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# taz.de -- Ukrainische Kunst vor dem Krieg schützen: Fluxus, Spiritus und Bal…
> Ein Teil vom wilden Kosmos des 2007 verstorbenen ukrainischen Künstlers
> Fedir Tetyanych ist nun im CCA zu sehen. Auch, um seinen Nachlass zu
> schützen.
Bild: Ein Stück Melancholie: Die Kostüme von Fedir Tetyanych
Schon vom großen Schaufenster nahe der Kurfürstenstraße fangen diese
seltsamen Kostüme den Blick. Eine bunte Batikhose in den Pastellfarben der
achtziger Jahre, ausgelatschte Sneakers, eine Jacke, derart mit bunten
Schnipseln, Plastikstücken und Goldfolie besteckt, dass sie sich zu einer
breitschultrigen Rüstung formt. Und darüber hängt eine Kappe, von
Aufgesammeltem ornamental geschmückt, sie muss das wichtige Beistück einer
Zeremonie sein.
Diese zusammengeklaubten Materialien und Kleidungsstücke, sie wirken nur
auf den ersten Blick einer Kulisse wie der für den postapokalyptischem Film
„Mad Max“ entsprungen. Zu anders, zu „byzanthinisch“ sind diese offenbar
aus dem Abfall herausgefischten Dinge.
Zeit und Ort dieser Kostüme: Kiew zwischen 1980 und 2007, zwischen UdSSR
und den politischen Umwälzungen der postsowjetischen Ära. Urheber: der
Künstler, Philosoph und Nonkonformist Fedir Tetyanych.
In einem ausgestellten Video hat sich Tetyanych in eines der Kostüme
geschält, als sagenhafter Zeremonienmeister tritt er zwischen neugierig um
ihn gescharten Menschen auf. Seine gefilmte Straßenaktion – ein bisschen
Fluxus, ein bisschen spirituelles Ritual, ein bisschen Ballaballa – war
1992. Kurz nachdem die Ukraine ein souveräner Staat geworden war, in einem
wirren politischen Moment eines sich neu findenden Staats.
## Kunst in Gefahr
Nun wird die Souveränität dieses Staates von Moskau wieder brutal infrage
gestellt. Und es gehört zu diesem unfassbaren Krieg, dass auch die Kunst
der Ukraine in Gefahr gerät. Es gibt Initiativen wie etwa „Museums for
Ukraine“, durch die auch Werke aus ukrainischen Museen im sicheren Ausland
ausgestellt und damit praktisch evakuiert werden können.
[1][Fedir Tetyanych, der 1942 geborene Avantgardist], der in den
sowjetischen 1960er bis 1980er Jahren viele öffentliche Aufträge, Reliefs
und Skulpturen in der Ukraine realisierte und sich später immer mehr mit
künstlerischen Aktionen in den Underground vertiefte, gehört jedoch nicht
zu jenen öffentlich Gesammelten. Der Nachlass des 2007 Verstorbenen liegt
bei seiner Familie.
Es ist letztlich einigen ukrainischen Künstler:innen und
Aktivist:innen zu verdanken – darunter Nikita Kadan –, dass auch das
Œuvre dieser eher randständigen Figur Fedir Tetyanych nach Deutschland
gebracht werden konnte. [2][Nun ist eine Auswahl seines Nachlasses im
Center for Contemporary Arts (CCA) zu sehen], das seinerseits erst im März
dieses Jahres von Privatpersonen ins Leben gerufen wurde.
Bemerkenswert, wie hier freie Initiativen die institutionelle Aufgabe zum
Schutz der Kultur der vom russischen Angriffskrieg bedrohten Ukraine
wahrnehmen.
## Körper und Materie
Und aufregend, wozu sie uns hier Zugang verschaffen. Denn mit den
Zeichnungen, Fotografien, Malereien, Kostümen und humorvollen Assemblagen –
hat Tetyanych da 1980 aus alter Pappe eine grobe Figur gebaut und ihr aus
kleinen Milchtüten etwa zwei große Brüste mit Kleeblattmuster verpasst? –
blickt man in den unabhängigen Geist eines Künstlers, der auf die
politischen Erschütterungen der Ukraine von den 1980er Jahren bis 2007 mit
einem ganzheitlichen Kunstbegriff reagierte.
Unter dem Begriff „Fripulia“ – was keine Bedeutung hat, aber ein bisschen
nach dem englischen „free“ klingt – entwickelte er eine Doktrin, nach der
alles Körperliche und Materielle zusammenhängt.
Seine bekanntesten Formen sind die „Biotecnospheres“. In diesen an Richard
Buckminster Fullers Geodäten erinnernden Kugelbauten kommen Wohnen und
Transport zusammen. Bis ins technische Detail kann man auf Entwürfen seine
Vorstellungen dieser Biotecnosphären sehen, die auch mal die Ausmaße ganzer
Raumschiffe annehmen.
An einer Wand hängt in Grautönen eine Reihe von Kreiskompositionen. Man
weiß nicht, zeigen sie die Nahansicht eines Antriebsmotors, den „Schwarzen
Stern“ aus Star Wars oder sind es einfach nur Studien.
## Schatten und Nacht sind eins
Auf einer kleinen Assemblage hängt ein Zettel: „Schatten und Nacht sind
eins“ steht darauf in kyrillischen Buchstaben. Das alles wirkt manchmal
recht vergilbt in der enthusiastischen Vermengung von Technik und Esoterik.
Man könnte meinen, Fedir Tetyanych hätte sich seine künstlerische Welt als
früher Moderner um 1910 geschaffen, er wäre vielleicht einer der russischen
Kosmisten gewesen.
Doch vielmehr beschreibe seine Kunst einen „Ukrainischen Kosmismus“, kann
man in einem [3][2016 online veröffentlichten Gespräch zwischen den
Künstlern Nikita Kadan und Yuri Leidermann] nachlesen.
Auch der „Ukrainische Kosmismus“ behandele eine Kombination aus Modernismus
und Volksglauben, allerdings ein halbes Jahrhundert später, als das Projekt
der Moderne selbst im Spätsozialismus zusammenbrach „und nur ein Glitzern,
ein Rascheln, eine Mannschaftsliste zurückließ. So wie Chruschtschows
Epoche der Stadtplanung ein Geplätscher des verschwindenden Geistes von Le
Corbusier war“, sagt Leidermann.
Ein Stück Melancholie, es liegt also nicht nur in dem tragischen
politischen Hintergrund dieser Ausstellung, sondern auch irgendwie in der
Kunst Tetyanychs.
11 Jul 2022
## LINKS
[1] /Fedir-Tetianychs-Kunst-in-Kiew-in-Gefahr/!5836563
[2] https://cca.berlin/de/program/337/fedir-tetyanych-everywhere-is-my-endless-…
[3] https://cosmos.art/cosmic-bulletin/2021/museum-squinting
## AUTOREN
Sophie Jung
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