# taz.de -- Jüdische Solidarität für die Ukraine: Im Grunde Überlebensmusik | |
> Ein Sampler mit Songs von jüdischen Künstler:Innen aus aller Welt | |
> zeigt sich solidarisch mit der Ukraine: „Rusishe krigshif, shif zikh in | |
> dr'erd“ | |
Bild: Mark Kovnatskiy beschreibt mit seiner Geige die Landschaft der Westukraine | |
Auch Kunst hilft der Ukraine dabei, den Krieg zu gewinnen. Davon überzeugt | |
sind Kiewer KünstlerInnen, die das Projekt „[1][Artdopomoga]“ (deutsch: | |
Kunst hilft) ins Leben gerufen haben. Auf ihrer Webseite lässt sich Kunst | |
erwerben, die seit Beginn des Krieges von Russland gegen die Ukraine | |
entsteht, und unterstützt damit direkt das Land bei seiner Verteidigung | |
gegen den russischen Aggressor. | |
Kulturwissenschaftlerin Victoria Zubenko hatte die Idee, einen Seidenschal | |
entwerfen zu lassen, dessen Muster sich an Mosaiken anlehnt, die in den | |
1960er Jahren von ukrainischen Künstler:Innen für Bushaltestellen | |
entworfen wurden. Hauptsächlich werden Sticker angeboten. Darunter ist | |
einer mit einem blauen Stinkefinger, der gleichzeitig als Leuchtturm gelbes | |
Licht aussendet. Darüber schwebt die unmissverständliche Parole: „Russian | |
warship, go fuck yourself!“ | |
Artdopomoga vertreibt auch Musik. Der Sampler „Artdopomoga Ukraine“ enthält | |
Musik, die nach dem 24. Februar produziert worden ist. So zeugt das Lied | |
„Teroborona“ (Zivilverteidigung) der US-ukrainischen Folkband [2][Gogol | |
Bordello] von den ersten Kriegstagen. | |
## Aufgenommen während Kampfeinsatz | |
Das Lied „Towers“ hat der Sänger Mandry während eines Kampfeinsatzes in d… | |
ukrainischen Hauptstadt aufgenommen – am Handy. Mandry begleitet sich auf | |
der Gitarre, beamt sich weg aus der verheerenden Situation und besingt die | |
Sonne – also das Leben – das er so liebt. Nun ist ein zweiter Sampler bei | |
Artdopomoga erschienen: [3][„Rusishe krigshif, shif zikh in dr´erd. Jewish | |
Voices condemn Russia's war against Ukraine“.] | |
29 Tracks von jüdischen Künstler:Innen aus aller Welt sind hier | |
versammelt. Einige der Künster:lnnen leben in der Ukraine, andere haben | |
ihre Wurzeln dort und sind quer über den Erdball verstreut. Und so finden | |
sich viele jiddische Songs auf dem Sampler, dessen Titel die jiddische | |
Version von „Russisches Kriegsschiff, fick dich“ ist. | |
Fast jeder Song trägt die DNA der ostmitteleuropäischen | |
Shtetl-[4][Musikkultur] in sich. Die springende kletternde Klarinette, die | |
Geige, die tanzt, das Akkordeon, das spazieren geht. Es ist die Musik des | |
Klezmer, die in jedem Shtetl in Galizien zu Hause war, jede jüdische | |
Hochzeit untermalte und mit dem Holocaust verstummt ist. So wie auch das | |
Jiddische, die Muttersprache der jüdischen Bevölkerung, dort verschwand. | |
## Klezmerrevival hält an | |
Seit den 1980er Jahren erlebt der Klezmer ein langanhaltendes Revival. Es | |
ist eine unglaublich lebensbejahende Folkmusik, geboren in einer | |
Gemeinschaft, die im jüdischen Ansiedlungs-Rayon des Zarenreiches durch | |
Pogrome immer wieder in ihrer Existenz gefährdet war. Klezmer war im Grunde | |
Überlebensmusik. | |
Und ist seit Kriegsbeginn erneut Überlebensmusik. Mark Kovnatskiy hat im | |
Jahr 2021 ein wunderschönes Stück Klezmer eingespielt, das auf dem Sampler | |
zu hören ist. Es heißt: „Kolomeyke, Moldavishe Hora. Sirna Moloveneasca“. | |
Kovnatskiy, der aus der Ukraine stammt, einen russischen Pass hat und in | |
Hamburg wohnt, vertont hier Orte und Landschaften. Zum Beispiel die | |
Moldauer Berge. | |
Die Geige klettert also mühelos die Hügel hinauf, sie läuft irgendwo | |
rastlos umher und legt einen Rhythmus vor, der schon beim Zuhören | |
schwindlig macht. Und sie kommt beim Klavier an. Beim Einsetzen des | |
Klaviers wird die Geige langsamer, ihre Tonlage wird tiefer und der | |
melancholische Sound, der den Klezmer trotz all seiner Vitalität immer | |
begleitet hat, tritt hervor. Und jetzt kann bzw. könnte getanzt werden. | |
## Sanfte Hügellandschaft | |
Und dann läuft die Geige wieder weg. Durch die weite sanft hügelige | |
Landschaft der Westukraine – und wird dabei immer schneller. Solche Bilder | |
entstehen beim Zuhören ganz selbstverständlich vor dem inneren Auge und | |
stellen sich neben Aufnahmen von Angriffen auf Shitomyr, eine | |
westukrainische Kleinstadt, in der bis zum Holocaust die Mehrzahl der | |
Bevölkerung jüdisch war. | |
Die Band The Anti-DicKtators nimmt die Klezmer-Geige und singspricht | |
darüber einen Anti-Kriegs-Rap. Die russischsprachigen Anti-Diktatoren, die | |
sich zusammengefunden haben, um gegen den Krieg zu singen, verweisen in | |
ihrem musikalischen Beitrag auf den nuklearen und globalen Kontext des | |
russischen Angriffs. So stellen sie am Anfang des Songs „Russian warship | |
(Go F…k Yourself!) fest: „Das russische Monster will die Menschheit | |
ausrotten.“ | |
Solange Musik gespielt wird, ist die Menschheit noch da. Mark Kovnatskiys | |
Klezmer-Geige ist übrigens zu hören am 7. August beim „Yiddish Summer“ in | |
Weimar. Möglicherweise ist der Krieg im August schon vorbei. Artdopomoga | |
bringt einen auf diesen mit vorsichtiger Zuversicht durchwebten Gedanken. | |
26 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://artdopomoga.com/ | |
[2] /Folk-Punk-Band-Gogol-Bordello/!5141696 | |
[3] /Ukrainischer-Musiker-Gurzhy-ueber-Krieg/!5840614 | |
[4] /Compilation-mit-Yiddisher-Jazz/!5681327 | |
## AUTOREN | |
Katja Kollmann | |
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