# taz.de -- Neue Arbeitsstätte für Kunst in Berlin: Kunstort im Exil | |
> Am Freitag wird in einer alten Berliner Fabrik das „Hotel Continental“ | |
> eröffnet. Hier finden ukrainische und belarussische Künstler*innen | |
> eine Plattform. | |
Bild: Bereit für die Kunst. Rechts sitzt „Hotel Continental“-Macherin Chri… | |
Berlin taz | Neues Leben ist eingekehrt in die alte Pianofabrik in der | |
Treptower Elsenstraße. Jede Menge Teppiche liegen teils noch eingerollt, | |
teils ausgerollt und übereinandergelegt auf dem Boden. Die Regenbogenfahne | |
mit der Aufschrift „Pace“ ist an der Wand befestigt. Ein Plakat fordert | |
auf: „Make Art, Not War“. | |
Denn die Pianofabrik ist jetzt ein „Kunstort im Exil“ – nachdem sie bisher | |
schon so viel anderes war: ein Sägewerk, eine, wie es offiziell hieß, | |
„Lehr- und Beschäftigungswerkstatt für Kriegsbeschädigte, | |
Kriegshinterbliebene und andere Erwerbsbeschränkte“, eine Damenhutfabrik | |
und eine Produktionsstätte für Registrierkassen. Und jetzt eben eine Stätte | |
für Kunst. „Art Space in Exile“ nennt sie sich, und auch die goldene | |
Aufschrift „Hotel Continental“ ist zu lesen. Das bezieht sich auf ein | |
ehemaliges Hotel in Mariupol in der Ukraine, das über viele Jahre ein | |
Kunst- und Kulturzentrum war und das im März 2022 während des Krieges | |
ausbrannte. | |
Hier in Berlin möchte die Regisseurin Christine Dissmann, die selbst | |
vergangenes Jahr noch im „Hotel Continental“ in Mariupol im Rahmen des | |
„Marathons Internationaler Theaterresidenzen“ arbeitete, eine Arbeitsstätte | |
für Künstler*innen und einen Begegnungs- und Aufführungsort schaffen, | |
der den Geist des „Continental“ weiterträgt und zugleich ganz real daran | |
erinnert, was alles verloren ging im Krieg. „Wir wollen eine Plattform der | |
Begegnung herstellen. Wir haben dazu etwa 1.000 Quadratmeter Innenraum zur | |
Verfügung. Und wir können auch den Außenraum nutzen“, erzählt Dissmann der | |
taz. | |
Einige Künstler*innen haben bereits eingecheckt im neuen „Hotel | |
Continental“. Eine kompakte Großskulptur des Bildhauers Oleksii Zoloratiov | |
steht im Hof und wird von ihm weiter bearbeitet. Die goldene Färbung, die | |
die Metallskulptur einmal hatte, wird jetzt durch eine blaue Patina | |
verdrängt, so dass sich die Farben der Ukraine hervorschälen. Einen der | |
Innenräume wird die bildende Künstlerin und Kuratorin Darya Koltsowa | |
nutzen, die bereits 2014 mit der Installation „Theory of Protection“ | |
auffiel. Sie entwickelte kunstvolle Arrangements aus Klebeband auf | |
Fensterglas. Das greift die Praxis auf, Glas vor dem Zerspringen durch die | |
Erschütterungen durch Bombardements zu schützen. | |
## Der Krieg ist präsent | |
Natürlich ist der aktuelle Krieg, der bereits 2014 mit der Annektion der | |
Krim durch Russland begann, in vielen Details im Hotel Continental präsent. | |
Ganz deutlich in den Bildern von bewaffneten Frauen aus dem Donbass des | |
tschechischen Fotografen David Tesinsky. Sie liegen noch halb ausgepackt in | |
einem Raum. Die belarussische Initiative Razam wird sie bis zur Eröffnung | |
des neuen Hotel Continental zu einer Ausstellung arrangieren. | |
Überhaupt fällt in diesem neuen Hotel Continental die Nähe von Ukraine und | |
Belarus auf. Neben vielen Texttafeln in den ukrainischen Farben blau und | |
gelb befindet sich auch die weißrote Fahne der Protestbewegung von Belarus. | |
„Wir haben uns entschieden, sowohl Künstler*innen aus der Ukraine als | |
auch aus Belarus anzusprechen“, sagt Dissmann der taz. „Die haben es oft | |
noch schwerer, hier in Deutschland Fuß zu fassen. Wenn sie ihr Land | |
verlassen, bekommen sie ja nicht gerade ein Dokument in die Hand gedrückt, | |
dass sie verfolgt wurden“, meint sie trocken. | |
Dissmann ist mitten im Einrichtungsmodus, trägt Möbel hin und her, kümmert | |
sich um die Sonnenblumen, die draußen, wo das Café entstehen soll, | |
angepflanzt werden. Sie kommuniziert mit Bauarbeitern, die in den frisch | |
renovierten Räumen noch letzte Arbeiten erledigen. Und sie kümmert sich um | |
die Künstler*innen, die nach Arbeitsräumen suchen. „Vor kurzem kamen zwei | |
Modedesignerinnen aus Kiew hier an. Sie kannten sich vorher nicht, trafen | |
beide aber zugleich um halb vier hier ein, weil sie an einem Arbeitsraum | |
interessiert sind. Ich habe ihnen dann gesagt, sie sollen das ersteinmal | |
untereinander bei einem Kaffee besprechen. Und jetzt ziehen sie zusammen | |
hier ein“, erzählt Dissmann und strahlt dabei. Genauso hat sie sich die | |
Initiative auch vorgestellt: Offen zu sein, eine Plattform für Menschen und | |
Künstler*innen. | |
Auslöser dafür sind Dissmanns eigene Arbeitserfahrungen vor dem Krieg in | |
der Ukraine. „Ich war längere Zeit in Mariupol. Einmal mit meiner Gruppe | |
Ogalala Theater. Das andere Mal hatte ich als Regisseurin eine Residenz“, | |
erzählt sie. Gemeinsam mit zwei Theatergruppen in Kiew sowie Studierenden | |
der dortigen Kunstschule erarbeitete sie die Produktion „InBetween Times“. | |
„Es ging um das Leben in Mariupol, darum, was sich diese jungen | |
Künstler*innen als Zukunft vorstellten. Sie wollten dabei als Menschen | |
wahrgenommen werden, ohne den Stempel des Krieges. Mich hat ihr | |
Schaffensdrang überwältigt, ihre Energie. Und ich habe auch erfahren, wie | |
differenziert sie ihre Chancen eingeschätzt haben, das Leben, das sie | |
wollen, auch führen zu können. Die Frage, bleiben zu wollen oder zu gehen, | |
tauchte immer wieder auf“, erzählt sie taz. | |
## Schnell hingeworfene Skizzen | |
„InBetweenTimes“ war ein Stück über diese Suche. Das damalige Ensemble ist | |
inzwischen über halb Europa verstreut, einige leben in Polen oder | |
Deutschland, andere mussten nach Russland flüchten oder leben in den | |
russisch kontrollierten Gebieten. Eine Präsentation dieser Arbeit in Berlin | |
ist eben nicht möglich, daher entwickelt Dissmann nun ein neues Projekt. | |
Für „InBetweenFires“ hat sich ein Einsemble aus nach Berlin geflüchteten | |
Schauspieler*innen aus der Ukraine und Belarus sowie Spieler*innen | |
aus Dissmanns Gruppe Ogalala, die selbst bereits in der Ukraine aufgetreten | |
sind, zusammengefunden. | |
Bei ersten Improvisationen in der früheren Pianofabrik schlüpften die | |
Spieler*innen in die Figuren von Tieren und drückten physisch aus, wie | |
diese den Krieg erleben. Man sah Katzen und Hunde, die teils irritiert und | |
teils erfreut sind, dass ihre menschlichen Herrchen nicht mehr da sind. | |
Manche beginnen, die neuen Freiheiten auszukosten. Andere sind durch die | |
Geräusche des Kriegs, der näher kommt, verängstigt. Auf Nahrungssuche | |
nähern sie sich getöteten Lebewesen aller Art, schnuppern und nagen. Und | |
ja, auch Menschenfleisch ist darunter. | |
Welche Sequenzen später in das Stück kommen, lässt sich zu diesem frühen | |
Probenzeitpunkt noch nicht sagen. Die Premiere ist für den 28. Juli | |
geplant. Aber die schnell hingeworfenen Skizzen haben große Kraft. Und für | |
die Spieler*innen stellt dies trotz allem erlebten Schrecken eine Form | |
der Auseinandersetzung dar, die sie schätzen. „Es ist gut, dass wir jetzt | |
diese Möglichkeit haben. Mitten im Krieg ist man wie erstarrt, es fällt | |
sehr schwer, das Erlebte zu reflektieren“, erzählt Iryna Poplavska, die aus | |
Kiew kommt. „Für uns ist das eine gute Gelegenheit, überhaupt unsere | |
Geschichten zu erzählen, sie zu teilen“, sagt Anna Mrachkovska aus Wynniza. | |
Valeriia Kuzmenko, die aus Irpin stammt, begrüßt es vor allem, dass sie die | |
„länger nicht gebrauchten Muskeln, die fürs Theaterspielen notwendig sind, | |
wieder einsetzen kann“. | |
Zurück in den Beruf zu kommen, den die meisten von ihnen seit Kriegsbeginn | |
nicht mehr ausgeübt haben, ist nicht nur erleichternd und Freude bringend. | |
Es wird auch eine Basis gelegt für eine neue Existenz. | |
Für das ganze Ensemble ist wichtig, dass in den Zeiten der Gewöhnung an den | |
Krieg die Kunst wieder aufrütteln und erschüttern kann. Dissmann ist | |
optimistisch, dass die Produktion eines Tages auch in die Ukraine reisen | |
kann. Sie hält Kontakt zum weiter in Kiew lebenden Kurator Andrii Palatnyi, | |
der die Residenz organisierte, dank der sie in Mariupol arbeitete. Sie | |
plant auch Gastspiele von Künstler*innen aus dem Umfeld des Kiewer Dakh | |
Teatr und des ProEnglish Theatre. Diese einzige englischsprachige | |
Theatergruppe aus Kiew wurde dadurch bekannt, dass sie während der | |
Bombardements der Stadt ihre Räume als Luftschutzbunker zur Verfügung | |
stellte. „Sie probten während der Bombardements auch weiter. Das dabei | |
entstandene Stück wollen wir nach Berlin bringen“, erzählt Dissmann. | |
Es sind große Pläne, faszinierende Vorhaben. Die offizielle Eröffnung des | |
„Hotel Continental“ findet abends am 17. Juni statt. | |
17 Jun 2022 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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