| # taz.de -- Der koreanische Regisseur Hong Sang-soo: Das Fühlen zwischen den Z… | |
| > Einen silbernen Bären hat er schon: der Regisseur Hong Sang-soo. Nun | |
| > kommt sein Berlinale-Film ins Kino und erzählt von glücklichen | |
| > Begegnungen. | |
| Bild: Begegnungen, Gespräche, Sitzen an Tischen, weitergehen. Szene aus dem Fi… | |
| Eine Standardsituation in Hong Sang-soos Filmen: Menschen an Tischen. Oft | |
| in diesen Filmen trinken die Menschen, betrinken sie sich, hier, früh im | |
| Film, der Tag ist noch hell, trinken sie Tee. Später, am selben Tisch, eine | |
| größere Runde, da häufen sich die Flaschen mit den alkoholischen Getränken | |
| auf dem Tisch, ein älterer Mann sitzt dabei und auf die Frage, was er so | |
| macht, sagt er nur: „Schreiben und trinken.“ | |
| Am Anfang aber sind es drei Frauen am Tisch und kein Mann. Darunter die | |
| Schriftstellerin Jun-hee (Lee Hye-hyong), die eine Schreibkrise hat und in | |
| den Vorort von Seoul gekommen ist, um eine Freundin, zu der sie den Kontakt | |
| verloren hat, zu besuchen. Auch diese Freundin war Schriftstellerin, auch | |
| sie ist in eine Krise geraten, dann hat sie die literarische Szene der | |
| Hauptstadt verlassen, betreibt nun eine Buchhandlung, in der Jun-hee sie | |
| aufsucht. | |
| Mit am Tisch eine junge Frau, die gerade dabei ist, Gebärdensprache zu | |
| lernen. Jun-hee bittet sie, einen Beispielsatz zu übersetzen. Sie denkt | |
| kurz nach, dann ist es dieser: „Der Tag ist noch hell, aber bald dunkelt | |
| es. Lass uns spazieren gehen, solange es hell ist.“ Die junge Frau zögert, | |
| spricht dann mit ihren Gesten. Die Hände offen nebeneinander gehalten, es | |
| ist noch Licht, eine Bewegung zur Seite, die Geste für „bald“ drängt von | |
| außen. Die junge Frau macht es vor, Jun-hee macht es nach. | |
| ## Man ahnt mehr, als man sieht | |
| Zwei Frauen und ihre Hände kommen so ins Gespräch. Small Talk als Haiku in | |
| Gebärden. Die Szene ist lustig und schön. | |
| Der Tag ist noch hell, Jun-hee geht spazieren. Sie lässt die anderen Frauen | |
| zurück, wird weitere Begegnungen machen. Sie geht in ein Haus mit einer Art | |
| Aussichtsplattform, weit unten sieht man eine mehrspurige Straße, genauer | |
| gesagt: Fast sieht man sie nicht, denn die schwarz-weißen Bilder sind zwar | |
| im Vordergrund kontrastreich und scharf, im Hintergrund aber wie | |
| überbelichtet. Man ahnt so mehr, als man sieht. | |
| Im Haus kommt Jun-hee mit einer Frau ins Gespräch, es stellt sich heraus, | |
| sie ist die Frau eines Filmregisseurs (wobei sie im weiteren Verlauf | |
| mehrfach nur sagt, sie wohnten zusammen). Der Regisseur, Herr Park, wollte | |
| einst ein Buch von Jun-hee verfilmen, es hat nicht geklappt, seitdem ist | |
| die Beziehung zwischen den beiden gestört. | |
| Das ist bald mit Händen zu greifen, denn er kommt um die Ecke, hat sich ein | |
| wenig versteckt, im Gespräch mit den beiden, seine Frau sitzt dabei, ist | |
| die nicht geheilte Wunde zu spüren. Jun-hee geht dann hinaus in eine Art | |
| Park, verabschiedet sich von den beiden, trifft zufällig, es ist wohl der | |
| glückliche Zufall des deutschen Titels, auf eine junge Frau, Kil-soo (Kim | |
| Min-hee) die Schauspielerin ist und Jun-hee erkennt, deren Bücher sie | |
| liebt. | |
| ## Ideen im Gehen | |
| Die beiden entwickeln, beim Gehen und beim Zwischendurch-Stehen, das | |
| Projekt eines gemeinsamen Films. Jun-hee will keine Bücher mehr schreiben, | |
| aber einen Film will sie unbedingt drehen. | |
| Das ist das kleine Nichts eines Plots in Hong Sang-soos Film. „Die | |
| Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall“ war in diesem Jahr | |
| im Wettbewerb der Berlinale zu sehen, gewann den Silbernen Bären, aber | |
| seitdem hat Hong bereits einen weiteren Film gedreht, seinen | |
| achtundzwanzigsten, „Walk Up“, der lief dann beim Festival von San | |
| Sebastián. | |
| Im Frühsommer hatte der südkoreanische Regisseur eine große Retrospektive | |
| in New York, im Herbst und Winter folgten und folgen Wien und dann München. | |
| Außerdem sind gerade zwei kleine Bücher über ihn erschienen, von Dennis Lim | |
| (auf Englisch: „Tale of Cinema“) und Sulgi Lie (auf Deutsch: „Das | |
| lächerliche Ernste“). Und nun läuft dank des Grandfilm-Verleihs dieser Film | |
| ganz regulär in deutschen Kinos, das ist nicht so häufig der Fall. | |
| Hong Sang-soo ist ein Regisseur, der von denen, die ihn lieben, geradezu | |
| glühend verehrt wird, aber nie ein großes Publikum haben wird. Auf den | |
| ersten Blick scheint in seinen Filmen vieles banal, minimalistisch, | |
| [1][Begegnungen eben, Gespräche, Sitzen an Tischen], es geht dabei weniger | |
| um das Gesagte und das Gezeigte als das Sagen und Sprechen und manchmal | |
| mehr noch das Schweigen, das Zeigen und Sehen, die Zwischentöne und das | |
| Lesen und mehr noch das Fühlen zwischen den Zeilen. Die Figuren sind nie | |
| völlig greifbar, auch nicht für sich selbst, entstehen, verändern sich mit | |
| den Situationen, beim Gehen, Reden und Zögern. | |
| Alles scheint schrecklich simpel, und noch simpler scheint es, seit Hong | |
| fast alles selbst macht: Produktion, Buch und Regie, eh klar, inzwischen | |
| aber meist auch Kamera, Schnitt, sogar die Musik. Immer enger wird der | |
| Kreis der Darsteller*innen, Hongs Lebensgefährtin Kim Min-hee, auch Kwon | |
| Hae-hyo, der hier den Regisseur spielt, ist zuletzt meistens dabei. Es geht | |
| dabei nicht um Autorenfilm-Größenwahn, sondern um Konzentration. Die Magie | |
| von Hongs Filmen ist eine Magie des Moments. Darum gibt es nie ein fertiges | |
| Drehbuch, Dialoge, Ideen werden am Morgen des Drehtags entwickelt – und | |
| alle Beteiligten überlassen sich dem, was beim Drehen geschieht. | |
| Und so sieht man dann drei Frauen am Tisch. Eine sagt einen schlichten | |
| lyrischen Satz, die andere übersetzt ihn in Gebärden, die die | |
| Schriftstellerin dann nachzumachen versucht. Sehr einfach ist das und hat | |
| doch die Magie des Haiku. „Der Tag ist noch hell, aber bald dunkelt es. | |
| Lass uns spazieren gehen, solange es hell ist.“ An Tagen, an denen es früh | |
| dunkel wird, kann man nun ins Kino gehen und mit einer südkoreanischen | |
| Schriftstellerin ins Helle spazieren. | |
| 9 Nov 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
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