Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Krise des Einzelhandels: Der Kampf gegen die Ödnis
> Am Ostberliner Stadtrand stehen etliche Shoppingcenter leer. Statt die
> Klötze wieder abzureißen, sei hier der ideale Platz für sogenannte
> Sorgezentren.
Bild: Teilnehmer:innen der Wanderung bestaunen die leerstehende Kleeblatt-Passa…
Berlin taz | Das Marktplatz-Center in Hellersdorf hat seine besten Jahre
hinter sich. Im Erdgeschoss des architektonisch einfallslosen
Gebäudekomplexes hält noch eine Apotheke die Stellung. Ansonsten herrscht
gähnende Leere in der einstigen Shoppingmall am ausladenden
Alice-Salomon-Platz. Auch der Platz selbst ist an diesem sonnigen
Samstagmittag Ende Februar an Trostlosigkeit kaum zu überbieten.
Schlendernde Passant:innen? Fehlanzeige. Das Szenario der verwaisten
Innenstädte, das im Zuge der Krise des Einzelhandels beschworen wird: Am
Alice-Salomon-Platz scheint er schon Realität.
Umso mehr fällt dann die Menschentraube auf, die sich in kurzer Zeit vor
dem Marktplatz-Center versammelt. Rund 100 Personen sind der Einladung der
Linken-Politikerin Katalin Gennburg zu einer „Stadtrandwanderung zu den
Grabstätten des Ausverkaufs“ gefolgt. „Beim Ausverkauf der Stadt denken
alle immer an Berlin-Mitte. Aber auch der Stadtrand war betroffen“, sagt
Gennburg. Die Stadtforscherin sitzt bislang für die Linke im
Abgeordnetenhaus, demnächst wechselt sie in den Bundestag.
Das Sterben der Innenstädte, das wird in Hellersdorf deutlich, ist vor
allem ein Symptom profitgeleiteter Stadtentwicklungspolitik. In den 80ern
als sozialistische Großsiedlung von einer Hand geplant und hochgezogen,
wurde Hellersdorf nach der Wende [1][mehr und mehr den Kräften des Marktes
überlassen].
Der Senat ließ als Konsequenz aus dem Rückgang der Bevölkerungszahl leer
stehende Kitas und Jugendklubs abreißen. Auch die Ostkaufhallen
verschwanden nach und nach. Stattdessen wurden neue Einkaufszentren gebaut
– die heute leer stehen. Statt auch diese Malls wieder abzureißen, fordert
die Linke, sie umzunutzen. Kitas, Ärzt:innen, Restaurants, kulturelle
Angebote – all das fehlt in den Großwohnsiedlungen am Ostberliner
Stadtrand, all das könnte in die ungenutzten Shoppingklötze einziehen.
## Mustersiedlung Hellersdorf
Die aus 45.000 Wohnungen bestehende Großsiedlung Hellersdorf gilt als
Musterbeispiel sozialistischer Stadtplanung. Zwischen den sechsgeschossigen
standardisierten Plattenbauriegeln ließen die Architekt:innen viel
Platz für Grünflächen und soziale Infrastruktur. Kaufhallen, Kitas und
Jugendklubs waren fußläufig erreichbar. Den krönenden Abschluss sollte ein
großes Stadtteilzentrum mit Kulturzentrum, Rathaus, Bibliothek und
Schwimmbad bilden, genau dort, wo heute auch das öde Marktplatz-Center
steht.
Bevor die Planungen umgesetzt werden konnten, brach freilich die DDR
zusammen. Was blieb, war eine Großbaustelle. Nun oblag es dem
wiedervereinigten Berlin, die sozialistische Musterstadt mit dem jetzt
„Helle Mitte“ genannten Zentrum zu vollenden.
Die „Helle Mitte“ sei eine einmalige Chance gewesen, findet Uwe Klett. „So
eine riesige Fläche in der Stadt zu haben und ein Zentrum zu designen,
diese Situation wird es nie wieder in Berlin geben“, sagt Klett. Zwischen
1995 und 2006 war er für den Linkspartei-Vorgänger PDS zunächst
Bürgermeister von Hellersdorf, dann vom fusionierten Großbezirk
Marzahn-Hellersdorf und hat die Entwicklungen damals live miterlebt.
Dazu gehört auch, dass im Chaos der Nachwendejahre die Pläne gleich
mehrmals über den Haufen geworfen wurden. 1993 übergab Berlin die
Entwicklung des Areals dem Konsortium Mega AG. Die kulturellen Angebote wie
das geplante Kleinkunstzentrum und das Schwimmbad fielen rasch dem
Sparzwang zum Opfer. Aber selbst die Schrumpfvariante wurde nicht fertig:
2002 ging das Konsortium pleite.
## Malls, Malls und noch mehr Malls
Gebaut wurde dabei vor allem, was Profit versprach: Einzelhandelsflächen
und ein Multiplexkino. Das Thema Aufenthaltsqualität interessierte herzlich
wenig. „Architektonisch bietet der Platz keine Highlights, wer das erste
Mal hier ist, denkt, es wäre eine umbaute Verkehrskreuzung“, sagt Uwe
Klett. Einzig die angrenzende Alice-Salomon-Hochschule sei gelungen.
Zur Wahrheit gehört, dass zumindest das Schicksal des Marktplatz-Centers
und mit ihm der „Hellen Mitte“ insgesamt wenig überraschend kam. Schon zur
Eröffnung 1997 wurde befürchtet, dass das Konsumversprechen nicht von
langer Dauer sein könnte. Der Grund dafür liegt etwa einen Kilometer
nördlich in Brandenburg, kurz hinter der Stadtgrenze: der Kaufpark Eiche.
Das 1993 errichtete Shoppingzentrum ist mit 60.000 Quadratmetern
Verkaufsfläche dreimal so groß wie das Marktplatz-Center. Und der Kaufpark
scheint passabel zu laufen. Große Einzelhandelsketten ziehen viel
motorisierte Kundschaft aus dem Brandenburger Umland, aber eben auch aus
Hellersdorf an.
Klar ist: Die in den 1990ern neu gebauten Malls kannibalisierten sich von
Anfang an nicht nur selbst, sondern absorbierten auch den umliegenden
Einzelhandel. Die fußläufig erreichbaren dezentralen Versorgungszentren
fielen leer und wurden abgerissen. Ersetzt wurden sie durch das, was den
privaten Erwerbern des ehemaligen Staatseigentums am meisten Profit
versprach: Wohnanlagen und Shoppingzentren.
## Versorgungskrise droht
„Nach der Wende wurde alles abgerissen“, sagt Anwohner Roland Kretzschmar
bei der Stadtrandwanderung der Linken. Der 75-Jährige wohnt seit 1985 in
Hellersdorf und hat miterlebt, wie sich der Stadtteil nach der Wende
entwickelt hat. „Restaurants, Cafés, das, was du in der Innenstadt hast,
fehlt hier.“ Auch Ärzt:innen gebe es kaum noch.
„Inzwischen gibt es in Hellersdorf eine richtige Versorgungskrise“, sagt
Katalin Gennburg. Das sei besonders für die alternde Bevölkerung in den
Großwohnsiedlungen dramatisch, die auf eine fußläufige Nahversorgung
angewiesen sei, sagt die Linken-Politikerin, die schon lange für das
[2][Konzept der Sorgezentren] wirbt. Platz wäre da. „In dem Bezirk gibt es
mehr leere Malls als irgendwo sonst“, sagt Gennburg. Ob Kleeblatt-Passagen
oder Ring-Kolonnaden: Auf der nicht einmal acht Kilometer langen Route der
Wanderung finden sich noch fünf weitere, größtenteils leer stehende
Shopping-Ruinen.
Wie genau das gelingen kann, skizziert Hannah Berner von der [3][nach einem
verödeten Einkaufszentrum am Treptower Park] benannten Initiative „Sorge
ins Parkcenter“. „Die Care-Krise ist besonders deutlich in den Ostgebieten
der Stadt ausgeprägt“, sagt Berner. „Der demografische Wandel wird das
Problem nochmal verschärfen.“ Die Krise in der Pflege betrifft einerseits
die institutionalisierte Gesundheitsversorgung mit ihrem Ärzt:innen- und
Pflegekräftemangel. Weniger offensichtlich sind die Auswirkungen im
privaten Bereich, in dem sich Angehörige neben ihrer Berufstätigkeit um die
Pflege ihrer Familienmitglieder kümmern.
Die leer stehenden Shoppingmalls zu Sorgezentren umzubauen, ist dann auch
ein naheliegender Gedanke. „Einkaufszentren sind gut in die Kieze
integriert, verkehrsmäßig gut angebunden und die Bewohner:innen haben
sie schon in ihren Alltag integriert“, sagt Berner. Dort, wo Filialen von
Großkonzernen vormals Klamotten und Unterhaltungselektronik verkauften,
könnten Kitas, Tagespflegeeinrichtungen, Repaircafés und
Nachbarschaftstreffs einziehen. Was genau in ein Sorgezentrum kommt,
entscheide letztendlich die Nachbarschaft.
## Sorgezentren sollens richten
In spanischsprachigen Ländern wie Chile oder Spanien wurde die Idee bereits
in die Stadtplanung integriert, die Initiative will sie nun nach
Deutschland übertragen. Das Vorhaben steckt zwar noch in den Kinderschuhen,
„Sorge ins Parkcenter“ hat nach eigenen Angaben aber bereits erste
Nachbarschaftstreffen organisiert und eine symbolische Besetzung des
Markplatz-Centers in Hellersdorf im Januar veranstaltet.
Die Idee der Sorgezentren konkurriert indes mit den Zukunftsplänen der
Eigentümer der Shoppingcenter. Aroundtown, der multinationale Konzern, dem
das Marktplatz-Center gehört, setzt auf ein „umfassendes
Revitalisierungskonzept“. 2026 soll die Supermarktkette Rewe als neuer
Ankermieter einziehen, dazu mehr Gastronomie und Dienstleistungen, außerdem
soll modernisiert werden, teilt ein Sprecher von Aroundtown auf taz-Anfrage
mit.
Die Organisator:innen der Stadtrandwanderung sind skeptisch, dass
private Investoren die Versorgungskrise Hellersdorfs lösen können. „Die
Umbrüche im Gewerbebereich sind viel zu groß, um sie mit Food-Courts und
Erlebniskram zu füllen“, sagt Hannah Berner. „Das geht an den Bedürfnissen
der Menschen vorbei.“
Auch Katalin Gennburg sagt: „Nahversorgung organisiert sich nicht von
allein.“ Stattdessen brauche es wieder mehr politische Planung und
Steuerung. Als die Wanderung an einem auf eine Grünfläche zwischen zwei
Wohnriegel hingeklatschten Quartier mit neuen Einfamilienhäusern
vorbeizieht, fügt die Linken-Politikerin noch hinzu: „Hellersdorf wurde den
Investoren überlassen. Wir wollen den Stadtrand den Leuten zurückgeben.“
5 Mar 2025
## LINKS
[1] /Bauvorhaben-an-der-Allee-der-Kosmonauten/!6042313
[2] https://blogs.taz.de/dissenspodcast/sorge/
[3] /Siechtum-der-Einkaufszentren/!5954819
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
Berlin Marzahn-Hellersdorf
Einzelhandel
Shoppingmalls
Serien-Guide
Hochhaus
Deutsche Wohnen & Co enteignen
Schwerpunkt Stadtland
## ARTIKEL ZUM THEMA
ARD-Serie „Marzahn, mon amour“: Auf Augenhöhe mit dem Hornhauthobel
Den Bestseller-Roman „Marzahn, mon amour“ gibt es jetzt als Serie. Im
Zentrum steht die Fußpflegerin Kathi in der Berliner Plattenbausiedung
Marzahn.
Bauvorhaben an der Allee der Kosmonauten: Filz-Verdacht in Marzahn
Eine Baufirma will in Marzahn drei Hochhäuser errichten. Anwohner und
Bezirk sind dagegen, doch der Bauherr hat anscheinend gute Kontakte in die
CDU.
Vergesellschaftungskonferenz 2.0: Luxus für alle
Ob Care, Landwirtschaft, Mobilität oder Energie: Die „Let's Socialize“
Konferenz sucht nach Wegen gemeinwohlorientierten Wirtschaftens.
Siechtum der Einkaufszentren: Die Mall ist tot, lang lebe die Mall
Mit Einkaufen ist im Park Center Treptow nicht mehr viel los. Eine
Kiezinitiative nutzt das und weist den Weg in die Zukunft der
Einkaufszentren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.