# taz.de -- Jürgen Vogel über starke Frauen im Film: „Wir Deutsche hängen … | |
> Schauspieler Jürgen Vogel spielt im ZDF-Film „Vertraue mir“ eine | |
> Nebenrolle. Er wünscht sich noch mehr Geschichten aus weiblicher | |
> Perspektive. | |
Bild: Marc (Jürgen Vogel) und Elena (Julia Koschitz) spionieren nachts in der … | |
taz: Herr Vogel, Ihr Film „Vertraue mir“ ist ein … ja was eigentlich? Ein | |
Actionthriller, eine Liebesgeschichte? | |
Jürgen Vogel: Ich würde sagen, es ist eine ungewöhnliche Liebesgeschichte | |
oder eben ein ungewöhnlicher Thriller, je nachdem. Das hat mir gleich an | |
dem Drehbuch gefallen, dass es ein gemischtes Genre ist. Es geht um eine | |
Männerwelt, innerhalb derer wir eine weibliche Geschichte erzählen. | |
Inwiefern weiblich? | |
Die Hauptfigur, die Julia Koschitz spielt. Der Film ist aus ihrer Sicht | |
erzählt. Es gibt sehr wenige Filme mit so starker weiblicher Präsenz. Es | |
ist leider immer noch so, dass die Männerrollen meist dominant sind und die | |
Frauen stehen irgendwo nebendran. Ich mag dagegen Filme, in denen Frauen | |
die starke Figur sind und die Männer an der Seite stehen. Die Franzosen | |
machen das dauernd, wir Deutschen hängen ein bisschen hinterher. | |
Geht es Ihnen um die Gleichberechtigung als politisches Ziel, oder ist es | |
an sich ein Gewinn, eine weibliche Hauptrolle zu haben? | |
Es geht mir gar nicht ums Politische. Es geht mir darum, etwas | |
dazuzulernen. Wie Männer funktionieren, das weiß ich doch. Was ich spannend | |
finde: Wie funktionieren Frauenrollen, wie werden weibliche Geschichten | |
erzählt? Das gibt’s einfach noch nicht so oft. | |
Es ist nicht lange her, da war der Bankier der Inbegriff des Langweilers. | |
Warum sehen wir auf einmal Thriller aus der Finanzbranche? | |
Weil diese Welt spannend ist. Diese Distanz zwischen dem Menschlichen und | |
dem Geschäft – es ist ein bisschen wie im Krankenhaus: Wir können doch gar | |
nicht begreifen, wie versachlicht Ärzte manche Dinge ausdrücken, dass sie | |
solche Sätze sagen können wie „Sie haben noch drei Monate zu leben“. Wie | |
geht so was? Mit der Finanzwelt ist es ähnlich. Wie sagt man jemandem: | |
„Leider haben Sie Ihr Vermögen verloren, wir haben da aufs falsche Pferd | |
gesetzt“? Das erschließt sich uns nicht auf Anhieb, und gerade das macht | |
uns neugierig. Leute, die so abgefuckt rumzocken und teils Millionengewinne | |
einfahren, was für Auswirkungen hat das auf deren Privatleben? Wie geht es | |
so jemandem, wenn er nachher in der Badewanne sitzt? In beiden Welten, | |
Krankenhaus und Bank, ist eine bestimmte Einstellung nötig, um damit | |
zurechtzukommen. | |
Zynismus? | |
Keine Ahnung, ob ich das Zynismus nennen will. Die Leute steigen in diese | |
Branchen ein und wissen meistens überhaupt nicht, was sie erwartet. Ich | |
glaube tatsächlich, dass die da so reinrutschen. Am Anfang ist man | |
vielleicht geschockt von dieser Welt, dann aber wird man neugierig, | |
entwickelt Ehrgeiz – und irgendwann hat man einfach keinen Bezug mehr zu | |
dem, worum es da eigentlich geht. Die ganze Arbeit entmenschlicht und | |
versachlicht sich; sie wird zu einer Routine, in der man gar nicht mehr | |
darüber nachdenkt, was sie für den Einzelnen eigentlich bedeutet. Wenn das | |
zynisch ist, dann ist jeder Beruf in gewisser Weise zynisch. | |
Sie spielen den EDVler Marc, der seinen Job in der Bank verloren hat, weil | |
er seinen Prinzipien gefolgt ist. Ist er den anderen in dieser Welt | |
moralisch überlegen? | |
Ich hab so meine Probleme mit dem Wort Moral. Das suggeriert ja, das jemand | |
besser ist, aber aus moralischen Gründen wurden ja auch schon ganz viele | |
Menschen umgebracht. Zum Beispiel weil sie an etwas anderes geglaubt haben. | |
Das war damals höchst moralisch. Klar, Marc hat auf jeden Fall seine | |
Prinzipien, ob die gut oder schlecht sind, so etwas bewerte ich nicht. | |
Das hat aber schon etwas Zynisches zu sagen, ich werte nicht in Gut und | |
Böse. | |
Alles Positive kann je nach Perspektive immer auch negativ sein. Man kann | |
das so sehen, dass Marc aus der ganzen Bankenwelt ausgestiegen ist und er | |
deshalb der bessere Mensch ist. Aber gleichzeitig weiß ich das nicht. So | |
wie ich die Regisseurin Franziska Meletzky einschätze, möchte sie mit dem | |
Film niemanden belehren. Es geht ihr nicht darum, der bösen Bankenwelt | |
einen guten Menschen gegenüberzustellen. So eindeutig ist das nicht. | |
Wirklich spannend ist doch, wenn alles ambivalent bleibt und ich mir selber | |
Gedanken darüber machen muss, wie ich das, was passiert, bewerte. | |
Die Hauptfigur Elena hat ihr Leben ihrer Arbeit in der Bank geopfert. Jetzt | |
läuft sie Gefahr, alles zu verlieren. Spielt der Film hier mit unseren | |
Abstiegsängsten? | |
Mit unserer Existenzangst, ja. Elena hat sich in dieser Welt der Banken, | |
der Männer und des Geldes ehrgeizig hochgekämpft, und plötzlich könnte | |
alles kippen. Sie hat dafür viel zurückgestellt, hat ihr Leben nicht | |
richtig gelebt. Sie hat auf alles verzichtet, das eine Bedrohung für ihre | |
Karriere sein könnte, zum Beispiel die Liebe. Klar ist da die Angst riesig, | |
alles zu verlieren oder etwas falsch zu machen. | |
In Ihrer Branche ist es ja auch so, dass man viel zurückstellen muss. Haben | |
Sie denn auch solche Ängste? | |
Sagen wir so, ich würde niemandem raten, Schauspieler zu werden. | |
Warum nicht? | |
Du musst auf der einen Seite wahnsinnig sensibel sein und auf der anderen | |
ein ganz dickes Fell haben. Diese Mischung kriegt man selten richtig hin. | |
Dass man das alles nicht zu ernst nimmt, nicht alles auf sich bezieht, wenn | |
mal etwas nicht klappt, dass man aber trotzdem eben nicht zynisch wird und | |
bei der Arbeit auch mal Kind sein kann. Wenn man die Balance nicht hält, | |
ist der Job wirklich unerträglich. | |
Aber wird man dafür nicht auch ganz gut bezahlt? | |
Sicher geht es uns Schauspielern gut, weil wir relativ viel Geld verdienen | |
– aber die Leute denken manchmal, es ist wie in Amerika: dass du ausgesorgt | |
hast, wenn du ein bekannter Schauspieler bist. Bei uns ist das aber nicht | |
so. Es gibt Beispiele von Kollegen, die den deutschen Film über eine ganze | |
Ära hinweg getragen haben, die Fassbinder-Schauspieler etwa. Die Leute aus | |
dieser Zeit haben heute teils echte finanzielle Probleme. Man müsste | |
eigentlich mal bei einem wie Günther Lambrecht anrufen und fragen: | |
„Günther, wie geht’s dir heute?“ Günther ist ein Star, er und seine | |
Kollegen haben Deutschland jahrelang kulturell repräsentiert und hätten | |
dafür meiner Meinung nach eine fette Rente verdient. Tatsächlich wird die | |
Leistung dieser Leute aber in Deutschland sehr gering bewertet. | |
Waren Sie denn schon einmal an so einem Punkt, wo Sie dachten: Wenn jetzt | |
nichts passiert, dann war ’s das mit der Karriere? | |
Ich hatte von vornherein nie das Gefühl: Jetzt hab ich’s geschafft. Ich | |
wusste, das gibt’s in diesem Job einfach nicht. Du kannst zu einem | |
Zeitpunkt ein richtig gutes Leben haben, und fünfzehn Jahre später lebst du | |
am absoluten Existenzminimum, hängst jeden Abend in deiner Kneipe rum, weil | |
du’s sonst nicht aushältst, und fällst schließlich aus dem Fenster. Das ist | |
ja schon vielen passiert. | |
Angst davor haben Sie nicht? | |
Mein Vorteil ist, das ich ein Ghettokind bin. Selbst wenn ich nichts habe, | |
hat das keine großen Auswirkungen drauf, wie ich mich als Mensch fühle. Ich | |
versuche, mich nicht darüber zu definieren, dass ich ein bekannter | |
Schauspieler bin. Ich bin lieber ein guter Freund, Vater, Ehemann, ein | |
guter Mensch halt. Theoretisch kann ich in einer 35-Quadratmeter-Wohnung | |
leben, ohne das Gefühl zu haben, ein Loser zu sein. Natürlich habe ich | |
trotz alledem auch Existenzängste, aber letztlich weiß ich, dass ich auch | |
damit klarkommen würde. | |
6 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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