# taz.de -- Türkische Netflix-Serie „Kulüp“: Schabbat in Istanbul | |
> Die Netflix-Serie „Kulüp“ gibt Einblicke in die Geschichte der | |
> sephardischen Jüd*innen in der Türkei. Bereits der Einstieg ist | |
> dramatisch. | |
Bild: Stellt sich nicht überall mit ihrem jüdischen Namen vor: Asude Kalebek … | |
Nur noch bis zu 20.000 Jüd*innen sollen heutzutage in der Türkei leben, | |
die meisten [1][von ihnen in Istanbul]. In der einst wichtigen Stadt für | |
die Sephardim, also die Jüd*innen, die gegen Ende des 15. Jahrhunderts aus | |
Portugal und Spanien vertrieben wurden und seitdem Zuflucht im Osmanischen | |
Reich fanden, ist das heutige Judentum neben einigen Synagogen, Schulen | |
oder Friedhöfen jedoch kaum noch sichtbar. Die neue Netflix-Serie „Kulüp“ | |
(„Der Club)“ beleuchtet ein Stück dieser Geschichte. | |
Dramatisch ist bereits der Einstieg: Umrahmt von der typischen Istanbuler | |
Silhouette des Goldenen Horns und weißen Bettlaken steht die junge Matilda | |
Aseo auf einem Dach, drückt zitternd den Abzug und ist gleichwohl sichtlich | |
erleichtert als ihr Opfer zu Boden fällt. Nachdem sie 17 Jahre für ihre Tat | |
im Frauengefängnis verbüßen musste, wird Matilda, gespielt von Gökçe | |
Bahadır, im Zuge einer Generalamnestie in das pulsierende Istanbul der | |
1950er entlassen. Aufgrund ihrer jüdischen Identität und ihrer | |
Vergangenheit spielt sie mit dem Gedanken, nach Israel auszuwandern, macht | |
sich aber zunächst auf die Suche nach ihrer Tochter. | |
„Kulüp“ arbeitet mit der Ästhetik aus einer Zeit, in der sich die Straßen | |
Istanbuls mit amerikanischen Autos füllten, von bunten Neonreklamen | |
erleuchtet wurden und die Schaufenster europäische Mode oder die ersten | |
Fernseher präsentierten. Es ist auch eine Zeit, in der sich in damals noch | |
jüdisch geprägten Vierteln wie „La Kula“, besser bekannt als Galata, Ladi… | |
unter Türkisch und andere Sprachen der Stadt mischte. Einige Charaktere | |
wechseln daher immer wieder zu Ladino, eine aus dem Spanischen entstandene | |
und heute fast verschwundene Sprache der Sephard*innen. | |
Matilda holt ihre rebellische Tochter Raşel aus einem Waisenhaus zu sich. | |
Raşel stellt sich nicht überall mit ihrem jüdischen Namen, sondern als | |
Aysel vor und wird von Asude Kalebek gespielt. Um Raşel zu unterstützen, | |
schuftet Matilda unter ausbeuterischen Verhältnissen im Kulüp Istanbul, dem | |
Club, der das Nachtleben der Stadt neu erfinden will. | |
## Kaum noch sichtbar | |
Möglich machen soll das auch der talentierte Sänger Selim Songür, der damit | |
seinen Traum einer Karriere als Künstler verwirklichen will und die Serie | |
fortan durch Musicaleinlagen bereichert. Die Ablehnung seiner Pläne durch | |
die eigenen Eltern und Matildas Schwierigkeit, eine Beziehung zu ihrer | |
Tochter Raşel aufzubauen, eint die beiden und macht sie zu Vertrauten. Wen | |
Matilda zu Beginn der Serie umbringt, wird schrittweise enthüllt, während | |
auch der Plot zunehmend mit historischen Begebenheiten verknüpft wird. | |
Wer nach dem Trailer eine verkitschte Kopie von Babylon Berlin befürchtet, | |
irrt sich: Durch das Aufgreifen teils tabuisierter Themen sowie die | |
Einbettung in den historischen Kontext gelingt den Regisseur*innen | |
Zeynep Günay Tan and Seren Yüce mit „Kulüp“ eine der interessantesten | |
türkischen Serien der letzten Jahre. Die Serie behandelt dabei die | |
Situation von Minderheiten im ausbeuterischen Arbeitsalltag im Club zur | |
Bespaßung der Elite oder auch die Folgen einer Vermögenssteuer, die damals | |
vor allem die nicht-muslimische Bevölkerung wie Jüd*innen, Griech*innen | |
und Armenier*innen in den wirtschaftlichen Ruin trieb. | |
Jüdische Stimmen aus der Türkei und andernorts reagieren überwiegend | |
positiv auf die Serie und loben die authentische Darstellung der Riten und | |
jüdischen Charaktere, die sonst zu häufig durch [2][antisemitische | |
Stereotype gezeichnet] ist. Für die mittlerweile kaum noch sichtbare | |
Community im Land ist die Auseinandersetzung mit ihrer Präsenz und | |
Geschichte ein wichtiges Zeichen. | |
Bei aller berechtigter Kritik am häufig US-amerikanisch geprägten Angebot | |
von Netflix bietet der Streaminggigant mittlerweile auch ein zunehmend | |
vielfältiges Programm. Neben überzeugenden türkischen Produktionen sind die | |
Serien „Unorthodox“ oder „Shtisel“ zwei weitere Beispiele, die sich ber… | |
ausführlich mit jüdischen Communities beschäftigen. Dank der Ankündigung | |
einer zweiten Staffel für 2022 verzeiht man „Kulüp“ auch das abrupte und | |
offene Ende. | |
29 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tarık Kemper | |
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