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# taz.de -- ZDF-Serie „Familie Braun“: Ich bin zwar Nazi, aber...
> Das ZDF will mit einer neuen Web-TV-Serie über eine Neonazi-WG lustig
> sein. Was herauskommt, ist aber höchstens verstörend niedlich.
Bild: So, Papa, da bin ich: Lara (Nomie Lane Tucker, l.) in der Wohnung von Tho…
Gerade wollten Kai (Vincent Krüger) und Thomas (Edin Hasanovic) ein neues
Video für ihren YouTube-Kanal drehen, bei dem sie zeigen, wie man
Jutebeutel in Kartoffeldruck-Manier („deutsch!“) hipp verschönern kann, da
klingelt es an der Tür. Kai stößt noch ein strammes „Sieg heil!“ aus,
während sein Kamerad an der Hakenkreuzflagge vorbei zur Wohnungstür geht.
„Sind das die Bullen?“ ruft Kai aus dem Hintergrund. „Nee, ist ne Negerin…
antwortet Thomas verwirrt.
Tatsächlich steht da eine schwarze Frau (Karmela Shako) mit einem kleinen
Mädchen und erklärt ihm, dass die sechsjährige Lara (Nomie Lane Tucker)
seine Tochter sei (“2009? Demo vorm Flüchtlingsheim? Beide besoffen? Nachts
im Keller?“). Weil sie nun abgeschoben wird (“Ausländer raus! Kennst du
doch, oder?“) lässt sie die süße Kleine beim perplexen Vater und ist
verschwunden.
Die Ausgangslage für die vom ZDF produzierte Webserie „Familie Braun“, die
der Sender ab heute in jeweils fünfminütigen Doppelfolgen an vier Freitagen
in der spätabendlichen „Innovationsschiene“ auch ins lineare Programm
aufgenommen hat, klingt für deutsche Fernsehverhältnisse zunächst nahezu
subversiv: Eine Comedyserie über eine Neonazi-WG. Haben doch jahrelang alle
nach echten Antihelden in hiesigen Serienproduktionen geschrien –
bitteschön!
Gleichzeitig löst der Sender damit ja auch irgendwie den vor einigen Jahren
von Intendant Thomas Bellut geäußerten Wunsch nach einem deutschen „Two And
A Half Men“ ein. Für alle Jüngeren: Das war die Herrenwitz-Sitcom mit
Hollywoodstar Charlie Sheen, die früher das Programm von ProSieben
bestimmte, ehe sie irgendwann von der Nerd-Sitcom „The Big Bang Theory“ auf
Dauerrotation abgelöst wurde.
Ganzschön mutig also, das Thema Rechtsradikalismus in einer Comedyserie zu
verarbeiten, oder? Geht so. Genaugenommen macht die Prämisse von „Familie
Braun“ (höhö) schon alle Hoffnung auf wirklich schwarzen (hihi) Humor
zunichte. Denn durch die süße kindliche Naivität einer Sechsjährigen kann
die stumpfe Ideologie der Protagonisten natürlich wunderbar konterkariert
und ihre Bigotterie entlarvt werden. Hier wird es also schon gleich wieder
öffentlich-rechtlich korrekt und langweilig.
Überhaupt beschränkt sich die Subversion der Serie ausschließlich auf
vermeintliche verbale („Neger“, „Hitler“, „Sieg Heil!“) und visuelle
(Hakenkreuzfahne, Hakenkreuz-Mobile...) Tabubrüche, da sind selbst
etablierte ZDF-Formate wie „Die Anstalt“ und die „heute-show“ gemeiner.
Darüber hinaus sind die beiden Neonazis kaum mehr als junge Halbstarke, die
Omas in Bussen provozieren, kaputte (!) Fenster in ehemaligen (!!)
Flüchtlingsheimen einwerfen und verbotene Ballerspiele zocken.
## Vom Neonazi zum Kostüm bastelnden Papa
Und Papa Thomas wird natürlich augenblicklich zum sorgenden Vater, der
seine Kleine vor den Provokationen seines Mitbewohners beschützen will.
Eigentlich, das macht „Familie Braun“ von der ersten Minute an klar, ist er
doch wirklich ein ganz Lieber. Und auch noch total süß: Als sich Lara zum
Kostümfest als Hitler verkleiden will, schneidert er ihr lieber aus der
Hakenkreuzflagge ein Marienkäferkostüm! Und sein einziger echter Gewaltakt
richtet sich gegen eine Akustikgitarre, die ihn an eine verflossene Liebe
erinnert (hach)!
Mitbewohner Kai ist zwar krasser drauf, schlägt aber auch nur ein einziges
Mal jemanden zusammen, und der ist noch nicht einmal ein Ausländer, sondern
nur irgendein Typ auf einer Brücke. Tja, eine Neonazi-Comedyserie im
öffentlich-rechtlichen Fernsehen kann wohl niemals wirklich böse sein,
maximal „frech“.
Und wer ernsthaft eine freche Neonazi-Komödie im Deutschen Fernsehen sehen
will, hebe den rechten Arm. Sorry, kleiner Scherz.
12 Feb 2016
## AUTOREN
Jens Mayer
## TAGS
ZDF
Fernsehserie
Schwerpunkt Neonazis
ZDF
Fernsehserie
Schwerpunkt Türkei
TV-Dokumentation
Sigmar Gabriel
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