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# taz.de -- ZDF-Reihe „Ku’damm 56“: Bohnerwachs und Kölnisch Wasser
> Der Dreiteiler „Ku‘damm 56“ ist nicht so piefig, wie die Kampagne
> vermuten lässt. Er beleuchtet das Leben von Berliner Westfrauen in den
> 50er Jahren.
Bild: Die graue Wirklichkeit: Frau und Mann am U-Bahnhof Kurfürstendamm, ca. 1…
Frauen in auffälligen Kostümen blicken den Betrachter kokett an, eine von
ihnen schminkt sich. Das sind nicht etwa Werbeplakate für eine Vorstellung
eines örtlichen Provinztheaters. Es ist Werbung für den ZDF-Dreiteiler
„Ku’damm 56“ (ab Sonntag, 20.15 Uhr).
Angesichts der schmerzhaft biederen Gestaltung könnte man es niemandem
verdenken, wenn er wenig Lust auf diese Produktion verspürt. Aber das wäre
ein Trugschluss, denn „Ku’damm 56“ ist bei weitem nicht so piefig, wie es
die Kampagne vermuten lässt. Stattdessen erwartet die Zuschauer eine
gleichsam ernsthafte wie unterhaltsame Auseinandersetzung mit der
Lebenswirklichkeit von Frauen in Westberlin, Mitte der 50er Jahre.
Alle vier Hauptrollen wurden mit Frauen besetzt. Allein, dass so eine
Aufstellung als ungewöhnlich auffällt, zeigt, dass in TV-Produktionen zu
selten die Perspektiven von Frauen konsequent eingenommen werden.
Hier ist es zunächst diejenige der konservativen Tanzschulbesitzerin
Caterina Schöllack (Claudia Michelsen), die elf Jahre nach dem Ende des
Zweiten Weltkriegs immer noch auf die Rückkehr ihres vermissten Mannes
hofft.
## Selbstbestimmung bereitet Sorgen
Sie leitet ihren Laden mit eiserner Disziplin, „Negermusik“ kommt ihr nicht
ins Haus, ihr größter Wunsch ist es, ihre drei Töchter zu Ehefrauen
erfolgreicher Männer zu machen. Ihre Älteste (Maria Ehrich) tut wie
geheißen, heiratet einen angehenden Staatsanwalt (August Wittgenstein) und
verbringt fortan die meiste Zeit am Herd.
Die jüngste Tochter, Eva (Emilia Schüle), arbeitet als Pflegerin in einer
Nervenheilanstalt und sieht ihre Zukunft an der Seite des Oberarztes (darf
nicht fehlen: Heino Ferch). Nur die mittlere Tochter, Monika (Sonja
Gerhardt), macht allen mit ihrem Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung
Sorgen.
Sie fliegt wegen „unzüchtigen Verhaltens“ von der verhassten
Hauswirtschaftsschule, will sich nicht an einen Mann binden und wird von
ihrer Mutter deshalb ständig gemaßregelt. Alltagsfluchten ermöglicht ihr
der Rock ’n’ Roll, der gerade unter deutschen Jugendlichen populär wird.
Sie taucht in die noch kleine Szene ein, besucht wilde Partys und trainiert
mit dem chaotischen Freddy (Trystan Pütter) für einen Tanzwettbewerb.
Das Drehbuch schrieb Annette Hess, von der unter anderem auch die
erfolgreiche ARD-Serie „Weissensee“ stammt. „Prägend für die 50er Jahre…
ein gewaltiger Gegensatz“, sagt Hess über die Rahmenbedingungen ihrer
Geschichte.
## Verdrängung als oberstes Gebot
„Einerseits der wirtschaftliche Aufschwung und der Beginn einer neuen Ära,
andererseits die schwere Schuld und die traumatisierenden Erfahrungen der
nahen Vergangenheit. Verdrängung hieß das oberste Gebot. Die Frauen hatten
zusätzlich mit der frommen Moral und dem biederen Rollenverständnis zu
kämpfen, welches sie den Männern radikal unterordnete.“
Wie in „Weissensee“ erzählt sie Gesellschaftsgeschichte nicht über
prominente Persönlichkeiten oder ausgewählte Großereignisse, sondern über
den Alltag sogenannter Durchschnittsbürger. „Ich habe mich der Zeit
zunächst über Biografien, Musik und Filme, aber auch über Gerüche
genähert“, erklärt sie ihre Arbeitsweise.
„Ich weiß zum Beispiel genau, wie es in der Tanzschule riecht. Nach
Bohnerwachs, Pomade, Kölnisch Wasser und Schweiß. Die Herren trugen damals
bügelfreie Hemden aus Plastik, in denen sie fürchterlich geschwitzt haben.
Ich schaffe mir zum Schreiben zunächst eine sinnliche Atmosphäre, erst dann
erfinde ich die Figuren und entwerfe deren existentielle Konflikte.“
Dabei scheut sie auch vor radikalen Geschichten und Szenen nicht zurück.
Schon in der Auftaktfolge gibt es einiges zu sehen, was man am eigentlich
seichten ZDF-Sonntag nicht erwartet.
## Täter, Mitläufer und Opfer
Wundert man sich am Ende des ersten Teils noch darüber, dass wichtige
Fragen der Zeit nicht mal angerissen wurden, bekommen diese im Laufe der
Handlung zunehmend Raum. Es wird deutlich, wie sehr der Schatten des
Nationalsozialismus noch über dem Land liegt. Die Wege von Tätern,
Mitläufern und Opfern kreuzen sich nicht nur in der Tanzschule.
Mit dem Schreiben des Drehbuchs war die Arbeit von Annette Hess nicht
abgeschlossen. Sie hatte ein Mitspracherecht bei der Auswahl von
SchauspielerInnen und Regisseur (die Wahl fiel auf den bislang eher im
leichten Fach tätigen Sven Bohse) und bekam regelmäßig die gerade gedrehten
Filmszenen nach Hause geschickt. Noch bei der Pressevorführung in Hamburg
regte sie die Änderung eines im ersten Teil gesprochenen Satzes an, weil er
ihr als nicht glaubwürdig erschien.
„Ich hoffe, dass die Zuschauer – angeregt durch die Schicksale der
Protagonisten – auch über die Gegenwart reflektieren“, sagt Annette Hess.
„Viele Aspekte weiblicher Realität der 50er Jahre lassen sich heute
überhaupt nicht mehr nachvollziehen, weil große emanzipative Fortschritte
gemacht wurden.
Andererseits ist der Wunsch nach klaren Geschlechterrollen auch unter
jungen Leuten immer noch weit verbreitet.“ Sie benennt die Unterschiede,
die immer noch herrschen: „Frauen verdienen immer noch weniger als Männer.
Frauen müssen immer noch sexuelle Gewalt fürchten. Sind wir also wirklich
schon so viel weiter als in den 50er Jahren?“
## Amerikanische Arbeitsweisen
Das Engagement der Drehbuchautorin hebt auch der Sender hervor: „Erstmals
war eine Autorin bei uns so stark in die Produktion und die
Entscheidungsprozesse auf allen Ebenen eingebunden“, sagt
ZDF-Fiction-Chefin Heike Hempel.
„Wir wollten diese starke Autorenschaft haben, um einen unverwechselbaren
Stil im Gesamtwerk zu ermöglichen. Außerdem hat man so eine weitere
wichtige Person, die beizeiten an die vereinbarten Grundsätze und die
ursprüngliche Vision des Projekts erinnert.“
Zunehmend finden also Elemente amerikanischer Arbeitsweisen auch bei den
deutschen Sendern Anwendung, und das ist bestimmt keine schlechte
Entwicklung. Deshalb ist das insgesamt sehr sehenswerte „Ku’damm 56“
natürlich nicht frei von Schwächen.
Die wichtige Rock-’n’-Roll-Szene hätte gern genauer betrachtet werden
dürfen. Vor allem aber ist es schade, dass die Geschichten von drei der
vier Frauen nach dem altbekannten Schema „Eine Frau zwischen zwei Männern“
vorangetrieben werden.
Das ist erzählerisch ein wenig fade und wirkt angesichts des übergeordneten
Themas unpassend. Positiv ist, dass die Produktion nicht anstrengend
didaktisch daherkommt, sondern elegant und unaufdringlich ausgewählte
zeittypische Konflikte verhandelt und es dabei in mitunter exzellenten
Dialogen auch komisch zugeht.
20 Mar 2016
## AUTOREN
Sven Sakowitz
## TAGS
ZDF
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Matthias Brandt
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