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# taz.de -- Historienfilm von Mika Kaurismäki: Aufklärerin auf verlorenem Pos…
> Mika Kaurismäki porträtiert in „The Girl King“ die progressive
> schwedische Königin Kristina als Antiheldin par excellence.
Bild: Malina Buska als Königin Kristina Wasa
Eine Ähnlichkeit, die sofort ins Auge springt: Königin Kristina Wasa (Malin
Buska) erinnert nicht wenig an den von Johnny Depp gespielten William Blake
in Jim Jarmuschs schwarzweißem Antiwestern „Dead Man“ von 1995.
Wahrscheinlich ist es die Sache mit dem Hut und den langen dunklen
Haarsträhnen, womöglich auch etwas Verwegenes, das beide Charaktere
umschwebt.
Zudem scheint die äußerliche Verwandtschaft gar nicht allzu zufällig – Mika
Kaurismäki hat das Antlitz Blakes bereits einmal in einem seiner Filme
zitiert: In „L.A. Without a Map“ (1998) wurde der Hauptfigur Richard (David
Tennant) ein Filmposter von „Dead Man“ zum treuen Begleiter, besonders,
wenn sich das Gesicht von Blake-Depp immer wieder verlebendigte und auf
diese Weise die Nöte des Rat suchenden Schotten in Hollywood kommentierte.
Einen solchen Vertrauten könnte auch Kristina gut gebrauchen, doch weit und
breit ist keiner in Sicht. Die Königin steht mit ihren Leiden und
Leidenschaften im Schweden des 17. Jahrhunderts ziemlich allein da.
## Schräg, progressiv, verliebt und sehr sehr jung
Meint man es nicht gut mit Mika Kaurismäkis neuem Film „The Girl King“,
treten derlei Parallelen leicht in den Hintergrund. Dann sieht man im
schlimmsten Fall einen seichten Historienfilm mit einem erotischen,
filmisch stark ausgebreiteten Liebesdrama zwischen Königin Kristina und
ihrer Kammerzofe, der Komtess Ebba Sparre (Sarah Gadon).
Tatsächlich hat man es bei „The Girl King“ aber mit einem typischen
Kaurismäki zu tun, denn Kristina ist eine Antiheldin par excellence, eine
sehr schräge sogar, der eben zufällig in einem historischen Setting zu
begegnen ist. Es ist das Europa des Dreißigjährigen Krieges und der
Glaubenskämpfe – und eines, in dem Kristina als Achtzehnjährige die
Regierungsgewalt erlangt.
In Vorbereitung auf den Amtsantritt wird ihr dafür die Erziehung eines
Jungen zuteil. Man drückt ihr Waffen und Bücher in die Hand, entreißt sie
den Fängen der wirren Mutter Maria Eleonora von Brandenburg (Martina
Gedeck), die ihre Tochter zweimal täglich die kalten Lippen der Vaterleiche
küssen ließ. Kaurismäki zeigt ein rustikales, wenig glamouröses Schweden –
ein bäuerliches Volk, dem Kristina zu mehr Bildung verhelfen will.
Außerdem, so findet sie, reicht es langsam mit den kriegerischen
Auseinandersetzungen.
## Was, wenn die Königin die Konfession wechselt?
Kristina ist progressiv. Und sie verehrt René Descartes, glühend. Mit ihm
unterhält sie einen regen Briefverkehr, denn sie erhofft sich vom
französischen Philosophen die Beantwortung quälender Fragen. Fragen wie:
Was ist die Liebe? Und vor allem: Wie kann man sie wieder loswerden?
Doch der Kontakt zwischen Philosoph und Königin ist ungern gesehen.
Descartes’ Zeilen entsteigen Gedanken, die dem in Schweden geltenden Wort
Luthers entgegenstehen. Was, wenn die Königin nun auch noch die Konfession
wechselt?
Kristinas Interessen bewegen sich derweil in anderen Sphären: Bildung,
Frieden – und als wären diese Prioritäten nicht Skandal genug – um die
aparte Komtess Ebba Sparre. In jene verliebt sich Kristina nämlich und geht
sogar so weit, die durchsichtig schimmernde Blonde zur „königlichen
Bettgefährtin“ zu erklären. Mit ihr muss sie erst mal das Küssen erlernen,
das von der Mutter hergerichtete Mausoleum hat ihre Lippen offenbar hart
gemacht.
## Kühne Manöver
Für diese spannungsgeladene Angelegenheit nimmt sich Kaurismäki in „The
Girl King“ viel Zeit. Insbesondere für die Qualen, die Kristina angesichts
ihrer erwachenden, schwer einzuordnenden Regungen auszustehen hat.
Kaurismäki zeigt die schwedische Königin in einem permanenten Widerstreit,
in dem sich herrschaftliche Anforderungen und Beschränkungen immerzu mit
persönlichen Bedürfnissen ungut begegnen.
Was den krampfigen Konflikten aber eine genüssliche – und Kaurismäki’sche…
Note verleiht, ist, wie sich Kristina kraft ihres hohen Amtes doch kühn
über Geltendes hinwegzusetzen weiß. Die Ernennung Ebbas zur „Bettgefährtin…
ist eines dieser Manöver. Ein anderes die Weitergabe der aufwendigen
Gewänder, die Graf Johan von Oxenstierna (Lucas Bryan) ihr aus
Werbungszwecken zukommen ließ – und die Kristina umgehend an die Komtess
verschenkt. Natürlich möchte sie bei der Erstanprobe dabei sein.
Es sind diese charmanten Spektakel, mit denen sich „The Girl King“ am
liebsten beschäftigt. Zweifellos auch mit Kristinas höllenartigem Abstieg,
wenn Ebba Sparre dem Grafen Jakob de la Gardie (Jannis Niewöhner) zugeführt
wird. Dann verwandelt sich die Königin in einen bleichen, erschreckenden
und selbstmörderischen Schmerz; wird so sehr Mensch, dass dem Hof für ihr
Verhalten jeder Maßstab abhandenkommt.
Alles in „The Girl King“ drängt auf (Er-)Lösung, strebt dem Ausbruch aus
überkommenen Geisteshaltungen entgegen. Mika Kaurismäki erklärt seine
Kristina Wasa schließlich zur jungfernen Märtyrerin, der nichts anderes
übrig bleibt, als einem alternden Europa den Rücken zu kehren.
20 Jul 2016
## AUTOREN
Carolin Weidner
## TAGS
Historienfilm
Aufklärung
Spielfilm
Spielfilm
Drama
Thomas Vinterberg
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