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# taz.de -- Dokumentarfilm „Café Nagler“: Der Enkelinnenauftrag
> Die israelische Filmemacherin Mor Kaplansky sucht in „Café Nagler“ nach
> einer verschwundenen Institution im Berlin der Goldenen Zwanziger.
Bild: Wie auf dieser Postkarte dürfte das „Café Nagler“ von innen ausgese…
Manchmal gilt es ein Erbe anzutreten. Doch was, wenn die Person, die
vererbt, noch unter den Lebenden weilt? Wie nennt man ein solches Erbe? Ist
es Bürde, Pflicht, Verantwortung? Vermächtnis? Für die junge Mor Kaplansky
aus Israel ist es zunächst einmal ein Auftrag, den ihr die Großmutter
erteilt. Sie soll einen Film drehen. So wie ihre Großmutter Naomi Kaplansky
damals, fürs Fernsehen. Was sie nicht alles auf dem Schneidetisch hatte!
Doch ein Thema wurde stets ausgespart. Ein bestimmtes, das Herzensthema
ausgerechnet: Café Nagler. Eine private Legende, die sich längst zum Mythos
ausgewachsen hat. Nicht nur für Großmutter Naomi, sondern für die gesamte
Familie Kaplansky. Café Nagler! Dieser opulente, glamouröse Ort im Berlin
der Goldenen Zwanziger! Alle sollen sie hier verkehrt haben! Und Naomi
Kaplansky weiß davon, weil das Café von ihrer Familie gegründet wurde und
über viele Jahre eine Institution sondergleichen war. Bis es 1925 schloss,
weil die Auswanderung nach Palästina bevorstand.
Der Dokumentarfilm „Café Nagler“ von Mor Kaplansky führt sehr leichtfüß…
über das hinaus, was man gemeinhin als „dokumentarisch“ bezeichnen könnte.
Das liegt an den vielen Ebenen, die Mor Kaplansky eingebaut hat. Ebenen,
die in den Film geraten sind, weil sich die Regisseurin eben nicht mit
einem eigenen Projekt befasst, sondern vor allem mit jenem
Enkelinnenauftrag.
„Café Nagler“ spielt mit magischen Erinnerungen und stellt die Frage: Wenn
etwas so gewesen sein könnte, kann man sich dann nicht einfach dafür
entscheiden, dass es so war? Dann würde aus „wäre“ „ist“. Dann ist es
tatsächlich so gewesen. Die Sache nämlich ist die: Das Café Nagler, wie es
auf dem feinen Gedeck der Familie Kaplansky zu sehen ist, hat es
wahrscheinlich so nie gegeben.
Das erfährt Mor Kaplansky recht bald. Niemand in Berlin scheint sich an das
Café erinnern zu können. Selbst die, die sich sonst an alles erinnern. Auch
beruflich. Historiker, die sich mit dem Berlin jener Jahre befassen. Oder
auch leidenschaftliche Hobbyforscher, die über jedes Café am Platz Bescheid
wissen.
## Im Krieg zerstört
Nichts. Immerhin, Mor Kaplansky habe sehr hübsche Augen, sagt einer. Das
ist kein Trost. Die Filmemacherin ist verzweifelt. Ständig erkundigt sich
Großmutter Naomi nach dem neuesten Stand. Die Enkelin findet aber nur einen
trostlosen Hain am Moritzplatz, wo das Café einst gestanden haben soll. Das
Gebäude: im Krieg zerstört. Nichts ist von ihm übrig.
„Café Nagler“ ist ein im besten Sinne spezielles Erlebnis, aufgrund der
Bögen, die er immer wieder hinbekommt: sie überraschen. Die Partie eiert,
aber sie ist auch sehr herzig. Außerdem lernt man einiges. Über den Umgang
mit Prostitution in den zwanziger Jahren etwa. Oder erfährt, dass Kreuzberg
nicht unbedingt für seine Kaffeehauskultur berühmt gewesen ist. Dann schon
eher der Kurfürstendamm mit seinem Café Kranzler.
Man hört alte Schellackplatten spielen. Und man sieht einem Menschen dabei
zu, wie er an einer Aufgabe scheitert, für deren Scheitern er gar nichts
kann. Denn Café Nagler ist viel mehr als ein Mythos, von dem unzählige
Kaffeekränzchen profitierten – es ist auch ein Schwarzer Peter, der Mor in
die Hände fällt. „Café Nagler“ erzählt davon, wie es ist, wenn man einen
geliebten Menschen enttäuschen muss. Somit ist der von Naomi Kaplansky in
Auftrag gegebene Film viel mehr als Erbe, Wunsch oder Bürde: Er ist eine
Prüfung.
9 Jun 2016
## AUTOREN
Carolin Weidner
## TAGS
Dokumentarfilm
Berlin
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Spielfilmdebüt
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Filmstart
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