| # taz.de -- Märchenfilm „Im Spinnwebhaus“: Als die Spinnen kamen | |
| > Die Anlage ist verheißungsvoll: Der Spielfilm „Im Spinnwebhaus“ von Mara | |
| > Eibl-Eibesfeldt schwankt zwischen surreal und bitter. | |
| Bild: Vergnügen und Verwahrlosung liegen für die Kinder nah beieinander: Szen… | |
| Sabine (Sylvie Testud) besorgt den Alltag mit ihren drei Kindern allein. | |
| Der Sound, der an ihren Nerven nagt: scheppernde Topfdeckel, ein | |
| „Mama“-Stakkato von Sohn Nick (Lutz Simon Eilert), ein weinendes Miechen | |
| (Helena Pieske). Irgendwann, im Film „Im Spinnwebhaus“ recht bald, findet | |
| sich diese Sabine mit ihren Kindern vor der Türe von Expartner Sven | |
| (Matthias Koeberlin) wieder: „Du kannst sie haben, ich will sie nicht | |
| mehr.“ Doch der will sie auch nicht. Den Rückweg zum Haus besorgt dann | |
| Jonas (Ben Litwinschuh), kaum 13 Jahre alt und viel zu winzig vor dem | |
| großen Lenkrad. | |
| Während der ersten Minuten von Mara Eibl-Eibesfeldts „Im Spinnwebhaus“ | |
| könnte man meinen, hier würde das Porträt einer überforderten Mutter | |
| gezeichnet. Die zwischen drei Minderjährigen versunken ist, unauffindbar | |
| für sich selbst. Und ein bisschen stimmt das auch. Nur, dass „Im | |
| Spinnwebhaus“ für jenes Porträt schon bald ohne sie auskommen muss. Sabine | |
| entschwindet ins sogenannte Sonnental, um ihre „sogenannten“ Dämonen zu | |
| bekämpfen. So erzählt sie es zumindest Jonas, Nick und Miechen. Ein | |
| Wochenende blieben sie nun allein. Und falls jemand klingelte, dann sollen | |
| sie sagen, sie wäre gerade einkaufen. | |
| Ein Wochenende. Das lustig beginnt. Den Kindern mangelt es nicht an | |
| Fantasie. Schon inmitten der hektischen Sabine-Stürme hatte Jonas das | |
| kleine Miechen zu trösten gewusst. Zum Beispiel, indem er glitzernden | |
| Schnee über Spielzeug rieseln lies. Ein schönes Bild, schwarz-weiß, wie der | |
| ganze Film. Jürgen Jürges hat es gefilmt, der bereits die Kamera für | |
| Fassbinders „Fontane Effie Briest“ (1974) , Hanekes „Funny Games“ (1997) | |
| oder, wie zuletzt, Wolfgang Beckers „Ich und Kaminski“ (2015) führte. | |
| Dabei ist „Im Spinnwebhaus“ kein Schwergewicht, sondern eine intime | |
| Produktion. In ihrem Fokus stehen nach Sabines Weggang die drei Kinder, die | |
| Regisseurin Eibl-Eibesfeldt in einen Märchen-Parcours schickt, der manchmal | |
| surrealistisch wirkt und dann wieder ganz schön bitterlich. So füllt sich | |
| das Haus nach Weggang der Mutter etwa nach und nach mit Vorhängen von | |
| Spinnweben. Zunächst unauffällig, werden sie bald zum zentralen Element. | |
| Das erinnert ein wenig an Michel Gondrys „Der Schaum der Tage“ nach dem | |
| gleichnamigen Roman Boris Vians aus den 40er Jahren: Je stärker die schöne | |
| Hauptprotagonistin in ihrem Zimmer dahinsiechte, desto mehr Morbidität | |
| kroch auch in die Räume. Blumen welkten. Und die Spinnweben kamen. Auch in | |
| „Im Spinnwebhaus“ wird die Stimmung immer trister. Gehen die Lebensmittel | |
| zur Neige. Übernimmt Jonas mehr und mehr die Rolle des Erwachsenen, die ihm | |
| einige Nummern zu groß ist. | |
| ## In Reimen und Versen | |
| Dafür begegnet er einem anderen Halberwachsenen, dem älteren, doch | |
| jungenhaften Felix (Ludwig Trepte), einer Mischung aus Landstreicher, Punk | |
| und Goth, der sich als Graf ausgibt und ausschließlich in Reimen und Versen | |
| kommuniziert. „Oh Spinn oh Spinn, ach bring, ach bring, mich doch dahin, wo | |
| ich nicht bin.“ Auch er hat eine besondere Beziehung zu den Spinnentieren. | |
| Ihr Gewebtes klebt auf seiner Haut, in Form von Tattoos. „Wenn sie dich | |
| einwickeln, bringen sie dich dahin, wo du dich wünschst“, flüstert er. | |
| „Im Spinnwebhaus“ ist nicht der erste Film, der sich mit dem Topos | |
| alleingelassener Kinder auseinandersetzt. Und wie in Andrew Birkins „Der | |
| Zementgarten“ (1992) oder Isild Le Bescos „Demi-tarif“ (2004) steht der | |
| sukzessiven Verwahrlosung, einer Wohnung beispielsweise, auch immer ein | |
| Vergnügen entgegen. Essensschlachten, Verkleiden, im Falle von „Der | |
| Zementgarten“ sogar eine (inzestuöse) Liebe. Mara Eibl-Eibesfeldt paart | |
| jenes Motiv mit dem einer an ihrer Mutterschaft erkrankten Frau. Die böse | |
| Stiefmutter aus dem Märchen schlüpft hier in das Kostüm der leiblichen | |
| Mutter – die sich folglich vielleicht besser selbst entfernt. | |
| Das sind verheißungsvolle Anlagen für einen Film. Woran es „Im | |
| Spinnwebhaus“ jedoch mangelt, ist ein wesentlicher, wenn auch rarer | |
| Klebstoff, der die einzelnen Szenen über ihre offensichtlichen | |
| Gemeinsamkeiten hinaus verleimt. Was fehlt, ist Atmosphäre anstelle von | |
| Stimmung; Feinheiten, die die starke Linie eines Konzepts zumindest | |
| abmildern. | |
| 31 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Carolin Weidner | |
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