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# taz.de -- Coming of Age-Film „Sparrows“: Kindmann in erwachsenem Körper
> Initiation vor harscher Landschaft: Rúnar Rúnarsson versetzt in
> „Sparrows“ einen Jugendlichen von Reykjavík an die Peripherie Islands.
Bild: Mal kurz verschnaufen: Atli Óskar Fjalarsson (links) als Ari in „Sparr…
Vor dieser Bergkulisse wirkt alles sehr klein. Selbst das Flugzeug, mit dem
Ari (Atli Óskar Fjalarsson) aus Reykjavík gekommen ist. Gleitet es neben
einigen Vögeln das Massiv entlang, könnte man es fast für einen von ihnen
halten. Und auch das, was sich vor den Bergen abspielt, wirkt wegen der
Dimensionen wie unbedeutendes Theater. Oder eine Aneinanderreihung
gewöhnlicher Szenen, die erst in ihrer ruhigen Abfolge ihre Dramatik
preisgeben.
Verantwortlich für diesen Eindruck von „Sparrows“ ist auch Kamerafrau
Sophia Olsson, die ebenfalls in Rúnar Rúnarssons vorangegangenem Spielfilm
„Volcano“ (2011) für die Bilder zuständig war, und die sich den Situation…
von einer statischen Perspektive her nähert, eher auf Abstand setzt.
Rúnarsson versteht sich dafür auf die Inszenierung des Alltäglichen. Und
jenes tritt vielleicht an keiner Stelle deutlicher hervor als in den
Umbruchphasen des Lebens. Begleitete „Volcano“ einen älteren Herren nach
dem Antritt seines Ruhestands, ist es nun der 16-Jährige Ari, den der
Isländer ins Erwachsenenleben stößt, ihn auf einen Bildungsgang schickt.
Ari hatte bis vor Kurzem mit seiner Mutter in der isländischen Hauptstadt
gewohnt. Bis berufliche Notwendigkeiten – sie hat in verschiedenen Ländern
Afrikas zu tun – das Mutter-Sohn-Band anreißen und Ari seinem Vater im
Norden zuführen. Als „kein Ort für Kinder“ bezeichnet sie das neue
Wirkungsfeld und rechtfertigt damit den Entschluss, Ari auf dem Inselstaat
zurückzulassen.
Natürlich ist der kein Kind mehr. Und natürlich wird die Kleinstadt, in der
er fortan mit dem wenig vertrauten Vater leben soll, ebenfalls kein Ort für
Kinder sein. Aris Vater (Ingvar Eggert Sigurðsson) lebt als Junggeselle in
einem heruntergekommen Haus, das Sammelstelle für all jene ist, die dem
Leben mittels einiger Flaschen Bier gern den Rücken kehren. Das alte Haus,
in dem die Familie einst gewohnt hat, steht indes zum Verkauf. Ari besucht
es einmal, sieht, dass die alte Kindertapete noch hängt, und verkrümelt
sich in dieser aufgeladenen Umgebung, zu der es doch keine Rückkehr geben
kann.
## Ein gefasster Charakter, in dem es doch wütet
Sowieso scheinen auch in dieser Coming-of-Age-Geschichte jegliche Brücken
in eine wohligere, behütetere Vergangenheit durchtrennt. Nichts will mehr
zusammenpassen. Da ist die Sandkastenfreundin Lára (Rakel Björk
Björnsdóttir), die Ari nach vielen Jahren wiedertrifft und die nun einen
Freund hat, der sich aggressiv an sie klammert und Ari eine blutige Nase
verpasst. Vater Gunnar will ihn derweil zum Mann erziehen, mit ihm zur Jagd
gehen.
„Nimm seinen Machoquatsch nicht zu ernst. Das ist sein Handicap“, versucht
ihn die Oma (Kristbjörg Kjeld), des Vaters Mutter, zu trösten. Trotzdem
macht es Rúnarsson seiner Hauptfigur nicht leicht, diesem Kindmann in
beinahe erwachsenem Körper, auf dem ein Kopf mit unschuldig sanfter Miene
sitzt. Ein gefasster Charakter, in dem es doch wütet. Außerdem ein
Chorsänger mit glockenheller Stimme. Atli Óskar Fjalarsson hat der Film
viel zu verdanken, denn ihm gelingt es, einen gefühlsmäßigen Wandel in sehr
kurzer Zeit und sehr subtil darzustellen.
Zum Exempel: Als es schließlich doch zu einer Annäherung mit Lára kommt,
Ari dieser zunächst hilflos gegenübersteht, überfordert ist von der
Umarmung des Mädchens, sie aber erwidert, mutiger wird, einen Kuss
probiert, damit Erfolg hat und sich letztlich aus der gemeinsamen Nähe
herauslösen muss und von allem erschüttert die Flucht ergreift, bietet
Fjalarsson eine ganze Menge an Spielkraft auf. Und ihm bleibt auch nichts
anderes übrig in dieser drückenden Welt, in der Rúnarsson ihn ausgesetzt
hat und in der Formendes am Werk ist.
## Immer wieder Aufwind
Wobei nicht alle Härten unbelohnt bleiben: In der Fischfabrik, in der
Gunnar seinen Sohn eigenmächtig untergebracht hat, gibt es bald den ersten
Umschlag mit Geld. Eine Art Initiation. Es sind solch schimmernde
Begebenheiten, von denen der Film immer wieder durchsetzt ist, weil es
sonst kaum auszuhalten wäre. Für Ari nicht. Und für den sich in Ari
Einfühlenden auch nicht.
Rúnarsson hat zudem Freude an der Vermittlung dieser Lichtmomente: Da
scheint auf einmal das Sonnenlicht um des Jungen Haupt herum und heiligt
den mühevollen Weg, der zu gehen ist. Manchmal spielt auch eine
lieblich-säuselnde Melodie, die von Kjartan Sveinsson stammt, vormals
Keyboarder bei Sigur Rós. Es ist, als würde der Regisseur seiner Figur
immer wieder Aufwind bescheren, wenn diese kurz vorm Absturz steht oder
gerade abgestürzt ist und wieder aufgerichtet werden muss.
Das alles geschieht vor dieser harschen Landschaft, in der Menschen
vorzufinden sind, die sich abgepanzert haben, die roh sind und nicht
verschnörkelt. Verhärmt und nur bedingt gütig. Dass ein Junge wie Ari hier
landen muss, das kann einem schon ein bisschen leidtun. Aber es ergibt
Sinn, wenn sich Rúnar Rúnarsson vorgenommen hat, mit „Sparrows“ eine
Lebensschule zu zeigen. Und die ist eben kein Ort für Kinder.
24 Nov 2016
## AUTOREN
Carolin Weidner
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Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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Philosophie
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