| # taz.de -- Neue Serie Eldorado KaDeWe: Eine Oase der Freiheit | |
| > Die Serie taucht in die lesbische Subkultur der Weimarer Republik ein. | |
| > Sie könnte neue Maßstäbe für öffentlich-rechtliche Produktionen setzen. | |
| Bild: Im Mittelpunkt der sechsteiligen Serie der wilden 1920er: Hedi und Fritzi | |
| Imposante Fernsehmehrteiler über geschichtsträchtige Orte des Landes haben | |
| sich bei den öffentlich-rechtlichen Sendern als sichere Bank erwiesen. „Das | |
| Adlon. Eine Familiensaga“, [1][„Charité“] oder auch [2][die | |
| „Ku’damm“-Reihe] sind handwerklich mustergültige TV-Produktionen. Sie si… | |
| aber auch charakteristisch für eine Programmgestaltung, die auf bequemes | |
| Wohlfühlfernsehen setzt und dadurch zwangsläufig behäbig wirken muss. So | |
| sind sie gleichsam auch symptomatisch für Entscheidungen, mit denen ARD und | |
| ZDF auf Dauer ihren eigenen Niedergang besiegeln. | |
| Konventionell erzählt, erreichen sie zuverlässig ein eingeschworenes | |
| Publikum, nicht aber jüngere Generationen, die zusehends zu | |
| [3][Streaminganbietern wie Netflix] abwandern. Die, anders als das lineare | |
| Fernsehen, mit ihrer Vielfältigkeit, ihrer Experimentierfreudigkeit, den | |
| Finger am Puls der Zeit haben. | |
| Wenn die ARD nun die Glorie einer weiteren Berliner Institution zelebriert, | |
| hätte man eigentlich damit rechnen können, dass dieser Trend damit nur | |
| fortgesetzt, die Gräben vertieft werden. Doch „Eldorado KaDeWe – Jetzt ist | |
| unsere Zeit“ ist anders. Zum Glück. | |
| ## Eine weitere Berlin-Narration | |
| Tatsächlich hat Julia von Heinz („Und morgen die ganze Welt“) ein | |
| sechsteiliges Serienjuwel geschaffen, das nicht nur beweist, dass | |
| [4][öffentlich-rechtliche Produktionen] mit den Streaminganbietern im | |
| Hinblick auf Diversität und Kühnheit im Erzählen mithalten, sondern dass | |
| sie sie sogar übertreffen können. Denn während gerade Netflix oftmals das | |
| Gefühl erweckt, die eigene Wokeness als Verkaufsargument zu benutzen – was | |
| bisweilen zu blutarmen Produktionen führt –, dürfte von Heinz mit ihrem | |
| Ansatz bei der ARD keine offene Türen eingerannt haben. | |
| Die Leidenschaft, die in dem detailverliebten Projekt steckt und der Wille, | |
| endlich neue Geschichten auf die deutschen Fernsehbildschirme zu bringen, | |
| sind dem Ergebnis durchgängig anzumerken. Und genau das macht „Eldorado | |
| KaDeWe“ so mitreißend, so relevant. Natürlich thront das „Kaufhaus des | |
| Westens“ über allem. In den 1920ern wird es als eine Oase des Schönen | |
| inmitten der Nachwehen des Ersten Weltkrieges, der Weltwirtschaftskrise und | |
| dem heraufziehenden Nationalsozialismus inszeniert. | |
| Harry Jandorf (Joel Basman) möchte das krisengebeutelte Haus zu neuem Glanz | |
| führen, wird aber von Kriegstraumata geplagt, die er zusehends mit Alkohol | |
| und anderen Drogen betäubt. Georg Karg (Damian Thüne) hingegen ist der | |
| arbeitsame, fleißige Geschäftsmann, dem die Leitung von Jandorf Senior | |
| (Jörg Pose) bis zur Rückkehr des Sohnes übertragen wurde. Das Verhältnis | |
| der beiden jungen Männer changiert zwischen Konkurrenz und Freundschaft – | |
| und von diesem Spannungsverhältnis zu erzählen, hätte genügt, um „Eldorado | |
| KaDeWe“ in besagte Riege großer Berlin-Narrationen einzureihen. | |
| Damit geben sich von Heinz und ihr Autor*innenteam jedoch nicht | |
| zufrieden: Harry und Georg, die beide tatsächlich gelebt haben, wird mit | |
| Fritzi Jandorf (Lia von Blarer) eine fiktive Schwester beziehungsweise | |
| Mitbewerberin um die kreative Vormachtstellung im Luxuskaufhaus an die | |
| Seite gestellt. | |
| ## Lesbische Sexualität im Kino | |
| Fritzi trägt Herrenanzüge, interessiert sich für Poesie und sieht endlich | |
| die Zeit gekommen, dass Frauen ein selbstbestimmtes Leben einfordern. | |
| Zufällig begegnet sie Hedi (Valerie Stoll), die im Haus als Verkäuferin | |
| tätig ist, und sich umgehend von ihrem unbändigen Lebenshunger angezogen | |
| fühlt, obwohl – oder gerade, weil – sie in einer ganz anderen Realität zu | |
| Hause ist. | |
| Hedi ist Teil des Proletariats, das zuerst ans Überleben denken muss, in | |
| dem weder Luxus noch schöngeistige Gedanken Platz haben. Für die eigene | |
| materielle Absicherung und die ihrer Schwester Mücke (Neele Buchholz), die | |
| das Downsyndrom hat, hält sie an der zweckmäßigen Beziehung zu Buchhalter | |
| Rüdiger (Tonio Schneider) fest. Doch so unwahrscheinlich ihre Verbindung | |
| auch sein mag, Fritzi und Hedi nähern sich an. Und hier glückt „Eldorado | |
| KaDeWe“ ein Kunststück, das beim Erzählen [5][von lesbischen Beziehungen] | |
| nur äußerst selten gelingt: Die Zartheit ihrer Empfindungen wird einerseits | |
| in Gedichten transportiert, die an den lieblich-melancholischen Ton der | |
| Lyrikerin Else Lasker-Schülers, der die Serie gewidmet ist, erinnern. Die | |
| Ekstase, die die beiden Frauen andererseits miteinander erleben, wird in | |
| ebenso ästhetischen wie offenherzigen Szenen dargestellt. | |
| Die Abbildung [6][lesbischer Sexualität ist im Kino] eine lange | |
| Aneinanderreihung von Ärgernissen. Oft wird sie entweder weitgehend | |
| ausgeblendet, als besonders blumig oder aber zweifelhaft freizügig, vom | |
| „male gaze“ behaftet, geschildert. Dass es ausgerechnet einer Serie der ARD | |
| gelingt, derart wahrhaftig und facettenreich von der Liebe zwischen zwei | |
| Frauen zu erzählen, ist für sich genommen schon eine kleine Sensation. | |
| Noch spektakulärer ist die Tatsache, dass die Geschichte durch Hedi und | |
| Fritzi in die lesbische Subkultur der Weimarer Republik eintaucht, wie es | |
| wohl noch keine ähnlich prominent platzierte Produktion vorher getan tat. | |
| Dafür wird der Klub Eldorado als eine zweite Oase, diesmal der Freiheit und | |
| des Aufbruchs, inszeniert. Hier tummelt sich die Redaktion der ersten | |
| lesbischen Zeitschrift „Die Freundin“, Songs der lesbischen | |
| Chanson-Sängerin Claire Waldoff werden zum Besten gegeben, das Quartett aus | |
| Fritzi, Hedi, Georg und Hans feiert, als gäbe es kein Morgen. Es wäre ein | |
| Leichtes, „Eldorado KaDeWe“ zu unterstellen, nur einem Trend zu folgen. | |
| Doch für ein bloßes Diversitäts-Lippenbekenntnis wird zu passioniert | |
| erzählt, werden zu sorgfältig Details, die die tatsächliche | |
| schwul-lesbische Historie betreffen – wie eine Neuvertonung des „Lila | |
| Lied“, der ersten Hymne der Homosexuellenbewegung – eingebunden. | |
| ## Hoffentlich kein einmaliger Wurf | |
| Ein besonderer Kniff, den sich von Heinz erlaubt, ist die Vermischung | |
| zeitgenössischer Optik mit dem Berlin von Heute. Während die Innenräume | |
| authentisch dargestellt sind, sind die jetzigen Straßen der Hauptstadt zu | |
| sehen, BVG-Busse fahren durch das Bild, mitunter tauchen Polizist*innen | |
| in modernen Uniformen auf. Diese Parallelisierung der Situation von | |
| Schwulen und Lesben der 1920er und 2020er wirkt zunächst unpassend – bis | |
| man sich die Verhältnisse in anderen Teilen der Welt ins Gedächtnis ruft. | |
| Dass man auch hierzulande noch nicht so weit ist, wie man glauben möchte, | |
| zeigen die ersten Reaktionen auf „Eldorado KaDeWe“: Regisseurin von Heinz | |
| berichtet von Pressevertreter*innen, die Interviews nach Sichtung der Serie | |
| absagten, sie vom Titelblatt nahmen, sie sogar als „Zumutung“ bezeichneten. | |
| Reaktionen wie diese unterstreichen in erster Linie, dass die [7][ARD | |
| endlich ihre Komfortzone verlassen hat]. Wenn das Wagnis zu derart | |
| lebendigen, pulsierenden Ergebnissen führt, kann man sich nur wünschen, | |
| dass „Eldorado KaDeWe“ kein einmaliger Wurf, sondern eine echte Zäsur sein | |
| wird. | |
| 27 Dec 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Arabella Wintermayr | |
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