zugespitzten Dialogen collagiert und bearbeitet Mizuki Fotografien von | |
| Kriegshandlungen vor tropischer Kulisse, was oft einen irritierenden | |
| hyperrealen Effekt erzeugt. So erschafft Mizuki ein dichtes apokalyptisches | |
| Panorama eines sinnlosen Krieges, das für seine Entstehungszeit | |
| ungewöhnlich und mutig war. Ähnlich wie der im gleichen Jahr 1973 | |
| erschienene epische Manga „Barfuß durch Hiroshima“, in dem der Zeichner | |
| Keiji Nakazawa den selbst erlebten Atombombenabwurf auf Hiroshima | |
| verarbeitete. | |
| Shigero Mizukis Mangas sind eine echte Entdeckung. Sie bieten eine Fülle | |
| erhellender Details über die Geschichte und Kultur Japans und sind dabei | |
| höchst unterhaltsam zu lesen. | |
| 29 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralph Trommer | |
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