Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- ZDF-Film „Ein großer Aufbruch“: Im Angesicht des Todes
> In „Ein großer Aufbruch“ will ein Todkranker stilvoll Abschied nehmen.
> Doch Freunde und Familie rechnen mit ihm ab.
Bild: Du wirst bald sterben? Na dann: Mahlzeit! Adrian (Edgar Selge, r.) und He…
Der Wunsch des Autors ist nachvollziehbar: „Am liebsten wäre es mir
eigentlich, wenn man vorab nirgendwo lesen könnte, worum es in diesem Film
überhaupt geht“, sagt Magnus Vattrodt. „Oft wird so viel verraten, dass dem
Zuschauer das Entdecken und die Auseinandersetzung mit dem Stoff unmöglich
gemacht werden.“ Vattrodt hat das Drehbuch zu dem Fernsehfilm „Ein großer
Aufbruch“ geschrieben, bei dem Matti Geschonneck Regie führte und der mit
Schauspielern wie Matthias Brandt, Edgar Selge und Ina Weisse exzellent
besetzt ist.
Ein bisschen wird von der Story natürlich auch an dieser Stelle verraten:
Der todkranke Holm Hardenberg (Matthias Habich) lädt Familie und Freunde in
sein schönes Haus am Chiemsee ein, um ihnen dort bei Wein und gutem Essen
zu verkünden, dass er einen Sterbehilfetermin in der Schweiz hat, um seinem
Leben dort ein Ende zu setzen. Nachdem der erste Schock bei seinen sechs
Gästen abgeklungen ist, brechen alte Wunden auf, werden scharfe
Auseinandersetzungen über die Lebenslügen aller Anwesenden geführt.
Um die Themen Sterbehilfe und Tod geht es dem Film dabei nur am Rande. Sie
schweben unheilvoll über allem und bieten vor allem den Anlass, die Figuren
in einer Extremsituation an einem Ort aufeinander anzusetzen. Inhaltlich
reicht das Spektrum ihrer Auseinandersetzungen von Heroinsucht über
Seitensprünge bis zur Vernachlässigung von Kindern.
Immer mal wieder gibt es im Fernsehen diese Art von Kammerspiel zu sehen,
in dem sich satte Wohlstandsbürger (gern Alt-68er) in kleiner Runde
gegenseitig die Hölle heiß machen. Es ist fast schon ein eigenes Genre, in
dem Vattrodt und Geschonneck 2011 mit „Liebesjahre“ bereits einen Höhepunkt
setzten.
„Ein großer Aufbruch“ steht dem in nichts nach: Magnus Vattrodt hat starke
Dialoge geschrieben und es geschafft, trotz des beklemmenden Ausgangspunkts
seiner Geschichte, einen ganz speziellen Humor zu kreieren, der immer mal
wieder aufscheint und die düstere Szenerie zumindest für die Zuschauer ein
bisschen erhellt. Dieser Humor entwickelt sich aus der Bösartigkeit, dem
Hass, dem Zynismus, der Ironie der Protagonisten sowie der langen und
letztlich doch irgendwie tragfähigen Verbundenheit der Versammelten.
## Vattrodt: „Mal richtig eskalieren“
„Für mich ist die Arbeit an einem Film wie diesem anspruchsvoll und sehr
dankbar“, sagt Vattrodt. „Jeder Autor wünscht sich doch, dass Dialoge mal
richtig eskalieren dürfen. Dass die Sprache zur eigentlichen Aktion wird.
Zur Waffe, die geschwungen wird. Diese Filme sind dem Theater verwandt. Sie
müssen vielleicht ohne große Schauwerte auskommen, dafür bekommen aber die
Figuren reichlich Raum. Für solche Produktionen ist das Fernsehen viel mehr
gemacht als für die ganz großen Bilder, die oft verpuffen.“
Eines der größten Streitthemen am Chiemsee ist Holms Vergangenheit als
Ingenieur in der Entwicklungshilfe. Er inszeniert sich als Idealist, die
Wahrheit ist eine andere und beinhaltet sexuelle Abenteuer unter der Sonne
Afrikas. „Die latente Verlogenheit mancher Entwicklungshilfe-Aktivisten
beschäftigt mich schon länger“, sagt Vattrodt. „Die Selbstgerechtigkeit
einiger Menschen, die hinausfahren und für uns alle die Welt retten.
Ich war nach dem Abitur mehrfach in Westafrika und habe diese Szene ein
bisschen kennen gelernt. Da gab es viele, denen es ernst war, und die
professionell gearbeitet haben. Aber eben auch einige, bei denen ich mich
gefragt habe: Bist du wirklich hier, um zu helfen, oder weil es deinem Ego
schmeichelt, wenn du den großen Zampano spielen kannst und mit speziellem
Nummernschild durch Afrika brausen darfst?“
16 Nov 2015
## AUTOREN
Sven Sakowitz
## TAGS
Matthias Brandt
ZDF
Fernsehfilm
Fernsehen
ZDF
Islam
ARD
Belfast
ZDF
Paris
Doku
## ARTIKEL ZUM THEMA
ZDF-Film „Auf das Leben!“: Ein bisschen zu dick aufgetragen
Die Tragikomödie „Auf das Leben!“ diskriminiert 70er-Jahre-Hochhäuser.
Einschalten? Nicht unbedingt – trotz bekannter Besetzung.
ZDF-Reihe „Ku’damm 56“: Bohnerwachs und Kölnisch Wasser
Der Dreiteiler „Ku‘damm 56“ ist nicht so piefig, wie die Kampagne vermuten
lässt. Er beleuchtet das Leben von Berliner Westfrauen in den 50er Jahren.
Angst vor dem Islam: „Ich verteidige, was ich spiele“
Edgar Selge spielt Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ als Monolog. Dass der
Westen gegenüber dem Islam in die Defensive gerät, hält er für realistisch.
ARD-Film „Luis Trenker“: Butterbrot und Lügengeschichten
In „Luis Trenker“ spielt Tobias Moretti den Geschichtenerzähler und
Filmemacher als hemmungslosen Opportunisten.
BBC-Krimiserie „The Fall“: Mehr als das alte patriarchale Spiel
Gillian Anderson jagt einen Serienmörder durch Belfast. Auf eine
Entmenschlichung der weiblichen Opfer verzichtet „The Fall“
dankenswerterweise.
Hans Magnus Enzensberger im ZDF: Der ewig 16-Jährige
In der ZDF-Reihe „Zeugen des Jahrhunderts“ spricht Gero von Boehm mit Hans
Magnus Enzensberger. Der ist noch renitent-ironisch-rotziger als früher.
TV-Berichterstattung zum Terror in Paris: Durch die Nacht mit dem Wolf
Es gibt viel Kritik an der TV-Berichterstattung von ARD und ZDF zum Terror
von Paris. Doch die vielgerühmte Alternative CNN ist nicht besser.
Dokufilm „Arlette“: Bleib, wo du bist
„Arlette“ begleitet ein kriegsversehrtes afrikanisches Mädchen in der
Berliner Charité. Doch wohin soll sie nach der Behandlung?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.