# taz.de -- Coming-of-age-Film „Diamond Island“: Ein süßer Sog, ein Abheb… | |
> Ein Motorrad und ein wenig Geld für Essen und Bier: „Diamond Island“ von | |
> Davy Chou erzählt vom Erwachsenwerden in Phnom Penh. | |
Bild: Die einen bauen Häuser, die anderen amüsieren sich: „Diamond Island�… | |
Es ist eine mühselige Arbeit, die Bora (Nuon Sobon), ein junger Mann aus | |
einem kambodschanischen Dorf, auf Diamond Island verrichten muss. Diamond | |
Island, in der Khmer-Sprache Koh Pich, ist ein Stadtviertel der Hauptstadt | |
Phnom Penh. Bis vor wenigen Jahren war hier nichts weiter als Staub und | |
Sand, nun wachsen riesige Gebäudekomplexe aus der Erde. Aber nicht | |
irgendwelche, sondern teure, luxuriöse. In einem Werbespot, der Lust auf | |
die Riesenbaustelle machen soll, ist von europäischer Ästhetik die Rede. | |
Diamond Island steht für ein Kambodscha, das aufschließen möchte. Doch für | |
dieses Vorhaben braucht es Geld und Arbeiter wie Bora. Für einen kleinen | |
Lohn sind sie am Modernisierungsunternehmen des Landes beteiligt und | |
schicken die Hälfte des Verdienstes zurück an ihre Familien aufs Land. | |
Besonders cool ist das nicht. Aber wie Bora geht es vielen. Regisseur Davy | |
Chou bringt einige junge Männer in seinem Film „Diamond Island“ als Clique | |
zusammen. | |
Da ist Dy (Korn Mean), ein androgyner Typ, der aus demselben Dorf wie Bora | |
kommt und der manchmal ein Käppy mit einem US-Flaggen-Print trägt. Oder | |
Virak (Nut Samnang), ein Pummelchen mit einem frisierten Hahnenkamm, der | |
sich für unwiderstehlich hält. Er ist es auch, der den Jungs Nachhilfe in | |
Sachen „Rumkriegen“ erteilt: Man muss eine Frau nur oft genug zu Befummeln | |
versuchen, irgendwann unterlässt sie es, die tastenden Finger zu strafen. | |
Am besten wartet man außerdem auf den Valentinstag, denn dann wollen alle | |
ihre Jungfräulichkeit verlieren. Ebenfalls essenziell: ein Motorrad oder | |
etwas Vergleichbares und ein wenig Geld für Essen und Bier. | |
Diesen Unterricht hat jemand wie Solei (Nov Cheanick) nicht nötig. Solei | |
ist hip, trägt die Haare lang, die Hose eng, und sein Motorrad leuchtet in | |
der Nacht wunderbar blau. Solei ist der ältere Bruder Boras und er hat sich | |
ziemlich lange nicht blicken lassen. Zufällig laufen sich die Geschwister | |
über den Weg, ein Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Welten. | |
## Kapitalstark im Hintergrund | |
Man erfährt, dass Solei von einem ominösen Amerikaner gesponsert wird, der | |
in „Diamond Island“ zwar nie in Erscheinung tritt, aber offenbar | |
kapitalstark im Hintergrund agiert. Bora soll die Baustelle verlassen und | |
als Manager in einer Bar anfangen. Oder gleich mit nach Amerika kommen. | |
Vorab gibt es aber schon mal das neueste iPhone, das finden auch die | |
Mädchen gut. | |
Davy Chous Film ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden vor einer | |
Kulisse, die gerade selbst im Begriff ist, erwachsen zu werden. Wobei | |
„Erwachsenwerden“ sich hierbei weniger auf eine Reifung bezieht als auf ein | |
buchstäbliches Wachsen: größer werden, bedeutender, gesehen werden. Wozu? | |
Um mitspielen zu können. Denn während sich die Hauptstädte der | |
Nachbarländer wie Bangkok und Hanoi zu Metropolen ausgewachsen haben, | |
dümpelt Phnom Penh in der Bedeutungslosigkeit dahin. | |
Obschon die Schreckensherrschaft der Roten Khmer zwischen 1975 und 1978 | |
bereits einige Jahre her ist – beinahe zwei Millionen Menschen fielen der | |
maoistisch-nationalistischen Guerillabewegung zum Opfer –, stammen die | |
guten Erinnerungen ausschließlich aus den Mündern der Älteren, die sich | |
noch an eine Zeit vor Pol Pot erinnern können. | |
## Verlorene Filme | |
Jene kommen auch in einem anderen Film Chous zu Wort, dem Dokumentarfilm | |
„Golden Slumbers“ von 2012, der sich mit der einst blühenden Kinolandschaft | |
Kambodschas befasst. Diese ist so gut wie verschwunden, weder Filmrollen | |
noch Filmarbeiter haben die Siebzigerjahre überlebt – mit Ausnahme | |
zahlreicher Musikstücke, die in den Karaokebars des Landes fortbestehen. | |
Auch in „Diamond Island“ wird Karaoke gesungen, jedoch nicht von Solei und | |
seinen Freunden. Denn sie gehen lieber in Clubs tanzen oder treffen sich | |
mit anderen Rich Kids auf Parkplätzen, um dort mit Frisbees zu spielen, die | |
genauso blau leuchten wie die Motorräder und die Musikanlagen, die in den | |
Kofferräumen der Autos eingebaut sind. Karaoke erscheint dagegen fast schon | |
gestrig, vielleicht auch zu asiatisch. Das Modell, das Solei und seine | |
Freunde vorleben, ist ein internationalisiertes; Kleidungscodes folgen | |
einem Standard, wie er überall auf der Welt anzutreffen ist. | |
Von Regisseur Chou wird Bora nun als Grenzgänger eingesetzt zwischen denen, | |
die Diamond Island errichten, und denen, die sich dort einen Jux machen. | |
Unparteiisch bleibt er dabei nicht. Dennoch zählt zum stärksten Part des | |
Films genau jener Teil, in welchem der große Bruder den kleinen an die Hand | |
nimmt und ihm ein Phnom Penh zeigt, das er noch nicht gesehen hat. Es ist, | |
als befände man sich auf einmal selbst in einem dieser Werbevideos, | |
schwebte auf einem Motorrad durch die Stadt. Dazu erklingt dann | |
atmosphärisch Basslastiges, und alle sehen ziemlich gut aus. | |
Ein süßer Sog, ein Abheben, ein Versprechen. Dass hinter alldem | |
möglicherweise nicht allzu viel steckt, damit setzt sich Davy Chou in | |
„Diamond Island“ auseinander. Aber auch, wie erhebend es sein kann, | |
dazuzugehören. | |
19 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Carolin Weidner | |
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