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# taz.de -- Rücktritt im Bremerhavener Magistrat: Die letzte Frau vergrault
> Umweltdezernentin Susanne Gatti gibt ihr Amt auf, weil der Magistrat ihre
> Klimaschutzvorlage ohne Absprache änderte. CDU und SPD sind nicht
> traurig.
Bild: Und wie viele Frauen? Genau so viele, wie jetzt erstmal im Bremerhavener …
Bremen taz | In wenigen Tagen hat Bremerhaven keine Umweltdezernentin mehr.
Susanne Gatti hat ihren Rücktritt angekündigt, zum 31. Oktober hört sie
auf. Der Grund: Die von ihr erstellte Vorlage zum Klimaschutz in
Bremerhaven ist von den anderen Magistratsmitgliedern verändert worden –
und dann ohne Absprache mit ihr zur Abstimmung gestellt worden. „Ein
spontaner Überfall“ in der Magistratssitzung sei das für sie gewesen,
erzählt Gatti.
Sechs Wochen gemeinsame Arbeit der Dezernentin und des Klimastadtbüros
stecken in der Vorlage, die Bremerhavens Weg zur Klimaneutralität bis 2038
vorzeichnen soll. Die Bremer Klima-Enquetekommission hatte zuvor [1][zwei
Jahre lang erarbeitet,] wo die Stolperfallen auf diesem Weg liegen. Sie
hatte CO2-Budgets und Kosten berechnet, Fragen nach Zeitfenstern und
Personal gestellt – das alles allerdings in erster Linie für das Land
Bremen, eingeschränkt auch für die Stadt Bremen. Für die Stadt Bremerhaven
sind viele Fragen noch offen.
Das Papier von Gatti ist deshalb vor allem als eine Art Fahrplan zu
verstehen: Was folgt aus den Beschlüssen der Enquetekommission? Wo muss die
Stadt als erstes ansetzen? Wie passt das zu anderen Prozessen, die die
Stadt aktuell plant? Und welches Dezernat müsste welche Zuständigkeiten
übernehmen?
In der Magistratssitzung Anfang Oktober wurde sie dann plötzlich mit
Ergänzungen ihrer Vorlage konfrontiert: Fünf Maßnahmen hatten die
Dezernenten von SPD, CDU und FDP einfach hinten drangehängt: Als
„Klimaschutzpaket“ wurden dort zwei Programme für günstigere Bustickets
und ein Solarförderungsprogramm verkauft, aber auch ein Plan zur
Renaturierung der Neuen Aue und ein Programm zum Schutz von Insekten durch
blumigere Privatgärten.
## Unseriöse Verwässerung
Nicht einmal reine Klimaschutz-, sondern teilweise Umweltschutzmaßnahmen
also, kritisiert Gatti. „Die haben dort in der Vorlage nichts zu suchen“,
sie seien schlicht nicht zielführend. Noch dazu seien die geplanten
Projekte mit einem Volumen von etwa 10 Millionen Euro im knappen
Bremerhavener Haushalt gar nicht gegenfinanziert – die Umweltdezernentin
kritisiert auch das als unseriös. „Ich bin angetreten, um wirksamen
Klimaschutz voranzutreiben, und nicht, um ein schönes Mäntelchen über
irgendwelche Wahlkampfideen der Koalition zu decken“, sagt die
Umweltdezernentin.
So kam es, dass Gatti in der Magistratssitzung von Anfang Oktober ihrer
eigenen Vorlage nicht zustimmte – durchgekommen ist sie trotzdem, nun
allerdings nicht in ihrem Namen. In einer Mail an ihre Magistratskollegen
forderte sie ein Entgegenkommen – und eine Entschuldigung. „Aber es kam
nichts zurück, gar nichts“, erzählt sie. „Damit hätte ich nicht gerechne…
Jetzt hat sie für sich die Konsequenz gezogen.
## Alle Fraktionen stellen den Magistrat
Um zu verstehen, wie das Ganze überhaupt passieren konnte, muss man ein
paar Hintergründe zu Bremerhavener Politikstrukturen kennen: Die Stadt
Bremerhaven, als kleine Schwesterstadt im Zwei-Städte-Staat Bremen, hat
eine eigene Stadtverfassung. Und die sieht vor, dass der Magistrat, die
Stadtregierung also, nicht allein von der Regierungskoalition, sondern von
allen Fraktionen besetzt wird.
So kommt es, dass der aktuellen CDU-SPD-FDP-Koalition mit Susanne Gatti
eine Umweltdezernentin im Magistrat gegenüber sitzt, die selbst zwar
parteilos ist, aber von der Fraktion der gemeinsamen Fraktion von Grünen
und Piratenpartei vorgeschlagen wurde. Fachlich gehörte sie als
ehrenamtliches Mitglied des Magistrats zu den bestbewanderten: Die
[2][Wissenschaftlerin des Alfred-Wegener-Instituts] ist Expertin im Bereich
Umwelt- und Klimaschutz.
Das System soll helfen, einen Konsens in der Verwaltung des Stadtgeschicks
zu sichern. Doch faktisch funktioniert das laut Gatti oft nur mäßig: „Die
Regierungsfraktionen bestimmen, welche Themen überhaupt auf die
Magistratstagesordnung kommen“, sagt sie. „Wenn die Koalition eine Vorlage
nicht durchlässt, wird sie eben nicht behandelt.“
„Normal“ findet das der CDU-Fraktionsvorsitzende Thorsten Raschen. „Es ist
natürlich nicht so, dass eine Vorlage aus dem grünen Magistrat einfach so
übernommen wird. Die Grünen sind kein Teil der Koalition.“ Er vermutet
„gekränkte Eitelkeit“ bei Gatti. Die vergangenen Stadtregierungen in
Bremerhaven haben allesamt versucht, die Stadtverfassung zu verändern – hin
zu weniger Beteiligung für die Opposition. Ab 2027 soll nun [3][eine Reform
kommen.]
## Von ursprünglich fünf Frauen bleibt keine übrig
So richtig traurig scheinen die anderen Fraktionen denn auch nicht zu sein.
Während Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) verlauten lässt, dass er den
Rücktritt Gattis bedauere, „weil sie eine konstruktive Bereicherung im
Magistrat war“, schreibt seine Fraktion auf Twitter: „Gut, dass sie
zurücktritt.“ Schließlich habe sie in ihrer Vorlage konkrete eigene Ideen
vermissen lassen. „Das ist mehr als peinlich“, findet die SPD. Auch die
CDU-Fraktion teilt der Presse mit: „Ihr Weggang ist kein Verlust.“
Mit Gatti geht die letzte Frau, die im Magistrat gesessen hat. Zu Beginn
der Legislaturperiode waren es noch fünf von elf Mitgliedern, jetzt stellen
erst einmal neun Männer und null Frauen die Bremerhavener Stadtregierung.
Die weiblichen Mitglieder sind aus ganz unterschiedlichen Gründen
ausgeschieden – auffällig ist aber, dass ihre Fraktionen für sie keinen
weiblichen Ersatz finden konnten oder wollten. Die Fraktion der Grünen-PP
erkennt deshalb im Verhalten des Magistrats gegen Gatti auch Sexismus.
„Wahrscheinlich“, so schreiben sie in einer Pressemitteilung, „freuen sich
die Herren sogar darüber, dass sie eine aufmerksame und kritische Kollegin
loswerden und nun in einer reinen Männerrunde Wahlkampfideen ihrer Parteien
verkaufen können.“
## Wer rückt nach in den Magistrat?
Die Fraktion der Grünen-PP hat jetzt das Vorschlagsrecht für ein weiteres
Mitglied des Magistrats. Dass sie wieder das Umweltdezernat besetzen
dürfen, ist aber nicht klar – die Stadtverordnetenversammlung kann ihnen
jeden Posten zubilligen.
Dass die von ihr erarbeitete Vorlage dem Magistrat jetzt ohne ihre
Zustimmung als Arbeitsgrundlage dienen kann, schreckt Gatti übrigens nicht.
„Da würde ich sogar sagen: Ach, geschenkt“, sagt sie. „Dann hätte das ja
alles noch sein Gutes.“ Sie fürchtet allerdings, dass das Papier in den
nächsten Jahren eher weiter verwässert wird.
29 Oct 2022
## LINKS
[1] /Klimaschutzstrategie-fuer-Bremen/!5820700
[2] /Wissensort-Alfred-Wegener-Institut/!5858035
[3] https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/magistrat-reform-neu-bremerhaven-1…
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Bremerhaven
Sexismus
Enquete-Kommission
Polarstern
Senat Bremen
Grüne Bremen
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