| # taz.de -- Regisseurin Borchu über Spielfilmdebüt: „Die Frau ist extrem sp… | |
| > Die Regisseurin Uisenma Borchu spricht über Grenzen der Weiblichkeit bei | |
| > der Filmförderung und ihren Spielfilm „Schau mich nicht so an“. | |
| Bild: „Sobald eine nackte Frau auftaucht, ist es Porno“: Uisenma Borchu und… | |
| Uisenma Borchu hat es geschafft: Ihr erster Spielfilm, „Schau mich nicht so | |
| an“, der zugleich ihr Diplomfilm an der HFF München ist, läuft ab heute in | |
| den Kinos. Borchu, die im Film selbst eine der Hauptrollen spielt, wird an | |
| der Seite von Catrina Stemmer und Josef Bierbichler zur Superfrau Hedi, die | |
| das Leben der alleinerziehenden Mutter Iva (Stemmer) ziemlich aufzumischen | |
| versteht. „Schau mich nicht so an“ – das ist das Protokoll eines | |
| unerwarteten Zusammentreffens, das in einem Münchner Hinterhof beginnt und | |
| rasch Fahrt aufnimmt. Im Gespräch mit Uisenma Borchu, die seit Kurzem auch | |
| „Mongolian Woman of the Year“ ist, wird eines schnell klar: In Sachen | |
| Direktheit und Offenheit stehen sich Regisseurin und Film in nichts nach. | |
| taz: Frau Borchu, in Ihrem Film fällt immer wieder ein Gemälde auf, quasi | |
| von der Titelsequenz an . . . | |
| Uisenma Borchu: Das Bild ist von meinem Vater Borchu Bawaa, ich habe es aus | |
| seinem Atelier geklaut. Dieser Reiter, der über das Blaue hinwegfegt – das | |
| hat etwas von einem Einzelkampf. Und die blaue Farbe ist für mich ein | |
| Symbol der Freiheit. Er hat auch ein Bild von Tupac Shakur für meine | |
| Filmwohnung gemalt und natürlich das Filmplakat. | |
| Was sind das für Wohnungen, in denen gedreht wurde? | |
| Dort leben Freundinnen und Freunde von mir. Denen habe ich gesagt, dass wir | |
| was Kleines drehen wollen, meinen Abschlussfilm, für den ich ja keine | |
| Förderung bekommen habe. | |
| Wieso hat es keine Förderung gegeben? | |
| Ich denke, die Förderung war nicht mit dem Thema einverstanden. Schon | |
| allein, dass es „weiblich“ ist und sexuell sehr radikal. | |
| Und ich dachte immer, insgeheim würde auf solche Stoffe gelauert. | |
| Na ja, es muss einem Klischee entsprechen. Und wenn du nicht zu diesem | |
| Stereotyp gehörst, bist du raus. Wenn du dann noch ein Schlitzauge bist und | |
| eine junge Filmemacherin, dann hast du da eigentlich so gut wie keine | |
| Chance. Ich wusste schon, dass mein Film „anders“ ist, aber ich dachte, | |
| beim Abschlusstopf – das ist ja noch nicht einmal der allgemeine | |
| Filmförderungstopf – sind sie vielleicht ein bisschen offener. | |
| Ich stelle mir das sehr desillusionierend vor: Bevor es überhaupt an das | |
| Drehen geht, ist man eigentlich schon „durch“. | |
| Als ich die Absage bekam, war ich wirklich enttäuscht. Sepp (Anm. d. Red.: | |
| Josef Bierbichler) und Catrina (Stemmer) hatten bereits zugesagt, alle | |
| waren am Start. Und dann vertrauen dir die Leute nicht, obwohl du jahrelang | |
| an der Filmhochschule warst. Aber wir mussten und wollten drehen. Dennoch | |
| war es für mich ein Schock, so sehr an mein Geschlecht erinnert zu werden. | |
| Die Absage wurde tatsächlich derart explizit begründet? | |
| Ja, sie sagten, das Drehbuch sei „zu weiblich“. Aber das ist nichts, was | |
| ich nur bei der Auswahljury erlebt habe. Ähnliches ist mir auch bei | |
| Gesprächen mit dem DAAD (Anm. d. Red.: Deutscher Akademischer | |
| Austauschdienst) passiert. Denen habe ich das Projekt damals nämlich | |
| ebenfalls vorgestellt. Eine einzige Frau war bei den Auswahlgesprächen in | |
| Bonn dabei. Und die sagte zu mir: „Neunzig Minuten lang Frauen, sind Sie | |
| sich sicher?“ Da dachte ich mir: Wie kann man einer anderen Frau nur so in | |
| den Rücken treten? | |
| War die Geschichte von Hedi und Iva schon lange in Ihrem Kopf? | |
| In meinen Filmen habe ich eigentlich immer mit Frauen rumhantiert, gerade | |
| auch in meinen Dokumentarfilmen „Donne-moi plus“ und „Himmel voller | |
| Geigen“. Gelesen habe ich auch immer viel und noch mehr, als ich durch mein | |
| Kind auf einmal tiefer und auch anders in dieser Frauenwelt war. Vor allem | |
| Autorinnen aus den 30er und 40er Jahren. Da habe ich gemerkt, dass die | |
| Ängste und Befürchtungen immer noch dieselben sind. Mein Gefühl, das zuvor | |
| ohnehin schon existierte, wurde bestärkt. | |
| Welches Gefühl? | |
| Das Gefühl, dass die Frau extrem spannend ist! Weil sie seit Jahrhunderten | |
| unterdrückt ist. Und ich glaube, so eine Frau hat extrem viel zu erzählen. | |
| Die Figur „Frau“ eigentlich. Denn wir werden ja, wie man so berühmt sagt, | |
| dazu gemacht. Dahinter kommt man auch, wenn man die ganzen Rollenmuster der | |
| Gesellschaft am eigenen Leib spürt. Dann merkst du auch: Okay, das ist | |
| etwas, was richtig in mir bohrt. Und vor allem, wie Frauen untereinander | |
| mit sich umgehen, unter dem Druck, der herrscht. Auch das wollte ich mit | |
| den Charakteren Iva und Hedi ein bisschen fühlbarer machen. | |
| Sie übernehmen in Ihrem Film selbst die Rolle der Hedi. Sie hat auf mich | |
| großen Eindruck gemacht, mich aber auch irritiert. Ich kann sie schwer | |
| einschätzen. | |
| Hedi ist eine sehr starke Frau, die aber unter einem enormen Druck steht, | |
| irgendwo reinzupassen. Sie geht Schritte vorwärts, das muss man ihr | |
| anrechnen. Und man muss auch sehen, dass sie einfach nicht mehr reinpassen | |
| möchte, aufbegehrt. Ansonsten ist sie aber trotz allem jemand, der Angst | |
| hat und extrem unsicher ist. Genauso wie Iva. In der Folge gibt es fast | |
| keinen Moment, wo beide Frauen ehrlich zueinander sind. Es besteht eine | |
| Unehrlichkeit zwischen ihnen. | |
| Aber was zieht sie dann zueinander? Dort muss doch etwas Ehrliches zu | |
| finden sein. | |
| Es ist ein Reiz, den beide fühlen, weil sie sich doch ähneln. Sie empfinden | |
| diese Sympathie füreinander. Aber in dem Moment, in dem sie ehrlich sein | |
| könnten, sollten, sind Unsicherheit und Druck einfach zu heftig, um | |
| Schwäche zu zeigen. Das gilt doch auch für unsere Gesellschaft: Immer soll | |
| man wissen, was man möchte. Diese ganzen Pseudoanforderungen! Die eine kann | |
| das nicht erfüllen und die andere, Hedi, erfüllt das dann eben zu 150 | |
| Prozent. | |
| Hedi raucht ununterbrochen, treibt Sport, macht Karriere, sieht toll aus, | |
| nimmt sich Männer mit nach Hause und wirft sie wieder raus, wenn sie ihr | |
| doch nicht passen. Die ist schon sehr cool. Und es macht Spaß, ihr dabei | |
| zuzusehen! | |
| Ich habe letztens wieder eine BR-Redakteurin getroffen – denen hatte ich | |
| das Drehbuch auch vorgestellt – und die sagten damals „Was hat das mit | |
| unserer Realität zu tun?“ Jedenfalls meinte diese Redakteurin: „Ja, bald | |
| kommt Ihr Film ja ins Kino. Ihr Softporno.“ Das labern die da. „Und, hast | |
| du schon den Softporno gesehen, mit der Asiatin?“ Die sind sich ihrer | |
| gesellschaftlichen Verpflichtung überhaupt nicht bewusst. Sobald eine | |
| nackte Frau auftaucht, ist es sofort Porno. | |
| Und dann reisen Hedi und Ivas kleine Tochter Sofia in die Mongolei. Sie | |
| begegnen Hedis Großmutter, Traditionen. Die Episode wirkt wie eine | |
| Traumsequenz. | |
| Für manche sind diese Ebenen nervig, für andere sind sie gerade | |
| interessant. Wo man nicht sagen kann, was eigentlich läuft. Was ist die | |
| Wahrheit? Ja, wenn man das im Leben immer wüsste. Unser Gehirn macht einige | |
| krasse Sachen mit uns. Aber ich will den Film auch gar nicht erklären. Wenn | |
| ich mir einen Film ansehe, möchte ich auch am liebsten mit meinen eigenen | |
| Gedanken verbleiben. | |
| Wollten Sie eigentlich schon immer Filme drehen? | |
| Nein, erst mit zweiundzwanzig bin ich auf den Gedanken gekommen, dass ich | |
| vielleicht eine Filmemacherin sein könnte. Davor habe ich Französisch und | |
| Geschichte studiert, wollte Journalistin werden, ich dachte, das sei ein | |
| Traumjob. Aber als Journalistin muss man objektiv sein, deine eigene | |
| Meinung interessiert da niemanden. Ich dachte: Wenn du so expressiv bist, | |
| dann musst du etwas anderes versuchen. | |
| 16 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Carolin Weidner | |
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