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# taz.de -- Zeitreise in das Berlin der Nullerjahr: Widerborstig, voller Haken …
> Der queere Porno „Bonking Berlin Bastards“ feiert sein Zwanzigjähriges.
> Anlässlich dessen bringt das Berghain-Label A-Ton den Soundtrack raus.
Bild: Das Artwork der Platte ist ein Filmstill aus „Bonking Berlin Bastards“
Man existiert nur noch im Lockdown- und Homeoffice-Modus, fühlt sich beengt
und klaustrophobisch in der Stadt und dann sieht man diesen 20 Jahre alten
queeren [1][Hardcore-Fetisch-Porno] und der Kontrast zwischen den Bildern
und dem aktuellen Zustand könnte kaum größer sein. In der für die Berliner
Independent-Gay-Porno-Schmiede Cazzo gedrehten Produktion des Regisseurs
ebo hill „Bonking Berlin Bastards“ wird ein Empfinden der totalen
Libertinage, der grenzenloses Freiheit beschrieben.
Ein Berlin-in-den-Neunzigern-Lebensgefühl, auch wenn der Film erst Anfang
der Nuller Jahre entstanden ist. Man cruist durch die Stadt, lebt mal hier,
mal dort, findet Freiräume in halbverfallenen Gebäuden, um dort zu tun, was
immer einem gefällt.
Das gibt es heute alles nicht mehr. Nicht bloß, weil gerade die Pandemie
bestimmte Freiheitsrechte einschränkt, sondern weil dieses Berlin nicht
mehr existiert. Die Stadt bringt heute schließlich eher Investoren zum
Träumen als ihre Bürger und an den Orten, in denen man damals so schön
rumhängen konnte, stehen heute Büros oder zu teure Appartements oder
sonstwas.
Dass man bei einem Porno überhaupt anfängt, von bestimmten Settings zu
schwärmen und sogar so etwas wie eine Handlung auszumachen versucht, ist
bei der Betrachtung von “Bonking Berlin Bastards“ ja schon erstaunlich
genug. Man schaut ihn wirklich gerne von Anfang bis zum Ende, was man bei
einem Porno sonst bekanntlich eher selten tut, außer vielleicht bei jenen
Exemplaren dieses [2][Genres mit dezidiert künstlerischem Anspruch].
## Fetisch-Gay-Porno passt zum Berghain-Lebel
Genauso verwunderlich ist der Anlass, der dazu geführt hat, diesen alten
Streifen nochmals hervorzukramen. Das Inhouse-Label des Berghain, A-Ton,
hat nun, zum zwanzigjährigen Jubiläum des Films, erstmalig den Soundtrack
dazu auf Platte veröffentlicht.
Der Manager des Labels – so die Hintergründe, die zur Veröffentlichung
geführt haben – hat ihn bei Freunden gesehen und war sehr angetan von der
dazugehörigen Musik. Also: einfach unter die Leute damit. Dass das
Berghain-Label die Musik zu einem Fetisch-Gay-Porno herausbringt, passt
natürlich.
Das Ostgut, der Vorläufer des Berghain, war von Beginn an stark in der
Schwulenszene verwurzelt und das [3][Berghain ist es immer noch]. Das dazu
gehörende Lab.Oratory ist zudem ein Fetischsex-Club, in dem man gut und
gerne Szenen für ein Sequel von „Bonking Berlin Bastards“ drehen könnte.
Auch der Soundtrack ermöglicht eine Zeitreise in das Berlin zur
Jahrtausendwende. Die Musik ist roh, ungeschliffen, industriell. Noch nicht
das gepflegte ewige Bumm Bumm, mit dem heute die Partys am Laufen gehalten
werden, sondern widerborstig und voller Haken und Ösen.
## Sound von Acts AeoX und Rouage alias CNM
Die beiden für den Sound zuständigen Acts AeoX und Rouage alias CNM krieren
Sounds zwischen Technopunk, Industrial und Geräuschmusik. Musik, die damals
auch auf einschlägigen Underground-Partys in Locations wie der Grünen Hölle
oder dem Stellwerk zu hören war, die es beide nicht mehr gibt und in denen
auch Teile von „Bonking Berlin Bastards“ entstanden sind.
In der Nummer „Kesseltreiben“ von AeoX wird dann sogar noch ordentlich die
Gitarre geschrubbt und bei der Hymne „Ficken“ klingt derselbe Act fast
schon wie eine vom zu vielen Dosenbier besoffene Deutschpunkcombo. Während
Rouage ihre Geräuschcollage „Syrinx (in Öl)“ mit ungewöhnlichen,
psychedelisch anmutenden Flötentönen durchzieht.
Als eigenständiges Werk funktioniert der Soundtrack erstaunlich gut. Selbst
die paar eingestreuten Skits nimmt man gerne mit. Etwa das zweiminütige
Referat über „Dreierlei Fickblick“, in dem sich über unterschiedliche Art…
von Geilheit in der visuellen Kommunikation ausgelassen wird.
Der Sound ist natürlich oldschool total, produziert mit alten Maschinen und
das hört man auch. Tanzmusik ist das nur selten, aber das passt dann ja
auch wieder zum aktuellen Pandemiezustand, wo man mit solcher sowieso nur
wenig anzufangen wüsste.
In den letzten Jahren gab es durchaus eine kleine Renaissance des
Gay-Porno-Soundtracks, was mit der Figur Patrick Cowley zusammenhängt. Der
war Ende der Siebziger und Anfang der Achtziger nicht nur an
Disco-Klassikern von Sylvester beteiligt und hat den legendären Endlosremix
von Donna Summers „I feel love“ angefertigt. Sondern er hat auch
[4][mehrere Gay-Pornos] mit seinem orgasmischen Hi-NRG-Synthiegeblubber
unterlegt, was nun wiederentdeckt wurde.
An Cowley kommt so schnell niemand heran, aber in eine Reihe mit seinem
Schaffen lässt sich der Soundtrack zu „Bonking Berlin Bastards“ durchaus
stellen.
28 Mar 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Musik
Berghain
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Transgender
Porno
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