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# taz.de -- Dokumentarfilm über Klezmermusik: Abdrücke einstigen Lebens
> „Das Klezmer-Projekt – In mir tanze ich“, ein argentinischer
> Doku-Spielfilm, geht den Spuren der traditionellen Klezmermusik in
> Osteuropa nach.
Bild: Musizieren in der Wohnstube: Victor Covaci, Bob Cohen, Paloma Schachmann
Zu den schönen Dingen am Medium Film gehört, welch poetische Wirkung es
haben kann, wenn Echtes und Erfundenes zu einem Ganzen vereint werden.
Mitunter kommt dabei etwas so Charmantes heraus wie [1][„Das
Klezmer-Projekt“], ein origineller Debütfilm, der mithilfe einer
halbfiktiven Rahmenhandlung ein Thema lebendig macht, das es als reine
Dokumentation wohl schwer hätte, einen Verleih zu finden.
Diese Rahmenhandlung enthält eine Liebesgeschichte und geht so: Der
Kameramann Leandro, der sich mit dem Abfilmen von Hochzeitsfeiern durchs
Leben schlägt, verliebt sich in die Klarinettistin Paloma, die er auf einer
dieser Feiern kennenlernt.
Paloma interessiert sich sehr für die Herkunft der Klezmermusik, die sie
mit ihrer Band spielt, und plant deswegen eine Forschungsreise nach
Osteuropa – ziemlich ans andere Ende der Welt also, denn Paloma und Leandro
leben in Argentinien, wohin ihre jüdischen Vorfahr*innen einst
ausgewandert sind.
Um Paloma nahe sein zu können, behauptet Leandro, sowieso gerade eine
Dokumentation über Klezmer zu drehen, und reist ihr hinterher. Zunächst ist
er mit einem österreichischen Produzenten unterwegs, später trifft er
Paloma und den US-amerikanischen Musikethnologen Bob Cohen, der in
Budapest lebt. Einigermaßen desillusioniert reist das österreichische Team
irgendwann ab, denn das Drehbuch, das Leandro eingereicht hat, ist nicht
einmal annähernd zu realisieren, da es die vielen großartigen Klezmerbands,
die er hineinfantasiert hat, schlicht nicht gibt.
## Verschwundene jiddische Kultur
Aber Leandro gibt die Suche nicht auf. Und es ist wohl so, wie Bob Cohen es
sinngemäß formuliert: Die [2][einstige jiddische Kultur] sei verschwunden,
aber sie habe wie in einem Negativ ihre Abdrücke hinterlassen. Und die
ließen sich weiterhin finden.
Die „Abdrücke“ sind die vielen, vielen Musikerporträts, aus denen dieser
Film zum großen Teil besteht: Mal ist es ein Dorfpostbote, der nebenbei mit
seiner Geige die musikalischen Traditionen der Gegenden südlich der
Karpaten bewahrt, mal erleben wir ein cooles argentinisches Klezmer-Duo aus
Blockflöte und Gitarre, dann eine rumänische Dorfkapelle in vollem
Trachtenornat.
Die Musiker sind fast immer männlich – nur der Postbote wird von seiner
Tochter begleitet –, und musiziert wird für die Kamera oft in Wohnstuben,
die opulent mit bunten Tüchern und Wandteppichen ausstaffiert sind.
Längst nicht alles, was gefilmt wird, ist Klezmer, aber oft ist irgendwie
Klezmer mit drin. Denn die Musikanten haben über Generationen aufgesogen
und weitergegeben, was in ihrer Gegend gespielt wurde, und die Kulturen
haben sich überlagert und gegenseitig beeinflusst. Sowieso seien die Juden
früher, wenn sie Musik für eine Hochzeit brauchten, oft zu den Zigeunern
gegangen, sagt einer.
## Stimme im Off
Über dieser musikalisch-dokumentarischen Ebene liegt wie ein doppeltes
Wahrnehmungsprisma die Rahmengeschichte. Denn während der Film Bilder von
Leandro und Paloma zeigt, liest im Off die Stimme einer Frau eine
Geschichte auf Jiddisch. Sie handelt vom jungen Jankel, der sich in
Taibele, die Tochter des Dorf-Rabbis, verliebt und ihr in die Stadt folgt,
wohin sie geflohen ist, um in Freiheit lernen zu können.
Die Geschichte von Jankel und Taibele hat ebenso wenig ein konventionelles
Happy End wie jene von Leandro und Paloma – und wie die Geschichte von
zweien, die auszogen, um die traditionelle Klezmer-Musik in Osteuropa zu
finden. Was dort einmal war, gibt es nicht mehr.
Aber wer sucht, der findet außer den Abdrücken des Gewesenen immer auch
vieles andere. Und weil das trotz allem irgendwie sehr schön ist, haftet
diesem durch und durch menschenfreundlichen, träumerischen
Pseudo-Doku-Roadmovie, das dieser Film geworden ist, so gar nichts
Melancholisches an.
5 Jun 2024
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=Fz8q6Df74x8
[2] /Ein-Verein-fuer-juedische-Kultur/!5898805
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Judentum
Musik
Film
Osteuropa
Flucht
Klavier
Serien-Guide
Juden in der Ukraine
Jazz
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