# taz.de -- ARD-Serie „Marzahn, mon amour“: Auf Augenhöhe mit dem Hornhaut… | |
> Den Bestseller-Roman „Marzahn, mon amour“ gibt es jetzt als Serie. Im | |
> Zentrum steht die Fußpflegerin Kathi in der Berliner Plattenbausiedung | |
> Marzahn. | |
Bild: Die Drei Ladys aus dem Beauty Salon | |
Fußpflege, echt jetzt? Schriftstellerin Kathi Grabowski (Jördis Triebel) | |
steckt in einer Lebenskrise. Ihr Mann hat sie und die fast erwachsene | |
Tochter verlassen; in ihrer Wohnung sind Lücken zu sehen, denn er hat | |
Möbelstücke mitgekommen. Und Kathis Karriere stagniert, die Mittvierzigerin | |
wagt deshalb einen Neuanfang. Sie schult um und heuert in der „Beauty Oase | |
Marzahn“ an. In dem Ortsteil im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf lebt | |
sie auch. | |
Heute ist Marzahn, einst die größte Großsiedlung der DDR (und damals noch | |
ein eigenständiger Stadtbezirk) zum Klischee geronnen. [1][Marzahn hat | |
keinen guten Ruf:] alles Platte, alles Beton, keine Lebensqualität. Die | |
ARD-Serie „Marzahn, mon amour“ räumt damit auf. Regie-Shootingstar Clara | |
Zoë My-Linh von Arnim, bekannt durch die Grimme-Preis gewürdigte | |
Erfolgsserie [2][„Die Zweiflers“] (in der ARD-Mediathek), hat den | |
autofiktionalen [3][Bestseller von Katja Oskamp] verfilmt. | |
Der Schönheitssalon mit Pedi- und Maniküre wird von der pragmatischen | |
Chefin Jenny Chan (Yvonne Yung Hee Bormann) und der künstlerisch | |
veranlagten Lulu Moll (Deborah Kaufmann) geschmissen. Schnell ist Kathi | |
klar, dass es hier um mehr geht als um Nägel schneiden und Hornhaut hobeln. | |
Es geht um die Leute, die zu DDR-Zeiten in ihren jungen Jahren hergezogen | |
sind. Lange her. Nun sind sie alle alt – und spezielle Charaktere. | |
Gleich in der ersten Folge wird Kathi auf die Probe gestellt, denn sie | |
kennt den Stammkunden Herrn Schimke von früher und hat keine guten | |
Erinnerungen an den Nachbarn von einst. Der alte Zausel tritt in | |
Stasi-Manier und arg herablassend auf, Hermann Beyer spielt den alten | |
SED-Parteibonzen grandios. Doch Kathi überwindet sich, behandelt seine Füße | |
und sozusagen den gesamten Menschen, weil sie zuhört, nachfragt, ja | |
geradezu nachbohrt, und Empathie zeigt, dabei authentisch in all ihrer | |
Skepsis bleibt. Gesunder Menschenverstand eben. So kommt heraus, dass Herr | |
Schimke eine durch die Wende gebrochene Biografie hat (wie so viele Ostler) | |
und einsam ist. | |
Die einzelnen Erzählsequenzen innerhalb der knapp 25-minütigen Folgen | |
werden von sekundenlangen Miniaturen unterbrochen. Sie zeigen die Vielfalt | |
Marzahns: Da sitzen zwei alte Herren im Freien bei einer Partie Schach | |
unter einem Baum und trinken ein Bier dabei. Da singt ein Straßenmusiker | |
zur Titelmelodie von „Titanic“ vor einem großen Einkaufscenter. Ein paar | |
coole Jungs rappen und nehmen ein Tiktok-Video auf, Mädchen tanzen auf | |
einem Dach in einer Choreografie. Und immer wieder sind menschenleere große | |
Plätze oder weitläufige Wiesen und viele Bäume zu sehen. Ja, Marzahn ist | |
ein sehr grüner Ortsteil von Berlin mit viel Abstand zwischen den | |
Hochhäusern. Zur Erinnerung: Bauland war in der DDR spottbillig, man konnte | |
luftig planen und bauen. | |
Jede der sechs Folgen wird von einer anderen Geschichte getragen. Oft geht | |
es traurig zu, manchmal amüsant, und oft lebensklug. Auch Kathis Sorgen und | |
Nöte und die ihrer vietnamesischstämmigen Chefin sind Teil der Story. Immer | |
wieder geht es zum Beispiel ums Geld, nur selten um die Liebe. Und immer | |
wieder wird mit Versatzstücken kollektiver Erinnerungen Made in GDR | |
gearbeitet. Ach, und die Riege von alten, bekannten | |
Ostschauspieler:innen ist famos. | |
Die Schicksale der alten Menschen berühren, weil Kathi mit ihrer | |
einfühlsamen Art hinter deren Fassade blicken kann und sie berührt – ja | |
auch im wahrsten Sinne – und sie zum Reden bringt. Das wird mittels eines | |
einfachen wie genialen Tricks visuell verdeutlicht: Die Damen und Herren | |
sitzen für die Pediküre auf einem bequemen Sessel, der sich hoch- und | |
runterfahren lässt. So muss sie sich nicht nach den Füßen bücken. Man | |
könnte aber auch sagen, dass die Fußpflegerin den Menschen in Marzahn auf | |
Augenhöhe begegnet. | |
16 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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