| # taz.de -- Dänischer Film über Minenräumer: Den Dreck des Krieges wegräumen | |
| > In „Unter dem Sand“ zerschellen die Zukunftshoffnungen der deutschen | |
| > Soldaten wie die Minen, die sie nach Kriegsende räumen müssen. | |
| Bild: Sebastian Schumann (Louis Hofmann) und Unteroffizier Carl Rasmussen (Rola… | |
| Ganz anders hatte sich das Zwillingspaar Ernst und Werner Lessner (Emil und | |
| Oskar Belton) das alles vorgestellt. Bald würden sie ein Unternehmen | |
| gründen, mit ihren Namen und einem „und Söhne“ (weil das nach mehr klingt | |
| und in die kinderreiche Zukunft weist). Eine Maurerfirma, die das | |
| „zerstörte Reich“ wieder aufbaut. Ihre Kollegen wollen „ein Mädchen und… | |
| zu essen“. | |
| Letzteres am liebsten von der Mutter auf der Oranienburger Straße | |
| zubereitet, „der besten Köchin von Berlin“. Die bescheidenen Träume des | |
| guten Dutzend junger Männer, die Regisseur Martin Zandvliet in seinem Film | |
| „Unter dem Sand“ vereinzelt durchblicken lässt, wirken nicht gerade | |
| übergeschnappt. Eher einlösbar. Und dann wieder: unglaublich fern. | |
| Das Dasein der Protagonisten wird in „Unter dem Sand“ auf mehreren | |
| Zeitebenen dargestellt, eine jede von ihnen auf ihre Art unerträglich. | |
| Neben den Fantasien von Mädchen und Fleisch mit Kartoffeln und Soße, dem | |
| tröstlichen Stochern in einer möglichen Zukunft also, sind zwei weitere | |
| Ebenen zentral. Die eine hat mit dem einen Moment zu tun, den die Männer | |
| mit höchster Anspannung zu fürchten lernen. Die andere Ebene ist die der | |
| Dauer: die ewige Wiederholung jenes Moments, vor dem es kein Entrinnen | |
| gibt. | |
| ## Jungen, die von Mama träumen | |
| Mai 1945. Die letzten deutschen Soldaten verlassen Dänemark. Unteroffizier | |
| Carl Rasmussen (Roland Møller) hat nicht wenig Vergnügen daran, die grauen, | |
| ausdruckslosen Gestalten in ihrem Schritt zu beschleunigen. „Das ist mein | |
| Land!“, keift er und schimpft und versetzt zur Verdeutlichung auch einige | |
| Hiebe. Ansonsten fährt der schnittige Rasmussen mit Hund Otto im dachlosen | |
| Militärjeep über dänische Küstengebiete. Zandvliet zeigt ihn als einsamen | |
| Cowboy. Überboten an Schneidigkeit wird er dabei nur von Leutnant Ebbe | |
| (Mikkel Boe Folsgaard), einem kühlen Schönen, der dem Sammeltrupp in „Unter | |
| dem Sand“ in fehlerlosem Deutsch die Sachlage darlegt. Wem? Den Schwärmern. | |
| Den jungen Männern, die eigentlich noch Jungen sind. Die von Mama und | |
| Fleischportionen auf und vor Tellern träumen. | |
| Über zwei Millionen Minen sind von der deutschen Armee während des Krieges | |
| entlang der dänischen Westküste verstreut worden. Die Aufgabe der deutschen | |
| Kriegsgefangenen nun: jede einzelne von ihnen aufzuspüren, zu entschärfen | |
| und zu entsorgen. Das Kommando im Film ist für einen Abschnitt mit genau | |
| 45.000 solcher Minen zuständig. Kommandoleiter Carl Rasmussen rechnet vor: | |
| Sechs bearbeitete Minen pro Stunde bedeuten, dass es in drei Monaten wieder | |
| heimwärts geht. Zahlen, die man im Kopf behält und die doch nur die eine | |
| Seite zeigen. Die andere wird im Verlauf von „Unter dem Sand“ offenbar und | |
| final noch einmal explizit gemacht: Über die Hälfte der Minenräumer lässt | |
| beim Einsatz ihr Leben. An der dänischen Küste sind es Zehntausende. | |
| Leutnant Ebbe ist derjenige, der das Kommando in seine Mission einführt, | |
| mit ihnen die Entschärfung der schweren Pucks übt. Wobei sich das Wort | |
| „Üben“ eigentlich verbietet. „Üben“ impliziert die Möglichkeit eines | |
| Scheiterns, auf das ein neuer Versuch folgt. Hier ist das keine Option. | |
| Simulieren die Jungen beim Robben über den Sand das Stochern nach den | |
| wenige Zentimeter unter der Sandoberfläche liegenden Objekten, haut der | |
| Leutnant beim kleinsten Fehler mit seinem Stock auf die Kriechenden und | |
| kommentiert nüchtern „Tot“, „Schon wieder tot“. Bei der „Probe“ im… | |
| endlich, wo sich jeder erstmals an einer echten Mine beweisen muss, kommt | |
| es dann auch tatsächlich zum Knall. Mit ihm im Ohr geht es an den Strand. | |
| Wo jeder Handgriff der potenziell letzte ist. | |
| Erschwert wird die Lage durch die Umstände: Schlafplätze befinden sich in | |
| einer einfachen Baracke, deren Tür Rasmussen jeden Abend verriegelt. | |
| Nahrung gibt es wenig, sodass sich einer der Lessner-Brüder schon mal ein | |
| Stück Brot von der benachbarten Bauerstochter ergaunert. Andere brechen | |
| direkt in den Stall der Bäuerin ein. Und erwischen mit Rattengift | |
| versetztes Getreide. „Jetzt habe ich auch ein paar erledigt“, freut sich | |
| die Bäuerin, während einer der Jungen, Wilhelm Hahn (Leon Seidel), am | |
| nächsten Tag, über eine Mine gelehnt und kotzend, in die Luft fliegt und | |
| danach armlos ist. | |
| Er ist einer der wenigen in „Unter dem Sand“, die nach dem Hochgehen der | |
| Mine überhaupt noch vorzufinden sind. Unheimlicher sind die Detonationen, | |
| nach denen der Auslöser verschwunden ist. In winzige Fetzen gerissen, | |
| sodass es wirkt, als hätte es ihn nie gegeben. Unsichtbar geworden. Und | |
| still ist es. Leutnant Ebbe findet: „Wer alt genug ist, in den Krieg zu | |
| ziehen, der kann auch seinen Dreck wegräumen.“ Und Regisseur Zandvliet | |
| bemüht sich, zu verdeutlichen, was das ist: der Dreck. Und sein Wegräumen. | |
| 7 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Carolin Weidner | |
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