# taz.de -- Thomas Kufus über „24h Bayern“: „Wie modern dieses Bayern is… | |
> Nun beginnt der Dreh für den dritten Dokumentarfilm aus der „24h“-Reihe. | |
> Produzent Thomas Kufus über den Charakter von Regionen. | |
Bild: Der Chiemsee ist ebenso Bayern wie die Zugspitze | |
taz: Herr Kufus, kommende Woche drehen Sie zum dritten Mal 24 Stunden am | |
Stück. Worauf haben Sie jetzt schon überhaupt keinen Bock? | |
Thomas Kufus: Dass uns Protagonisten kurz vor zwölf abspringen. Wir haben | |
lange nach denen gesucht. Wir haben uns viele Gedanken darüber gemacht, wie | |
sie in ein vielfältiges Ensemble passen. Wenn uns jemand absagt, ist das | |
schade und bitter. Gerade nach den Erfahrungen, die wir mit „24h Jerusalem“ | |
gemacht haben, wo uns ja reihenweise Protagonisten abgesagt haben, wünsche | |
ich mir, dass das diesmal ruhiger abläuft. | |
Sind Sie an dem Tag 24 Stunden lang wach? | |
Bis jetzt habe ich das immer so gemacht – und habe es mir auch diesmal | |
vorgenommen. | |
Werden Sie nervös sein? | |
2008 in Berlin war ich nervös wie ein Kind, weil es das erste „24h2-Projekt | |
war. 2013 bei „24h Jerusalem“ war ich extrem nervös wegen der politischen | |
Situation. Das Projekt hätte uns jede Stunde um die Ohren fliegen können, | |
was uns am Drehtag ja auch passiert ist, weil die Palästinenser unseren | |
Dreh boykottiert haben. Damals habe ich – zumindest gefühlt – drei Tage und | |
Nächte nicht geschlafen. Diese Höhen der Nervosität wird „24h Bayern“ ni… | |
erreichen. | |
Was haben Sie denn aus den ersten beiden Projekten gelernt, was Sie diesmal | |
anders machen wollen? | |
Gute Frage. Einerseits fühlen Volker Heise, der Projektregisseur, und ich | |
uns unserem Format verpflichtet. Wir haben ganz bewusst die wesentlichen | |
Koordinaten nicht verändert. Aber: Uns ist aufgefallen, dass wir bisher zu | |
wenig Atmosphärisches aufgenommen haben. Wir haben unterschätzt, wie | |
wichtig das für den Rhythmus ist. Das heißt nicht, dass wir diesmal ganz | |
viele wunderschöne Landschaften zeigen werden, sondern dass wir auch die | |
Ruhe vor Ort einfließen lassen, also beispielsweise die verlassene | |
Bushaltestelle auf dem Land. Ein anderer Punkt ist, dass wir die | |
entscheidenden Zeiten für den Sender, also die sogenannte Access Prime Time | |
ab 18 Uhr bis ungefähr 22 Uhr anders füllen und gestalten. Nicht dass wir | |
die Ästhetik ändern, sondern dass wir nach besonderen Themen und | |
Protagonisten Ausschau halten, damit unser Programm gegen die anderen | |
Sender bestehen kann. Wir werden also versuchen, eine größere Attraktion in | |
diese Hauptfernsehzeit zu legen. | |
Da das Format ja ein Jahr später in Echtzeit ausgestrahlt werden soll: | |
Werden Sie die Auswahl der Protagonisten und die Drehzeiten bei diesen | |
Leuten so komponieren, dass die Personen und Situationen zu den klassischen | |
Fernsehzeiten passen? | |
Natürlich. Die Figur, die um 20.15 Uhr kommt, ist mit Sicherheit nicht | |
zufällig dran. Aber wir richten uns sowieso im Rahmen des Formats nach den | |
Sehgewohnheiten der Zuschauer. Der Rhythmus, wie morgens ferngesehen wird, | |
ist ja ein anderer als mittags oder nachmittags. Am Morgen haben die | |
Menschen, die den Fernseher laufen haben, häufig wenig Zeit. Zu der Zeit | |
sind also auch wir ein bisschen kurzatmiger. Mittags oder nachmittags haben | |
die Zuschauer mehr Zeit. Dann werden also auch wir mit unseren | |
Erzählsträngen und Einstellungen länger. Und in der Nacht kann es sogar | |
sinnlich und entspannend werden. | |
Mit wie vielen Kameras sind Sie denn diesmal am Drehtag im Einsatz? | |
Mit 100. Wobei 20 Kameras nicht in erster Linie Protagonisten begleiten, | |
sondern Atmosphäre einfangen, darunter auch vier Helikopterkameras. Das | |
Land ist halt groß – und der Sonnenaufgang über der Zugspitze ist genauso | |
schön und wichtig wie am Chiemsee oder in Unterfranken. | |
Wonach suchen Sie die aus, die Teil des Ensembles werden, das ja am Ende | |
Bayern repräsentiert? | |
Der Grundstock unserer Recherche ist das „Statistische Jahrbuch“. | |
Unbestechlich, frei von Meinungen und Geschmäckern. Klare Fakten. Dieses | |
Jahrbuch legen wir zugrunde, um herauszufinden, welches Bayern tatsächlich | |
existiert. Dort sieht man dann, wie modern dieses Bayern ist – trotz allen | |
Hochhaltens der Traditionen. Wirtschaftlich kräftig, starker Mittelstand, | |
Motor unseres Bruttosozialprodukts, fast 25 Prozent Migrationsanteil. Das | |
hat natürlich mit der Lage zu tun und auch mit der Art der Zählung: Wer ist | |
eigentlich Migrant? Dennoch sind die Zahlen erstaunlich. | |
Als Grobraster für die Auswahl Ihrer Protagonistinnen und Protagonisten | |
dient also reine Statistik? | |
Das ist zumindest der Anfang. Simples Beispiel: Wir schauen nach, wie groß | |
die Bevölkerungsdichte in den verschiedenen Regionen ist. Anhand dieser | |
Daten verteilen wir die Kamerateams. Dann suchen wir auch die Anzahl der | |
Protagonisten anhand der Bevölkerungsdichte aus, im Bayerischen Wald sind | |
weniger Kameras im Einsatz als in Oberbayern. Aber: Wir brauchen Mut zur | |
großen Lücke. | |
Warum? | |
Es wird Städte und Bezirke geben, die nicht vorkommen. Wir werden auch bei | |
nur ein oder zwei Großkonzernen unterwegs sein – und nicht bei allen. Da | |
ist dann der eine oder andere sauer, aber was soll’s. Bayern hat zwölf | |
Millionen Einwohner, dreimal so viele wie Berlin und ein Vielfaches von | |
Jerusalem, da können wir nicht annähernd alles abbilden. Das ist völlig | |
klar. Außerdem kann sich diesmal – anders als bei den vorherigen Projekten | |
– ja auch jeder selbst einbringen und zwei Minuten aus seinem Leben, seinem | |
Umfeld filmen und mithilfe der App BR24 hochladen. Zwei Minuten, von denen | |
sie meinen, dass sie zu „24h Bayern“ gehören. | |
Wundern Sie sich nicht auch, warum gerade dieses 24-Stunden-Format so | |
erfolgreich ist? | |
Nein. | |
Also haben Sie den Grund dafür gefunden? | |
Vor acht Jahren in Berlin war schon die Idee, mit einem dritten Programm | |
mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen, als ein regionaler Fernsehsender | |
eigentlich erzeugen kann. Machen wir uns nichts vor, das RBB Fernsehen ist | |
in Berlin nicht so sehr präsent. Bei den unter 40-Jährigen kennen die | |
meisten den Sender vermutlich gar nicht, es sei denn, sie sind hier | |
aufgewachsen und haben schon als Kinder mit Oma und Opa die „Abendschau“ | |
geguckt. In Bayern ist das mutmaßlich anders, da führt der BR sicherlich | |
nicht so ein Mauerblümchendasein, aber auch dort gilt, dass sich der Sender | |
aus dem mittlerweile riesigen Angebot aus Kultur und Events hervorheben | |
müssen. „24h“ ist eine lupenreine Eventprogrammierung. Das war nicht | |
unbedingt unser Ziel, aber das ist der Effekt. Das ist es, was die Sender | |
schätzen. | |
Und die Zuschauerinnen und Zuschauer? | |
Wenn man „24h“ guckt, sieht man, was alles Teil der eigenen Welt ist. Man | |
merkt, wie sehr man wie durch einen Tunnel durch sein Berlin oder sein | |
Bayern fährt oder geht. Da gibt es ein hohes Identifikationspotenzial. Es | |
ist eine ganz dünne Membran zwischen Sender und Zuschauern. Die Distanz ist | |
bei einem Spielfilm manchmal größer. | |
Was machen Sie am Ausstrahlungstag in einem Jahr? | |
Da werden wir mit Sicherheit in Bayern sein. Vielleicht bei einem Public | |
Viewing. Aber das ist noch so lange hin. Wir müssen erst mal den Drehtag | |
hinter uns bringen. Über den Ausstrahlungstag denke ich später nach. | |
Sie fahren also nicht das Kontrastprogramm „24h frei“? | |
Auf keinen Fall. | |
3 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Jürn Kruse | |
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