# taz.de -- Pseudodoku „Safe Word“ auf DVD: Lust am Befreien | |
> Dem Genuss der Demütigung und weiteren Übertretungen gilt ein Club, um | |
> den sich alles in dem japanischen Pseudodokumentarfilm „Safe Word“ dreht. | |
Bild: Im Lehrsaal der Fesselkünste, Szene aus„Safe Word“ (Japan 2022, Regi… | |
Misa steht auf der Bühne und rappt über ihre Undergroundkarriere als | |
Wrestlerin. Nicht dass man sie jemals im Kampf sieht, aber ihr Ruhm reicht | |
immerhin, dass sich eine Dokumentarfilmregisseurin für sie interessiert. | |
Sie filmt alles mit. | |
„Safe Word“ ist ein Pseudodokumentarfilm, was zu heftig wackelnder Kamera | |
und dem Schein von Unmittelbarkeit führt. Gelegentlich kommt es auch zu | |
kurzen Interaktionen zwischen den Beteiligten und der Im-Film-Regisseurin, | |
die man nur in einer Szene auch vor der Kamera sieht. Nach dem Konzert | |
kommt eine Frau namens Tsubaki auf die Wrestlerin/Rapperin zu und drückt | |
ihr eine Visitenkarte in die Hand. Sie betreibt einen Club namens H, sie | |
sieht in Misa ein großes Talent. | |
Aus dem Kleingedruckten, das Misa zunächst übersieht, geht hervor: H steht | |
für Hentai. Im Westen ist das eher ein Pauschalbegriff für Manga- oder | |
Anime-Pornografie, im Japanischen bedeutet es dagegen spezifischer – und so | |
wird es hier auch übersetzt – „Perversion“. H, der Club, ist ein Tempel … | |
Lüste, in dem alle ihrem Begehren dahin folgen dürfen, wohin es sie treibt, | |
solange es bei allen Beteiligten bei den vorab getroffenen Verabredungen | |
bleibt. | |
Weil das Übertreten der Untersagung die Lust steigern kann, heißt Nein hier | |
nicht Nein. Jedes Wort, jeder Befehl wird zu Spielmaterial, einzig das | |
„Safe Word“ – so gewählt, dass es im Spiel keinen Ort haben kann – bed… | |
eindeutig: „Stopp“. | |
Auftritt eines berühmten Schauspielers, der sich im Club mit Freude | |
auspeitschen lässt; nebenbei wird in „Safe Word“ die Geschichte seiner | |
Selbstbefreiung erzählt. Er folgt seiner Lust, und zwar auf Befehl seiner | |
Domina nackt auf der Straße, das führt zum Skandal. In der einberufenen | |
Pressekonferenz nimmt er die Maske ab und man sieht, er hat sich das | |
Bekenntnis zum Hentai-Sein, zum Genießen der eigenen Demütigung, auf die | |
Wangen tätowiert. | |
## Versteckte Talente | |
Auftritt einer geheimnisvollen Frau namens Kanon; deren Aufforderung zur | |
Intimrasur folgt Misa erst zögerlich, auch gegenüber der ersten Golden | |
Shower vor Publikum ist sie noch sehr ambivalent. Die Mockumentary-Kamera | |
ist immer dabei, im Internet, in dem sie als Influencerin agiert, schweigt | |
Misa zunächst, aber nicht bis zuletzt, von der Sache. | |
Die Spielart der „Perversion“, auf die sich der Club H vor allem | |
spezialisiert hat, ist BDSM. Misa erlebt ihre Initiation ins sexuelle Spiel | |
mit Geknechtetwerden und Knechten, mit Gefesseltwerden und Fesseln, | |
Club-Chefin Tsubaki hat das versteckte Talent zur Domina in ihr ganz | |
richtig erkannt. | |
Von der dunklen Vorderbühne geht es ins helle Hinterzimmer des Clubs, hier | |
steht der eine oder andere Diwan, vor allem aber sind rote Stränge ziemlich | |
kunstwerkhaft quer durch den Raum dekoriert. Hier nun lässt sich Misa von | |
Kanon in die Fesselkünste einführen und kunstvoll verschnüren, bis sie die | |
Orgasmen weniger durchzittern als schütteln. | |
„Safe Word“ ist narrativ und auch sonst nicht in erster Linie stringent, | |
aber das ist ziemlich egal. Die filmische Lust am Befreien, der Aufruf, | |
sich nicht durch die rigiden Konventionen der Gesellschaft im Bekenntnis | |
zur eigenen Lust (und zur eigenen Identität) einengen zu lassen, sind | |
glaubhaft und echt. Und bitter nötig, auch in Japan, wie das Schicksal von | |
Ryuchell zeigt, der*m Darsteller*in der Club-Chefin Tsubaki. | |
Ryuchell war (Genderless Fashion) Model, Influencer*in, Aktivist*in für | |
LGBTQ-Belange und seit 2022 offiziell nicht mehr als Mann identifiziert. In | |
diesem Jahr hatte Ryuchell begonnen, sich, wie im Film, als Frau zu | |
präsentieren, ohne sich öffentlich als trans zu bezeichnen. Der Hass, der | |
Ryuchell in den sozialen Medien entgegenschlug, war enorm. Am 12. Juli hat | |
Ryuchell sich das Leben genommen. Ekkehard Knörer | |
3 Aug 2023 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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