# taz.de -- Angst vor dem Islam: „Ich verteidige, was ich spiele“ | |
> Edgar Selge spielt Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ als Monolog. Dass | |
> der Westen gegenüber dem Islam in die Defensive gerät, hält er für | |
> realistisch. | |
Bild: Hält Theaterarbeit für eine politische Angelegenheit: Edgar Selge | |
taz: Herr Selge, wie kam es dazu, dass Sie in der Adaption von Michel | |
Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ am Schauspielhaus zu sehen sind? | |
Edgar Selge: Vergangenes Jahr fragte mich Karin Beier, ob ich Lust hätte, | |
„Unterwerfung“ als Monolog zu machen, und ich glaube, ich habe selten etwas | |
so schnell zugesagt. | |
Und, haben Sie es bereut? | |
Nein, natürlich nicht. Houellebecq ist ein Autor, der mir seit „Ausweitung | |
der Kampfzone“ lieb ist. Ich muss sagen, es betrifft alle seine Bücher, | |
insbesondere „Karte und Gebiet“. Und natürlich auch diesen Roman | |
„Unterwerfung“, der durch die politischen Ereignisse zunehmend greller und | |
gespenstischer geworden ist. | |
Der Protagonist Franç ois ist eher ein Unsympath, ein Antiheld. Wie wichtig | |
ist es für Sie, eine Figur, die Sie verkörpern, auch zu verteidigen? | |
Ich denke zwar nicht in Figuren, sondern in Situationen. Aber natürlich | |
verteidige ich das, was ich spiele. | |
Also spielen Sympathie oder Antipathie für eine Figur keine Rolle für Sie? | |
Nein. Dieser Autor provoziert mit einer Art inneren Verwahrlosung, | |
erschreckend und lustvoll zugleich und lädt uns ein, daran teilzunehmen. | |
Das finde ich übrigens nicht unsympathisch. Karin Beier und ich versuchen, | |
daraus vor allem einen persönlichen, lebendigen Theaterabend zu machen. | |
Was zeichnet für Sie den Text aus? | |
Der Provokateur ist vielleicht der Hauptstrang, den ich suche. Houellebecq | |
bezeichnete in einem Interview mit Lire den Islam als „gefährliche | |
Religion“. | |
Wie ist Ihre Haltung zum Islam? | |
Ich nehme das wahr: dass es sich beim Islam um eine Religion handelt, die | |
in sich noch sehr viel konsistenter erscheint als das durch die Aufklärung | |
aufgeweichte Christentum. Und dementsprechend denunziert Houellebecq in | |
diesem Buch das lasche Verhältnis der Westeuropäer zu ihrer Kultur. Mich | |
persönlich provoziert der Islam allerdings dazu, den Zusammenhang zwischen | |
Christentum und Aufklärung positiv zu sehen. Denn natürlich ist Christus | |
die Figur, die zum Humanismus und letzten Endes zu den Menschenrechten | |
geführt hat. Und wenn man das als Fortschritt betrachtet, dann kann man | |
auch zum Christentum wieder ein vitales Verhältnis entwickeln. Das ist ja | |
die Provokation, die dieses Buch darstellt: dass Houellebecq die | |
Gretchen-Frage stellt: Wie halten wir es mit unserer eigenen Kultur. Das | |
ist der zentrale Punkt, die Frage, die dieses Buch und auch der | |
Theaterabend stellen. | |
Und, wie halten Sie es denn mit der Religion? | |
Ich könnte mit Faust antworten „Mein Liebchen, wer darf sagen: Ich glaub’ | |
an Gott? Magst Priester oder Weise fragen/ Und ihre Antwort scheint nur | |
Spott“, aber das mache ich jetzt nicht, ich will mich hier nicht aus der | |
Affäre ziehen. Ich bin religiös aufgewachsen in seinem sehr | |
protestantischen Elternhaus, mit viel Bibeltextkontakt. Diesen Kulturkreis, | |
dieses religiöse Grundbedürfnis, mit dem ich aufgewachsen bin, das kann ich | |
doch gar nicht ablegen. Und will es auch gar nicht. Ich bin wahrscheinlich | |
wie alle Agnostiker im Westen an diesem Punkt ein bisschen lauwarm. | |
Tatsächlich sehen viele Menschen im Islam eine Bedrohung – Sie auch? | |
Ich finde es richtig, Menschen, die keine Möglichkeit haben, ihr Leben zu | |
schützen, bei uns aufzunehmen. Aber ich habe natürlich Angst vorm radikalen | |
Islam, etwa vorm Wahabismus. Das ist reinstes Mittelalter. Und dass dieses | |
Mittelalter letzten Endes der Nährboden für den Terrorismus ist, kann ich | |
mir gut vorstellen. Davor habe ich Sorge. Wir alle müssen etwas dafür tun, | |
dass in diesem Land nur ein aufgeklärter Islam Platz hat. Angesichts der | |
Flüchtlingszahlen in unserem Land denke ich vor allem, dass wir viel mehr | |
Geld für Integration und Bildung ausgeben müssen und uns finanziell auch | |
viel mehr um die bildungsferneren Gruppen unserer eigenen Bevölkerung | |
kümmern müssen. | |
Für wie realistisch halten Sie das Szenario, dass Houllebecq schildert: | |
dass die westliche Welt ideologisch in der Defensive ist? | |
Für ganz schön realistisch. Zumindest was die Unsicherheit der bürgerlichen | |
Mitte, zu der ich mich auch zähle, betrifft. Unsicher wird diese | |
bürgerliche Mitte dadurch, dass die Stimmen am Rand so populistisch laut | |
werden und eben einfache Lösungen fordern. Und da steht man in der | |
bürgerlichen Mitte und kann nicht mithalten mit seiner Stimme, weil man | |
diese einfachen Sätze nicht parat hat, sondern immer so „Ja, aber“-artig | |
argumentiert. Wie ich hier auch. | |
Irans Präsident Hassan Rohani wurde in Rom jüngst besonders vorsichtig | |
empfangen: Bei seinem Besuch wurden mehrere nackte Statuen aus Respekt vor | |
seinem Glauben auf dem Kapitol verhüllt. | |
Das war nicht geschickt. Man hätte ihn einfach woanders entlangführen | |
sollen, anstatt die Venus zu verhüllen. Das ist ein schamvoller | |
Selbstbegrenzungsgestus, der nicht gut ist. So klein muss man sich nicht | |
machen. Auf der anderen Seite muss man Rohani auch nicht provozieren. Dass | |
man keinen Wein serviert, das wiederum kann ich mir vorstellen. Warum | |
sollte man dem Gast nicht ein Essen servieren, das auf ihn abgestimmt ist? | |
Respekt ist also eine Gratwanderung. | |
Ja natürlich, aber menschliche Beziehungen und Umgang miteinander sind | |
immer eine Gratwanderung. | |
Im Augenblick wird viel diskutiert, wie sehr das Theater zum politischen | |
Ort werden darf oder sogar muss. Würden Sie Theaterarbeit als „politische | |
Arbeit“ auffassen und sich selbst als „politischen Schauspieler“ | |
beschreiben? | |
Ja. Ich habe Theater in den Münchner Kammerspielen gelernt, zwischen 1975 | |
und 1995, da war immer klar, dass es weder in der Gesellschaft noch im | |
Theater etwas gibt, das nicht politisch ist. Wenn man einen Text nimmt und | |
ein Stück erzählt, ob es ein Goethe ist oder ein Shakespeare oder ein | |
Lessing oder ein Houellebecq, dann macht man das und sucht das danach aus, | |
ob es einen vitalen Bezug zu ganz konkreten Fragen gibt, die auch | |
gesellschaftlich relevant sind. Theater machen als Eskapismus, zur | |
Ablenkung – ich will das gar nicht verachten – das war nie mein Ding. | |
Premiere: Samstag 6.2., 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus, Hamburg | |
Mehr zum Schwerpunkt „Wer hat Angst vor dem Islam?“ lesen Sie in der | |
Norddeutschland-Ausgabe der [1][taz.am wochenende] | |
5 Feb 2016 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Ullmann | |
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