| # taz.de -- Verfilmung „Tagebuch der Anne Frank“: Ein ständiges Kippeln | |
| > Hans Steinbichlers hat das „Tagebuch der Anne Frank“ verfilmt. Sein Werk | |
| > fühlt sich wie ein Diavortrag an, aber die Schauspielerinnen überzeugen. | |
| Bild: Vater Otto Frank legt seiner Anne ein Buch auf den Kopf: „Little Dorit�… | |
| „Das Tagebuch der Anne Frank“ von Hans Steinbichler ist aus mehreren | |
| Gründen ein merkwürdiges Kinoerlebnis. Zum einen, weil die Geschichte der | |
| Familie Frank, die in den vierziger Jahren zumindest für einige Jahre | |
| erfolgreich vor den Nationalsozialisten untertauchen konnte, hinreichend | |
| bekannt sein dürfte. | |
| Überliefert auch durch jenes legendäre Tagebuch, auf dessen Blättern Anne | |
| Auskunft gibt vom Leben im Unterschlupf. Andererseits ist das eigenwillige | |
| Erleben Steinbichlers Umsetzung geschuldet, durch die man sich ein wenig | |
| vorkommt, als wäre man Teil eines Diavortrags. | |
| Natürlich werden einem keine Standbilder vorgesetzt. Doch zeigt jede Szene, | |
| jeder gewählte Ausschnitt für den Film ganz deutlich ein Thema. Als hielte | |
| Steinbichler ein Kärtchen in die Lüfte und würde sagen: gemeinsames | |
| Abendessen im Hinterhaus. Und er schöbe ein wohl fotografiertes Bild in die | |
| Apparatur, von dem aus sich eine Szene entwickelt. | |
| In ihr zu sehen: Anne Frank (Lea van Acken), Mutter Edith „Mansa“ Frank | |
| (Martina Gedeck), Otto Frank (Ulrich Noethen), Schwester Margot Frank | |
| (Stella Kunkat), das Ehepaar van Pels (André Jung und Margarita Broich) mit | |
| Sohn Peter (Leonard Carow), die im Film genau wie in Annes Tagebuch zu den | |
| „van Daans“ werden, eine Entscheidung zur Pseudonymisierung, die Anne 1944 | |
| traf; und ein Zahnarzt (Arthur Klemt), der die Hinterhaus-Gesellschaft | |
| vervollständigt. | |
| ## Ständige Anspannung | |
| Die Szene lässt dabei an ein kleines Ballett denken, an ein Tänzeln mit | |
| komischen und tragischen Elementen, ein ständiges Kippeln, ein | |
| immerwährender Zustand großer Anspannung mit geringeren Abfällen. Im | |
| insgesamt nur 50 Quadratmeter winzigen Versteck spielt jeder Untergetauchte | |
| seine Partitur, ist alles abgezählt und getaktet, die Zeiten, an denen | |
| gesprochen werden darf, sind reguliert wie jene des Schweigens. | |
| Sehr heimelig muten diese Szenen an, in denen dampfende Kartoffeln serviert | |
| werden und auch gescherzt wird, sodass man die Umstände der mittäglichen, | |
| milde ausgelassenen Stimmung beinahe vergisst. Grund ist der, dass auch in | |
| der unteren Etage, der Geschäftszentrale der Firma Pectacon, die mit | |
| Gewürzen handelt, aber auch einige Mühlen bedient, gerade Mittagspause ist. | |
| Verstummen unten die Maschinen, fällt die Tür ins Schloss, wird oben das | |
| Schleichen wieder zu Schritten, schaltet man vielleicht sogar das Radio | |
| ein, um die Nachrichten der BBC mitzuhören. Das ist das Dia „Mittagessen“. | |
| Aber es gibt auch eines, das „Streit“ heißt. Zum Beispiel, wenn Anne an die | |
| beiden Damen Edith, Annes Mutter, und Petronella gerät. Wenig | |
| Vertraulichkeit herrscht zwischen Anne und ihrer Mutter. Dazwischen steht | |
| Margot, Annes Schwester und ein großer Kontrast, innerlich wie äußerlich, | |
| zur hübschen, libertär eingestellten, sich zum Teil auch sinnlich | |
| präsentierenden Anne. Auch Frau van Daan wird zum Gegenpol der | |
| Heranwachsenden. In ihrer kleinlichen, mitteilungsbedürftigen Art erkennt | |
| Anne ein Wesen, das ihr grundsätzlich zuwider ist. | |
| ## Drehbuch eng am Tagebuch | |
| Aber auch für Frau van Daan findet Fred Breinersdorfers Drehbuch, eng an | |
| das Tagebuch angelehnt, Bilder, welche die anstrengende Person doch auch zu | |
| einer liebenswürdigen machen. Der passende Abzug ist hier mit dem Titel | |
| „Privatsphäre“ überschrieben. In einer Szene nämlich kommt es zu einem | |
| Auseinanderbrechen der so auf Fassade bedachten Frau van Daan, und zwar | |
| dann, wenn sie ihre Notdurft, aufgrund irgendeiner brenzligen Situation, im | |
| Beisein aller Hinterhäusler verrichten muss. | |
| Es ist ein Moment im Film, der einem nicht so schnell aus dem Kopf weichen | |
| mag, auch, weil Schauspielerin Margarita Broich die Darstellung ihrer Figur | |
| in der Gesamtheit so gut gelingt. Ebenso weiß Lea van Acken zu | |
| beeindrucken. Ohne Probleme nimmt man ihr den zarten, zähen, verzweifelten, | |
| sich auch als auserwählt empfindenden Backfisch ab. Und dennoch kann sich | |
| Steinbichlers Vortrag kein anderes Ende erlauben als das bekannte. Dass es | |
| trotzdem anrührt, spricht, zumindest zum Teil, auch für den unternommenen | |
| Verfilmungsversuch. | |
| 2 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Carolin Weidner | |
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