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# taz.de -- Inszenierung von "Karte und Gebiet": Houellebecq ohne Weltekel
> Michel Houellebecqs Kunstbetriebsfarce "Karte und Gebiet" wird im
> Schauspielhaus Düsseldorf aufgeführt. Doch der nötige Biss und die
> Zuspitzung fehlen.
Bild: Lässt sich in seinem neuesten Roman "Karte und Gebiet" umbringen: Michel…
DÜSSELDORF taz | Eigentlich hätte Shakespeares "Hamlet" die Saison und
damit die Ära des neuen Intendanten Staffan Valdemar Holm eröffnen sollen.
Doch die Sanierungsarbeiten im Großen Haus am Gustaf-Gründgens-Platz haben
sich verzögert, so dass die für den 14. Oktober geplante Wiedereröffnung
mit der Inszenierung des Intendanten, die als künstlerische Visitenkarte
gedacht war, in den November verschoben werden musste. Nicht gerade ein
glückliches Vorzeichen für den ersehnten Neuanfang. So musste nun die erste
Neuproduktion für das Kleine Haus als Auftakt und Richtungsweiser dienen:
Falk Richters Dramatisierung von Michel Houellebecqs jüngstem und bereits
hoch dekorierten Roman "Karte und Gebiet."
Houellebecq breitet auf 400 Seiten in gebremst boshaftem Ton, in dem
etliche Kritiker bereits Anzeichen von Altersmilde zu erkennen glaubten,
eine Künstlerbiografie aus: Die Hauptfigur ist der offenbar fast
unfreiwillig zu Ruhm und Geld gekommene Fotograf und Maler Jed Martin. Sein
Lebensthema sind Serien: Das einsam aufwachsende Kind fotografiert zunächst
manisch tausende von Alltagsgegenständen, als junger Künstler wird er
berühmt als Fotograf von Michelin-Karten, den Gipfel seiner Laufbahn
erreicht er als Porträtmaler von Berühmtheiten aus Wirtschaft und
Kunstbetrieb. Der bis zum Autismus kontaktscheue Künstler ist auf der Suche
nach der objektiven Abbildung der Wirklichkeit und gerät mehr zufällig als
geplant in die Mühlen des hoch spekulativen Kunstmarkts.
Als zweite Hauptfigur hat Houellebecq sich in seinen Roman kurzerhand
selbst eingeführt und zugleich als "Baudelaire des Supermarkts" vorgeführt:
Der berühmte Schriftsteller soll das Vorwort zu einem Katalog von Martin
schreiben. Die beiden begegnen sich wiederholt und stürzen sich in
unendliche Diskurse über Kunst und Moden, das Leiden am Leben, über
Krankheiten, Süchte und den Verfall des Körpers. Martin kriegt seinen Text
und Houellebecq neben dem üppigen Salär ein Porträt von des Künstlers
kostbarer Hand.
## Der Autor als Mordopfer
Daneben breitet die komplexe Handlung eine stockende Liebesgeschichte
zwischen Jed und einer gewissen Olga aus, einen Vater-Sohn-Konflikt, einen
Diskurs über Selbstmord und Sterbehilfe und singt das Lob der Provinz. Jed
Martin zieht sich mehr und mehr aus der Welt zurück und verkriecht sich
schließlich in einem eigenen, umzäunten "Gebiet", während der Dichter sich
selbst eines gewaltsamen Todes sterben lässt: Houellebecq wird in seinem
Haus tot aufgefunden, bestialisch ermordet und fachmännisch enthauptet.
Damit wird die Geschichte unversehens zum Krimi.
Auf der Düsseldorfer Bühne deutet Werner Piel zu Beginn das Atelier des
Künstlers an: ein paar Tische, Stühle, Leinwände und Kameras. Im
Hintergrund sieht man eine Art Tonstudio, in dem Malte Beckenbach mit
allerhand Instrumenten eine minimalistische Tonspur produziert, die das
Geschehen suggestiv unterfüttert. Ein umgedrehter Tisch wird zur ersten
Projektionsfläche, später breiten sich Chris Kondeks Videos über die ganze
Bühne aus.
Falk Richter arbeitet sich chronologisch und mit dem Drang zur
Vollständigkeit an Houellebecqs Text ab. Der Mangel an Dialogen und
direkter Rede - das alte Problem, das sich bei Romanadaptionen für die
Bühne regelmäßig stellt - zwingt zu Monologen, zu ständigen
Perspektivwechseln und statt dramatischer Interaktion zur Zwiesprache mit
dem Publikum. Das lässt sich zunächst unterhaltsam an, franst jedoch im
Laufe des Abends aus und kann sich zudem über die - im Übrigen überflüssige
- Pause nicht retten.
## Zu wenig zugespitzt
Zuerst fesseln die brillanten Texte, das hervorragende Timing, die
technische Präzision im Zusammenspiel der scharf gezeichneten Figuren mit
Livevideo und Tonspur. Doch mit der Zeit wird es zäh, denn Richter erzählt
allzu brav nach und kann sich nicht entschließen, Houellebecqs Farce über
den Kunstbetrieb gehörig zuzuspitzen, was sich in der Kunststadt Düsseldorf
geradezu aufdrängt.
Auch den Houellebecqschen Weltekel, der unter der Ironie lauert, kriegt
Richter nicht wirklich zu fassen. Zudem nehmen die technischen Spielereien
irgendwann überhand. Die stärkste Figur des Abends ist der großartig
virtuose, spielfreudige dänische Schauspielers Olaf Johannessen, der sich
Houellebecq geradezu anverwandelt hat. Nach dem Tod des Dichters fehlt dem
Abend fortan das Zentrum, das Christof Luser als verstört linkischer Jed
Martin zwar tapfer behauptet, aber, offenbar alleingelassen von der Regie,
nicht wirklich einlösen kann.
17 Oct 2011
## AUTOREN
Regine Müller
## TAGS
Islam
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