# taz.de -- Klimaschutzstrategie für Bremen: Auf dem Weg | |
> Bremen hat eine Klimaschutzstrategie 2030, die sich sehen lassen kann. Am | |
> Freitag legte die extra eingesetzte Enquetekommission ihren Bericht vor. | |
Bild: Klimaschutzverhandlungen sind nicht so romantisch wie Radtouren im Bremer… | |
BREMEN taz | Als „historisch“ bezeichnete der Vorsitzende der Bremer | |
Enquetekommission Klimaschutz den Moment, als die Mitglieder den | |
Abschlussbericht am Freitag einstimmig beschlossen. Die Einordnung gilt | |
über Bremen hinaus: Das Bundesland ist das erste, das einen solchen Bericht | |
vorlegt. Und auch der Inhalt toppt die Ziele der anderen Bundesländer; in | |
Sachen Klimaneutralität ist Bremen nun sogar den Plänen der Ampelkoalition | |
im Bund voraus. | |
Bis 2030 soll das Land die Treibhausgasemissionen um 60 Prozent gegenüber | |
1990 reduzieren; bis 2033 um 85 Prozent. Klimaneutralität, also eine | |
Einsparung um 95 Prozent, soll 2038 erreicht sein. „Ambitioniert und | |
realistisch“ nennt der Vorsitzende Martin Michalik (CDU) die Ziele. Sie | |
sind flankiert mit konkreten Maßnahmen, aufgedröselt nach Sektoren wie | |
Energie, Industrie, Gebäude, Verkehr und Konsum. Michalik spricht von einer | |
„strukturierten ToDo-Liste“. | |
Das Bemerkenswerte an den Zahlen ist: Das Stahlwerk vom Konzern Arcelor | |
Mittal, das laut Michalik derzeit für rund die Hälfte der CO2-Emissionen im | |
Land sorgt, ist in der Rechnung enthalten. Ab 2032 soll es [1][klimaneutral | |
produzieren]. Bislang wurde es aus der Klimabilanz immer fein säuberlich | |
rausgerechnet – trotzdem verfehlt Bremen seine Klimaziele bislang deutlich. | |
Enquetekommission „Klimaschutzstrategie für das Land Bremen“ heißt das | |
Gremium, welches [2][im Januar 2020 von allen demokratischen Fraktionen der | |
Bürgerschaft eingesetzt] wurde. Der Job: eine Strategie zu entwickeln, wie | |
Bremen seine Emissionen nach dem Pariser Abkommen reduzieren kann. | |
Coronabedingt traf sie sich leicht verspätet erstmals im Mai vergangenen | |
Jahres. Je neun Bürgerschaftsabgeordnete und Expert:innen bildeten die | |
Kommission. Am Freitag fand die 19. und letzte Sitzung statt. | |
Umweltverbänden erschloss sich die Notwendigkeit der Kommission zu Beginn | |
nicht. [3][Vertreter von Nabu, BUND und Greenpeace Bremen] fanden, dass | |
doch längst klar sei, was passieren müsse, um dem Klimawandel | |
entgegenzutreten. Sie befürchteten eine reine Gesprächsrunde ohne handfeste | |
Ergebnisse. | |
Die Idee der Initiator:innen war allerdings, gemeinsam einen Plan zu | |
entwickeln, der auch in der nächsten Legislaturperiode noch gilt. Es sollte | |
also auf einen Konsens hinauslaufen, der das große Ziel im Visier hat und | |
Parteipolitik ausnahmsweise mal hinten anstellt. | |
Doch ist das gelungen? Im Anhang des knapp 300 Seiten langen | |
Abschlussberichts finden sich die sogenannten Sondervoten aller Fraktionen; | |
also Anmerkungen zu eben diesem Konsens. Rein zahlenmäßig ganz vorne: die | |
FDP und ihr Abgeordneter Magnus Buhlert – mit über 50 Sondervoten. Buhlert | |
steht zu dem vereinbarten Klimaziel, sagte er am Freitag. Auch wenn die FDP | |
sich „schwer getan hat“. | |
Eine „weitere umfassende Absenkung der Fahrpreise im ÖPNV“, heißt es in d… | |
Anmerkungen, möchte sie aber nicht. Eine „generelle Solardachpflicht für | |
alle Gebäudetypen bei Neubauten und im Zuge von Dachsanierungen“ lehnt sie | |
auch ab. Das Ziel, die Anzahl der PKW mit Verbrenner pro 1.000 | |
Einwohner:innen bis 2030 auf rund 140 zu senken, findet sie | |
unrealistisch. | |
Im Sektor Verkehr hat auch die SPD-Fraktion einiges hinzuzufügen – oder | |
vielmehr: wegzunehmen. Die sogenannten Push-Maßnahmen wie kostenpflichtiges | |
Bewohner:innenparken seien im Bericht „überbewertet“. Ohne mehr | |
Wissen über die Mobilitätsbedarfe in den Quartieren laufe man Gefahr, | |
„Verärgerung bei denen auszulösen, für die der Umweltverbund kein passendes | |
Angebot darstellt“. | |
Philipp Bruck, Kommissionsmitglied für die Grünen, findet das | |
„frustrierend“ – auch wenn es „kein Geheimnis“ sei, dass die Grünen … | |
großer Koalitionspartner in der Verkehrspolitik nicht immer eine Linie | |
fahren. Aber: „Der Konsens ist über viele Sektoren super.“ Vor allem in | |
jenen, die technologische Fragen berühren und weniger den individuellen | |
Lebensstil der Menschen. Auch andere Fraktionssprecher betonten am Freitag, | |
dass der Konsens deutlich überwiege. | |
Bruck ist sich sicher: „Am Bericht wird sich jede künftige Regierung messen | |
lassen müssen.“ Bei Buhlert klingt das jedoch ein bisschen anders: | |
„Ausgangspunkt für den politischen Prozess“ nennt er den Bericht; | |
„Vorschlagsliste“ die beschriebenen Maßnahmen. | |
Uneinigkeit herrscht auch noch über den letzten großen Brocken: die | |
Finanzierung. Einmalig sechs bis sieben Milliarden und zusätzlich jährlich | |
200 bis 380 Millionen Euro kostet die Umsetzung der Strategie laut Bericht. | |
Die Linke würde dafür gerne – nicht zum ersten Mal – an der Schuldenbremse | |
drehen. „Die Aufgabe ist deutlich größer, als der derzeitige | |
Handlungsspielraum“, sagte Nelson Janßen, stellvertretendes | |
Kommissionsmitglied für die Linksfraktion. Und wenn die Finanzierung nicht | |
gelänge, werde es deutlich teurer. | |
Das wissen alle Beteiligten. Daher hat die Kommission im November ein | |
Gutachten beauftragt, welches die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür | |
klären soll, wie die Bedarfe gedeckt werden können. Es soll im Februar | |
vorliegen. Im gleichen Monat wird der Bericht voraussichtlich in der | |
Bürgerschaft debattiert – und bestenfalls in Form eines Antrags direkt an | |
den Senat weiter gereicht.Um diesem bei der Umsetzung auf die Finger zu | |
schauen, soll ein Sachverständigenrat gegründet werden. Auch ein | |
Parlamentsausschuss mit Kontrollfunktion ist geplant. Damit auch | |
Durchschnittsbürger:innen diese Möglichkeit haben, soll es eine | |
Webseite mit dem aktuellen Stand der Umsetzung geben. | |
## Es wird auch ungemütlich | |
Dann können die Bremer:innen und Bremerhavener:innen verfolgen, | |
wie ihre Städte klimafreundlicher werden – und auch, wenn es ungemütlich | |
wird. Zum Beispiel, wenn Straßen aufgerissen werden, damit neue | |
Wärmeleitungen verlegt werden können. Manch eine:r mag es vielleicht auch | |
ungemütlich finden, dass in Zukunft je ein Viertel der Essensstände bei | |
Freimarkt, Breminale & Co. [4][vegan beziehungsweise vegetarisch] sein soll | |
und alle anderen entsprechende Alternativen auffahren müssen. Immerhin | |
sollte der Weg dorthin dank eines massiven Ausbaus des ÖPNVs leichter | |
werden, auch aus dem Umland. | |
Vor der Politik steht also auch eine große Herausforderung in Sachen | |
Kommunikation. Man müsse der Bevölkerung nun erklären, dass es „gravierende | |
Veränderungen“ geben werde, sagte auch Bernhard Stoevesandt, | |
Abteilungsleiter am Fraunhofer Institut für Windenergiesysteme und | |
Sachverständiger der Enquete. Sein Fazit: „Fast alles rausgeholt, was | |
rauszuholen war.“ | |
19 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Stahlwerk-Umbau-in-Richtung-Klimaschutz/!5761954 | |
[2] https://www.bremische-buergerschaft.de/dokumente/wp20/land/protokoll/b20l00… | |
[3] /Bremer-Enquete-Kommission-Klimaschutz/!5667554 | |
[4] /Bremer-Klima-Enquete-ueber-Ernaehrung/!5781025 | |
## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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