# taz.de -- ZDF-Film „Auf das Leben!“: Ein bisschen zu dick aufgetragen | |
> Die Tragikomödie „Auf das Leben!“ diskriminiert 70er-Jahre-Hochhäuser. | |
> Einschalten? Nicht unbedingt – trotz bekannter Besetzung. | |
Bild: Ruth (Hannelore Elsner) mag ihre neue Hochhauswohnung nicht. Dafür sind … | |
Wann hat er eigentlich begonnen, der Krieg der Filmemacher gegen die | |
moderne Architektur? Wenn es zum Beispiel darum geht, das ganze Elend der | |
sozial Abgehängten in unserer auseinanderdriftenden Gesellschaft optisch | |
darzustellen – wo bringen die Filmleute sie unter? Ganz sicher im | |
70er-Jahre-Hochhaus. | |
„Auf das Leben!“ fängt denn auch so an: Der Gerichtsvollzieher schmeißt d… | |
ältere Dame (Hannelore Elsner) aus ihrer wunderschönen Altbauwohnung mit | |
angeschlossener, ach so uriger Werkstatt für alte Instrumente – sie | |
restauriert gerade eine Mandoline. „Sie bekommen von der Sozialen Wohnhilfe | |
eine Wohnung gestellt.“ | |
Die ältere Dame wird später von ihrer „Umsiedelung in eine nette, graue | |
Menschenaufbewahrungsanstalt“ sprechen – von ihrem umstandslosen | |
Suizidversuch mit aufgeschnittenen Pulsadern ganz zu schweigen – und gegen | |
Ende des Films, versöhnlicher gestimmt, noch einmal darauf zurückkommen: | |
„Und so scheußlich ist die Wohnung hier eigentlich gar nicht, oder? – Also | |
gut: Sie ist scheußlich!“ | |
## Wilmersdorfer „Schlange“ | |
Nun ist das Berliner Gebäude, das für Regisseur Uwe Janson und seine | |
Location-Scouts als dieser Architektur gewordene Albtraum herhalten muss, | |
nicht etwa das Neue Kreuzberger Zentrum am Kottbusser Tor oder das | |
Pallasseum – der „Sozialpalast“ – an der Pallasstraße. Es ist die | |
Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße von Georg Heinrichs. | |
Ausgerechnet. Gilt doch gerade die „Wilmersdorfer Schlange“ als Beispiel | |
dafür, dass so ein Hausbau für 4.000 Menschen eben nicht von vornherein zum | |
Scheitern verurteilt sein muss – werden doch die Wohnungen bis heute von | |
Stadtplanern wegen ihrer „exzellenten Grundrisslösungen und eines | |
ungewöhnlich hohen Wohnwerts“ für vorbildlich gehalten und von jenen 4.000 | |
Menschen sehr gern bewohnt, wie zumindest einer davon dem Autor einmal | |
persönlich bezeugt hat. Von wegen „Menschenaufbewahrungsanstalt“. Aber | |
geschenkt. | |
Dass man sich den ganzen Film schenken kann, hat nämlich noch andere | |
Gründe: Der sehr liebe Umzugshelfer (Max Riemelt) fährt die ältere Dame | |
nicht nur in die neue Wohnung in der von ihr verkannten „Schlange“. Er ist | |
es auch, der sie nach ihrem Suizidversuch findet, was damit zu tun hat, | |
dass er so lieb ist. Just als er die Dame ins Krankenhaus fährt wird ihm | |
direkt davor sein Bulli, in dem er wiederum wohnt, geklaut. Weil ein | |
besorgter Arzt die ältere Dame vorerst nicht nach Hause lassen will, | |
quartiert sich in der „Schlange“ der wohnungslose Umzugshelfer ein. | |
Er findet alte Filmrollen, auf denen ein Mann (auch Max Riemelt) zu sehen | |
ist, der anno 1972 exakt genau so aussah wie er heute. Aus Schwarzweiß wird | |
Farbe, Vergangenheit und Gegenwart gehen ineinander über oder auf – virtuos | |
erzählt soll das aussehen –, und die heute ältere Dame war damals noch eine | |
junge. Und der Mann, der exakt genau so aussah wie der Umzugshelfer heute | |
die Liebe ihres Lebens. | |
Warum daraus nichts wurde, das hat mit dem Holocaust und dem „größten | |
Judenhasser der SS“ („als Gast“: Mathieu Carrière) zu tun, der sich 30 | |
Jahre später als Gewissensgeplagter gibt und sich für seine mutige | |
Holocaust-Dokumentarfotografie feiern lässt. | |
Die Dame ist nämlich Jüdin und hat als Kind Furchtbares erlebt. Der | |
Umzugshelfer hat Furchtbares vor sich: Die Symptome seiner tödlichen | |
MS-Erkrankung lassen sich nicht länger verbergen. Und weil er so lieb ist, | |
sorgt er sich mehr darum, was das für seine Freundin bedeutet, als um sich | |
selbst. Und er sorgt sich um die ältere Dame. | |
## Die knifflige Tragikomödie | |
Was mit „Auf das Leben!“ gewollt ist, wäre wohl auch ohne den dick | |
auftragend expliziten – damit aber für den Film und das, was an ihm vor | |
allem nervt, symptomatischen – Titel erkennbar: ein zugleich bitterernstes | |
und humoriges Plädoyer, eine Hymne auf das Leben, auf alle Furchtbarkeiten, | |
die es bereithält, mögen sie auch noch so furchtbar sein, zum Trotz. | |
Die Tragikomödie ist gewiss eines der herausforderndsten Filmgenres. Und am | |
herausforderndsten aller Filmgenres, der Holocaust-Tragikomödie hat sich | |
bereits der Gigant Jerry Lewis verhoben (mit seinem unvollendet gebliebenen | |
KZ-Film „The Day the Clown Cried“). | |
Insofern wäre Uwe Janson zumindest in guter Gesellschaft – seine | |
Denunziation der „Wilmersdorfer Schlange“ entschuldigt das nicht. | |
5 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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