# taz.de -- Schauspielerin Ratte-Polle über „Wanja“: „Wanja braucht den … | |
> Wie ein Raubtier im Streichelzoo, so beschreibt Anne Ratte-Polle ihre | |
> Rolle im Spielfilm „Wanja“. Ein Gespräch über Sucht, Knastaufenthalt und | |
> Komik. | |
Bild: „Sie ist eine starke Frau“. Anne Ratte-Polle in „Wanja“ | |
In kargen Bildern malt die Regisseurin Carolina Hellsgård das Bild einer | |
sperrigen Frau in „Wanja“, ihrem ersten Spielfilm. Die verschlossene Wanja | |
zieht nach einem Gefängnisaufenthalt in ein norddeutsches Kaff. Sie trifft | |
regelmäßig den Bewährungshelfer, arbeitet auf einem Reiterhof und beginnt | |
vorsichtig, Vertrauen aufzubauen – erst zu Tieren, schließlich auch zu | |
einer jungen Pferdepflegerin. Doch Wanjas Geschichte scheint sich zu | |
wiederholen. Die Schauspielerin Anne Ratte-Polle spielt Wanja. | |
taz: Frau Anne Ratte-Polle, Sie kommen aus Peheim bei Cloppenburg, einem | |
Nachbarort von Großenkneten. Sind Sie früher auch ein großes altes Auto | |
gefahren, so wie alle dort? | |
Anne Ratte-Polle: Natürlich, ich hatte einen Strich-Achter. Mein zweites | |
Auto war ein 123er … Man muss in dieser Gegend Auto fahren. Dass ich hier, | |
in Berlin, mit U- und S-Bahn überall hinkommen kann, ist für mich immer | |
noch Luxus. Und ich bin natürlich Trio-Fan, dass Peter Behrens gestorben | |
ist, macht mich traurig! | |
Wie sind Sie zum Schauspiel gekommen? | |
Ich habe in der Schule schon gern Theater gespielt, brauchte aber eine | |
Weile, um mich zu entscheiden, das wirklich professionell zu machen. Direkt | |
um mich herum gab es keine Vorbilder, keine Schauspieler oder Künstler. | |
Außerdem war mein Traum, Musik zu machen – ich war aber in keiner Band. Ich | |
habe dann festgestellt, dass Theaterspielen oder Filmemachen sich gar nicht | |
so sehr vom Musikmachen unterscheidet: Es hat mit Rhythmus zu tun, damit, | |
den richtigen Ton zu treffen, harmonisch oder disharmonisch zu sein. Man | |
spielt miteinander – wie in einer Band. Ein Theaterstück ist bestenfalls | |
wie ein Konzert. Und das Publikum geht genauso mit. | |
Ihre Figur Wanja, deren Geschichte genau in der Gegend spielt, aus der Sie | |
stammen, gibt kaum etwas von sich preis: Sie war wegen Bankraub im | |
Gefängnis, hat Drogen genommen, hat eine entfremdete Tochter, sonst weiß | |
man nix. Wie sind Sie an sie herangekommen? | |
Ich arbeite mit meiner Fantasie. Bei Wanja habe ich mir vorgestellt, dass | |
es auch eine Leichtigkeit in ihr gibt, die etwas machohaft Nordisches hat, | |
und die Spaß macht. Wanja ist kein Opfer, sie ist nicht zartbesaitet. Die | |
tritt in diesem Kaff, in dem der Film spielt, wie ein Raubtier im | |
Streichelzoo auf, spürt immer noch die Wumme, obwohl sie keine mehr trägt, | |
checkt alles ab, und wenn ihr einer doof kommt, muss der aufpassen. | |
Gab es Vorbilder? | |
Leider kaum Frauenfiguren, an denen man sich abarbeiten kann! So ein | |
bisschen Gena Rowlands vielleicht … Ich habe mich hauptsächlich an Männern | |
orientiert: „Buffalo 66“ mit Vincent Gallo, Alain Delon in „Der eiskalte | |
Engel“, Ryan Gosling in „Drive“ – die hatte ich im Kopf. | |
Die Regisseurin Carolina Hellsgård hat sehr reduziert erzählt – ohne | |
überflüssige Erklärungen … | |
Ja, das ist toll. Man lernt die Figur gemeinsam mit den anderen im Film | |
kennen, man guckt sich gegenseitig neugierig an. Darum ist „Wanja“ auch | |
kein typisches Sozialdrama, sondern hat einige Thrillerelemente. | |
Wanjas Kontakte sind ungewöhnlich: Sie ist eine robuste Macherin, und der | |
martialisch tätowierte Kneipengänger, der ihr Liebhaber wird, ist – genauso | |
wie ihr Bewährungshelfer – eigentlich sehr zahm … | |
Wanja betritt das Kaff wie ein Gepard einen Stall voller Plüschtiere. Die | |
anderen, auch der Liebhaber, wollen sie einordnen, können das aber nicht. | |
Es geht in dem Film schließlich um Vertrauen – kann Wanja überhaupt wieder | |
Vertrauen zu irgendwem entwickeln? Als sie dem Mädchen, dem sie helfen | |
will, vertraut, wird sie enttäuscht! | |
Wie haben Sie diese Figur angelegt? | |
Sie ist eine sehr starke Frau – sie hat immerhin im Knast aufgehört Drogen | |
zu nehmen, viele fangen ja im Knast erst damit an, unter anderem, um die | |
Zeit totzuschlagen. Sie dagegen schafft es, ihr Leben wieder selbst in die | |
Hand zu nehmen. Das macht sie auch nach dem Knast: Indem sie sich den neuen | |
Strukturen, dem Jobs, erst einmal anpasst. Um zu verstehen, aus welcher | |
Welt sie kommt, waren wir im Frauengefängnis in Lichtenberg. Ich habe mich | |
mit einer Insassin unterhalten, die, ähnlich wie Wanja, seit 8 Jahren dort | |
saß. Zum Thema Drogen sagte sie, wenn man neu im Knast sei und konsumieren | |
möchte, müsse man zuerst in diese Gruppe aufgenommen werden. Dafür würde | |
man geprüft, man würde geschlagen und erniedrigt, um zu sehen, ob man | |
dichthält – und genauso testet man selber danach andere auch. Eine harte | |
Welt. | |
Wie stark ist ihre Sucht? | |
Wanja hat mit Suchtgefühlen zu kämpfen und braucht den Kick. Auch der | |
Liebhaber aus der Kneipe ist für sie eher ein Kick. Es geht ihr dabei nicht | |
um Vertrauen. Das baut sie eher zu Tieren auf. Mit ihnen fällt es ihr | |
leichter zu kommunizieren. Die fragen sie ja auch nicht, wer bist du, woher | |
kommst du, was hast du gemacht. Ich glaube, der Ursprung von Misstrauen ist | |
Bewertung. Und dahinter steckt eigentlich Angst. Deshalb finde ich es ja so | |
toll, wie der Film erzählt, dass man Wanja so langsam kennenlernt, wie die | |
Figuren im Film und man sich genauso fragt, ob man ihr vertrauen kann oder | |
nicht. | |
Inwieweit hat der Knastaufenthalt Wanja verändert? | |
Um der Antwort näher zu kommen, habe ich mich für eine kurze Zeit in eine | |
Zelle einsperren lassen, nur eine Minute. Es war unglaublich laut, weil die | |
langen Gänge vor der Tür extrem stark hallen. Außerdem spürt man, dass | |
allein der Aspekt furchtbar ist, weggesperrt zu werden, weil man eine | |
Gefahr für die Gesellschaft darstellt. Das erzeugt einen Riss. Ich denke, | |
man beginnt dann selbst zu glauben, dass man gefährlich ist, egal, was man | |
gemacht hat. | |
Sie sind mit Pferden aufgewachsen und mussten jemanden spielen, der nicht | |
reiten kann … | |
Ja, das war lustig! Ebenso aufregend war es, mit dem Raben zu spielen – ein | |
echtes Raubtier. Sehr beeindruckend. Der Tierpfleger hat uns genau erklärt, | |
wie der Rabe sich verhalten würde, wann er sauer würde. Beim ersten Take | |
ist er direkt auf das Panoptikum der Kamera geflattert und alle im Raum | |
waren sehr, sehr still. Mir hat es Spaß gemacht, mit diesen | |
unterschiedlichen Tieren zu spielen. | |
Man sieht Sie selten in Komödien – wieso? | |
Was nicht ist, kann ja noch werden. Im Theater ist es schon lange so, zum | |
Beispiel in „Murmel Murmel“ an der Volksbühne oder in „Wer hat Angst vor | |
Hugo Wolf“ am Schauspielhaus Zürich. Ich suche immer nach Komik, auch bei | |
Wanja. | |
Ist es wichtig, ob eine Frau oder ein Mann Sie inszeniert? | |
Nein. Jede Arbeit ist unterschiedlich, das liegt aber eher an der | |
Persönlichkeit, denke ich. Einige behaupten ja, es gäbe Stoffe, die nur | |
Männer machen könnten und ebenso Stoffe, die nur Frauen könnten. Das finde | |
ich Quatsch. Ich finde es auch langweilig, alles darauf zu reduzieren. Noch | |
langweiliger finde ich, dass man darüber überhaupt noch reden muss. | |
Immerhin hat Susan Sontag schon vor Jahrzehnten erklärt, dass sie keine | |
Frauenschriftstellerin sei, da es keine Frauenliteratur gebe. | |
Es fällt aber auf, dass Frauen manche Genres selten bedienen … | |
Das stimmt. Es liegt vielleicht daran, dass die Verantwortlichen wohl immer | |
noch nicht, wie ProQuote fordert, für einen Filmstoff gleich viele | |
männliche wie weibliche Regisseure aus dem Topf holen. | |
Inwieweit schnitzen Sie sich eine Rolle selbst zurecht? | |
Ich arbeite, wenn es geht, überall mit, an den Szenen, am Text, auch an der | |
Frisur. Die ist mir sehr wichtig! | |
8 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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