# taz.de -- ARD-Serie über jüdische Familie: Zweifellos gut | |
> Es passiert nicht gerade oft, dass die deutsche Serienwelt etwas | |
> Besonderes hervorbringt. Mit der ARD-Serie „Die Zweiflers“ ist das | |
> gelungen. | |
Bild: Samuel, Saba und ein paar Delikatessen | |
Wer den Zustand der deutschen Serienlandschaft an „Die Zweiflers“ ablesen | |
möchte, bleibt mit einem deprimierenden Blick zurück. Denn wer sich durch | |
die Rezensionen und Online-Kommentare zum ARD-Sechsteiler liest, begegnet | |
vor allem einem: Überraschung, ja, fast schon ein Unglaube, dass es sich | |
hierbei um eine deutsche Serie handeln soll. Viel zu gut sei sie, | |
vielleicht das Beste, was es hierzulande jemals zu sehen gab. Und es | |
stimmt. „Die Zweiflers“ überzeugt gerade, weil sie im besten Sinne nicht | |
deutsch ist und etwas wagt. | |
Dabei ist die Geschichte von Showrunner David Hadda, der sie gemeinsam mit | |
Sarah Hadda und Juri Sternburg geschrieben hat, eine sehr deutsche. Im | |
Zentrum steht die jüdisch-deutsche Familie Zweifler, die im Frankfurter | |
Bahnhofsviertel ein Delikatessengeschäft betreibt. Der 90-jährige Patriarch | |
Symcha (Mike Burstyn) will das gut laufende Geschäft verkaufen oder eine | |
Nachfolger_in finden. Doch ist in der Familie jemand gemacht für den Job? | |
Mimi (wirklich hervorragend gespielt von Sunnyi Melles), die ihre gesamte | |
Energie darauf verwendet, die Beschneidung ihres Enkelkindes zu planen, und | |
ihr Mann, ein mit sich selbst überforderter [1][Sexualtherapeut], scheinen | |
dafür nicht infrage zu kommen. Und auch die erwachsenen Enkelkinder | |
scheinen in ihren Wünschen ein emanzipiertes Leben zu führen und mit ihrem | |
Kopf ganz woanders zu sein als beim Thema koschere Wurst und Wodkakuchen: | |
In der Kunst- und Rapwelt, beim Kinderkriegen und Scheiden, beim Auswandern | |
und Zurückkommen. Und der Frage, wie man 2015 in Frankfurt am Main als und | |
mit einer jüdischen Familie inklusive vererbter Traumata leben kann. | |
## Mit Stereotypen spielen und sie brechen | |
Doch nicht nur eine schwierige Suche nach einer Nachfolger_in macht Symcha | |
zu schaffen, er wird auch mit seiner Vergangenheit konfrontiert. | |
[2][Boulevardmedien] wollen ihn nicht vergessen lassen, wie er, nachdem er | |
den Holocaust überlebt hat, seine Karriere im Frankfurter Rotlichtviertel | |
startete. Und dann ist da auch noch der gerade aus dem Gefängnis entlassene | |
Siggi (Martin Wuttke), der ihn erpresst, damit die Leichen der Zweiflers | |
nicht ans Licht kommen. | |
Jedes Familienmitglied inklusive der Liebes- und Freundschaftsanhängsel | |
bekommt eine eigene Geschichte. Doch anstatt die Storyline zu überfrachten, | |
ist es den Autor_innen gelungen, vielfältige Figuren zu schaffen. Figuren, | |
die einem so nah kommen, die man lieben und hassen kann, die einen | |
mitfühlen und zum Nervenzusammenbruch bringen können. Die mit Stereotypen | |
spielen, um sie dann im richtigen Moment zu brechen. Dass das gelingt, | |
liegt nicht nur am Drehbuch, sondern auch an den Schauspieler_innen, am | |
modernen Setting und der Kameraführung. | |
Die Protagonist_innen dürfen auch mal über einen längeren Zeitraum Englisch | |
oder [3][Jiddisch] sprechen. Und Identitätsfragen müssen nicht beantwortet, | |
sondern dürfen auch nur mal angestoßen werden. Wie als sich Enkel Samuel | |
(Aaron Altaras) in die Schwarze Köchin Saba (Saffron Coomber) verliebt. | |
Kurz nach ihrem Kennenlernen liefern die beiden sich ein ironisches Battle, | |
was nun eigentlich schlimmer war: Der Holocaust oder die Sklaverei. Sie | |
sagt: „Sie haben uns in Zoos ausgestellt!“, worauf er kontert: „Aber wir | |
wurden zu Lampenschirmen verarbeitet.“ Sie entgegnet: „Wir wurden auf | |
Auktionen verkauft!“. Debatten, die hier als Punchlines auftauchen, ohne | |
dass es peinlich wird. | |
## Mut lohnt sich | |
Der Mut wurde belohnt. Nicht nur mit staunenden Rezensionen, sondern auch | |
mit der Auszeichnung des International Series Festivals in Cannes als beste | |
Serie. | |
Dafür braucht es gar nicht zwingend die ganz großen eigenen Ideen. Wer die | |
US-Serienwelt verfolgt, wird in „Die Zweiflers“ einiges wiedererkennen. Die | |
Geschichte eines Patriarchen, der einen Nachfolger_in sucht, erinnert an | |
[4][„Succession“]. Die Hintergrundmusik, Kameraführung und teils skurrile | |
Figuren lassen einen an [5][„White Lotus“] denken. Das Essen in | |
Großaufnahme und der Stress ähneln [6][„The Bear“]. Manchmal ist der beste | |
Weg einfach: gutes Nachahmen statt schlechtes Neuerfinden. | |
Bleibt zu hoffen, dass sich Serienschaffende und Geldgeber_innen in | |
Deutschland von dem Mut anstecken lassen und es künftig etwas mehr | |
Abwechslung in der schnarchigen deutschen Tatort-Nazi-Clan-Serienwelt gibt. | |
Vielleicht sind wir dann eines Tages auch nicht mehr überrascht, eine gute | |
deutsche Serie gesehen zu haben. | |
15 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Sexualtherapeutinnen-ueber-Tantra-Szene/!5885320 | |
[2] /Zeitung-stellt-Tagesausgabe-ein/!5959407 | |
[3] /Antisemitismus-in-der-Sprache/!5709402 | |
[4] /Letzte-Staffel-der-Serie-Succession/!5925060 | |
[5] /HBO-Serie-The-White-Lotus/!5900337 | |
[6] /Disney-Serie-The-Bear/!5950399 | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
## TAGS | |
Serien-Guide | |
ARD | |
Jüdisches Leben | |
Essen | |
Judentum | |
Serien-Guide | |
Serien-Guide | |
Istanbul | |
Serie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Dokumentarfilm über Klezmermusik: Abdrücke einstigen Lebens | |
„Das Klezmer-Projekt – In mir tanze ich“, ein argentinischer | |
Doku-Spielfilm, geht den Spuren der traditionellen Klezmermusik in | |
Osteuropa nach. | |
Netflix-Serie „Bodkin“: Kantig und bissig | |
In „Bodkin“, der ersten Serie der Obama-Produktionsfirma, sollen drei | |
Journalist_innen in Irland einen True-Crime-Podcast machen. | |
Letzte Staffel der Serie „Succession“: Sadomasochistische Familie | |
Multimiliardär und Medienmogul Logan Roy und seine verzogene Brut sind für | |
eine vierte Staffel auf Sky zurück. Das macht Lust – auch auf Enteignung. | |
Türkische Netflix-Serie „Kulüp“: Schabbat in Istanbul | |
Die Netflix-Serie „Kulüp“ gibt Einblicke in die Geschichte der | |
sephardischen Jüd*innen in der Türkei. Bereits der Einstieg ist | |
dramatisch. | |
Serie „Unorthodox“ auf Netflix: Sechs Millionen ersetzen | |
Die Serie „Unorthodox“ erzählt von Esty, die aus einer chassidischen Sekte | |
nach Berlin flieht. Regisseurin Maria Schrader zeigt eine sehr enge Welt. |