# taz.de -- Film „Return to Seoul“ über Adoption: Die ohnmächtige Wut der… | |
> Davy Chous Spielfilm „Return to Seoul“ erzählt eine komplexe Geschichte | |
> über Adoptivkinder aus Korea. Eine Französin sucht darin nach ihrer | |
> Identität. | |
Bild: Freddie (Park Ji-min) hat keine Angst, im fremden Land anzuecken | |
Zum ersten Mal seit ihrer Kindheit kommt Frédérique Benoît, Freddie, zurück | |
nach Südkorea, in das Land, in dem sie geboren ist. Sie ist gekommen, ohne | |
recht zu wissen, was sie sucht. Die junge Frau quartiert sich in einem | |
Hotel ein und freundet sich mit Tena an, der Frau von der Rezeption. Tena | |
wird für sie vor allem anfangs zum Türöffner zu einem unbekannten Land. Sie | |
übersetzt für Freddie, sprachlich wie kulturell. Die Frage, wie viel | |
Übersetzung, wie viel Anpassung an Gepflogenheiten vor Ort sie überhaupt | |
will, ist für Freddie mit Fragen der Identität verbunden. | |
Beim Essen am ersten Abend erklärt ein Freund von Tena Freddie, dass man | |
sich in Korea nicht selbst nachgießt. Kurz entschlossen füllt Freddie ihr | |
Glas: In „Return to Seoul“, seinem neuesten Spielfilm, kreist der | |
französisch-kambodschanische Regisseur Davy Chou um Identitätsfragen einer | |
Generation, die als Kinder aus Südkorea an Eltern in aller Welt vermittelt | |
wurden. | |
Während der Gespräche beim Essen lässt Freddie einfließen, dass sie | |
adoptiert wurde. Sofort fangen ihre koreanischen Gesprächspartner an, ihr | |
Hinweise zu geben, wie sie ihre Eltern ausfindig machen kann. Niemand | |
fragt, ob sie das überhaupt möchte. | |
Als sie schließlich in eine Adoptionsagentur geht und ihre Akte durch die | |
Nummer auf der Rückseite eines Kinderfotos ausfindig gemacht werden kann, | |
bittet die Frau in der Agentur automatisch ihre Kollegen, anhand der von | |
den biologischen Eltern hinterlegten Informationen, auch die Adressen | |
herauszufinden. Die Agentur benachrichtigt die leiblichen Eltern von | |
Freddies Kontaktwunsch. | |
Die Mutter reagiert nicht, aber der Vater meldet sich kurz darauf per | |
Telefon im Hotel. Mit Tena als Übersetzerin fährt Freddie in den Westen von | |
Südkorea, nach Gunsan. In einer Reihe von Begegnungen mit ihrem Vater und | |
dessen Familie tastet sich Freddie an ihre neu entdeckten Verwandten heran. | |
Von dieser ersten Begegnung an verfolgt „Return to Seoul“ in drei Etappen | |
über acht Jahre hinweg Freddies Suche nach sich selbst und einem Verhältnis | |
zu Korea und ihrer Verwandtschaft. | |
## Die wiederentdeckte leibliche Familie | |
„Return to Seoul“ greift das Thema der Adoption südkoreanischer Kinder | |
durch Eltern aus dem Ausland auf. Vor allem in den 1970er und 1980er Jahren | |
wurden zahlreiche Kinder von internationalen Paaren adoptiert. Ende der | |
1980er Jahre beendete Südkorea diese Praxis weitgehend und versuchte | |
verstärkt, Kinder innerhalb des Landes zu vermitteln. | |
Im Thema der wiederentdeckten leiblichen Familie gibt es Ähnlichkeiten zu | |
[1][Chous Spielfilmdebüt „Diamond Island“ von 2016] über einen Jugendlich… | |
im heutigen Kambodscha, der seinen verschwundenen älteren Bruder | |
wiederfindet. Chous Langfilmdebüt war der Dokumentarfilm „Golden Slumbers“ | |
über die kambodschanische Filmgeschichte. | |
Feierte „Golden Slumbers“ 2012 noch Premiere im Forum der Berlinale, wurden | |
seit dem Wechsel zum Spielfilm mit „Diamond Island“ alle Filme Chous in | |
Cannes uraufgeführt. Auch sein zweiter Spielfilm feierte als „All the | |
People I’ll Never Be“ letzten Mai auf dem Filmfestival in Cannes Premiere. | |
Als Sony Pictures Classic die Vertriebsrechte für einen Teil der Welt vom | |
französischen Weltvertrieb MK2 erwarb, änderte der Vertrieb den Titel in | |
„Return to Seoul“. | |
## Die Facetten ihres Ichs austarieren | |
Im Pressematerial berichtet Chou, dass die Idee zum Film auf ein Erlebnis | |
mit einer adoptierten Freundin zurückgeht, die unvermittelt Kontakt zu | |
ihrer leiblichen Familie in Südkorea aufnahm. Auf den Film in seiner | |
jetzigen Form hat aber auch die Protagonistin Park Ji-min entscheidenden | |
Einfluss gehabt, die zuvor als bildende Künstlerin arbeitete und im Film | |
ihr Schauspieldebüt gibt. „Sie stellte mir viele Fragen und übte sogar | |
Kritik am Drehbuch, beispielsweise stellte sie das Verhältnis der Figur zur | |
Weiblichkeit und zu Männern infrage“, berichtet Chou im Pressematerial | |
weiter. | |
Den entscheidenden Durchbruch brachte die Figur der Imperator Furiosa aus | |
[2][George Millers „Mad Max: Fury Road“ von 2015] als Referenz für die | |
Rolle Freddies. „Nach und nach wurde Freddie eine Kriegerin, die sich nicht | |
scheut, ihre Wut auszudrücken. Ich sehe sie als eine Art ‚Agentin des | |
Chaos‘, deren Suche nach Leben und Freude Veränderungen bewirkt.“ | |
Getragen vor allem von seiner Hauptdarstellerin Park Ji-min, entwickelt | |
Chou ein komplexes Porträt einer jungen Frau beim Versuch, verschiedene | |
Facetten ihres Ichs auszutarieren. Park wechselt mit Leichtigkeit durch die | |
verschiedenen Register der Figur. Der Präsenz, die sie Freddie verleiht, | |
ist zu verdanken, dass sie im Film trotz aller Selbstsuche stets präsent | |
bleibt. | |
Unterstützt wird sie in dieser Leistung von tragenden Nebenrollen wie | |
Freddies leiblichem Vater, gespielt von Oh Kwang-rok, im Ausland bekannt | |
durch Rollen in Filmen von Park Chan-wook wie „Oldboy“ (2003) oder „Lady | |
Vengeance“ (2005), aber auch Guka Han als zurückhaltende Mittlerin Tena. | |
Mit „Return to Seoul“ fügt Davy Chou seiner Werkbiografie ein weiteres | |
Juwel hinzu. | |
26 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Coming-of-age-Film-Diamond-Island/!5372809 | |
[2] /Sequel-der-Mad-Max-Filme/!5008357 | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
## TAGS | |
Spielfilm | |
Korea | |
Adoption | |
Identität | |
GNS | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Französischer Film | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Filmrezension | |
taz Plan | |
Filmrezension | |
taz Plan | |
Frauen | |
Filmfestival Cannes | |
Spielfilm | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Tragikomödie „The Five Devils“ im Kino: Schönheit im Sinn | |
In Léa Mysius’ Mystery-Drama „The Five Devils“ kann ein Mädchen über | |
Gerüche in die Vergangenheit eintauchen. Vieles bleibt angenehm im | |
Ungefähren. | |
Berlinale schaut auf Deutschland: Den Blick weiten | |
Das Programm „Fiktionsbescheinigung“ im Forum der Berlinale würdigt | |
übersehene Filmemacher. Ihre Werke üben Kritik an deutschen Verhältnissen. | |
Kinoempfehlungen für Berlin: Zwischen Doku und Fiktion | |
Dorothee Wenner betrachtet die Klischees, die Europa über Afrika pflegt, | |
Jens Meurer gibt humorvoll Einblick in den britischen Streit um den Brexit. | |
Kinotipp der Woche: Antikoloniale Sonden | |
Das Festival „Ya França, Ya França“ im Sinema Transtopia zeigt Filme der | |
60er bis 80er Jahre über das Nachwirken des französischen Kolonialismus. | |
Kinoempfehlungen für Berlin: Ideal und Utopie | |
„Havelland Fontane“ nähert sich einem bürgerlichen Schriftsteller. „Die | |
Taube auf dem Dach“ erzählt von der Verbürgerlichung der Arbeiterklasse. | |
Kinotipp der Woche: Die volle Freiheit | |
Zum 85. Geburtstag der feministischen Filmemacherin Ula Stöckl zeigt das | |
Moviemento ihren Film „Sonntagsmalerei“ in einer neu restaurierten Fassung. | |
Der koreanische Regisseur Hong Sang-soo: Das Fühlen zwischen den Zeilen | |
Einen silbernen Bären hat er schon: der Regisseur Hong Sang-soo. Nun kommt | |
sein Berlinale-Film ins Kino und erzählt von glücklichen Begegnungen. | |
Filmfestspiele von Cannes: Schlaflos in Busan | |
Cannes 9: Mord und Liebe in Korea, tragische Migration in Belgien, | |
inszeniert von den Gebrüdern Dardenne. Endspurt beim Filmfestival in | |
Cannes. | |
Coming-of-age-Film „Diamond Island“: Ein süßer Sog, ein Abheben | |
Ein Motorrad und ein wenig Geld für Essen und Bier: „Diamond Island“ von | |
Davy Chou erzählt vom Erwachsenwerden in Phnom Penh. |