Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ukrainisches Theaterstück auf Tour: Der Zaun hat die Hauptrolle
> „Bad Roads“ ist ein Theaterstück der ukrainischen Dramatikerin Natalya
> Vorozhbit. Darin verarbeitet sie die Macht und Ohnmacht im Donbass.
Bild: Das Leben im Kriegszustand findet hinterm Zaun statt: Inszenierung von �…
Natalya Vorozhbit hätte noch vier Drehtage gebraucht, um ihren neuen Film
„Dämonen“ fertig zu drehen. Es ist der 23. Februar 2022, Vorozhbit dreht
im nordukrainischen Myrhorod, es soll ein Film über die Schwierigkeiten
einer russisch-ukrainischen Liebesbeziehung werden. Am 24. Februar fährt
sie überstürzt in ihre Kiewer Wohnung und gibt am 25. Februar vom dortigen
Luftschutzraum ein Zoom-Interview. Sie werde auf jeden Fall in der Ukraine
bleiben, sagt sie. Ende März ist die Regisseurin mit Mutter und Tochter
dreißig Stunden lang im Auto unterwegs, bis sie im westukrainischen Lviv
ankommen.
Exakt vor fünf Jahren hatte Vorozhbit anlässlich der Uraufführung ihres
Donbass-Stücks „Bad Roads“ im Londoner Royal Court Theatre dessen
Entstehungsgeschichte erzählt: „2014 begann der Krieg in der Ostukraine.
Das war unfassbar. Es kommen dir Gedanken, die du vorher nicht hattest. Was
bedeutet es im Krieg zu sein? Was bedeutet es, Menschen umzubringen? Bald
konnte ich die Stereotypen über den Donbass, über Ost und West in den
Medien nicht mehr ertragen. So bin ich hingefahren.
Ich sprach mit vielen Menschen dort. Da mich das nicht gleichgültig ließ,
habe ich das Thema in einem Theaterstück verarbeitet.“ Darauf aufbauend
nimmt die Dramatikerin das Stück als Gerüst, wird zur Regisseurin und macht
einen Film daraus. Es sind sechs Miniaturen über [1][das Leben im
Kriegszustand.] Auf der Bühne und im Film finden teilweise identische
Dialoge statt, ihre Wirkung aber ist sehr unterschiedlich, wie man anhand
der Inszenierung von „Bad Roads“ des Kiewer Left Bank Theatre aus dem Jahr
2019 beobachten kann.
Die Regisseurin des Kiewer Left Bank, Tamara Trunova, lässt quer über die
Vorderbühne einen hohen Gitterzaun aufstellen. Das Gitter hat die
Hauptrolle im Stück, denn die SchauspielerInnen müssen sich ständig [2][zu
diesem Zaun in Beziehung setzen]: Sich festhalten, durchschauen, sich ans
Gitter hängen, die Gittertür öffnen oder auch nur vor dem Zaun stehen – zum
Beispiel mit einer jungen Frau huckepack. Der junge Mann, ein Soldat,
erzählt: „Ich ging in den Vorgarten der Ukrainerin, deren Sohn ich getötet
habe und sagte: Ich habe ihren Sohn getötet. Wie viel hat er gewogen und
was kostet das Kilo?“
## Die Grundnervosität des Kriegs
Trunovas Figuren zeigen eine Grundnervosität in ihren Bewegungen und ihrer
Art des Sprechens. Sie geben uns eine Ahnung von dem, was der Krieg mit
denjenigen machen kann, die in ihm gefangen sind. Die Figur des Soldaten
erzählt nüchtern von Mord und Tod, die Frau macht sich auf seinem Rücken zu
einem stereotypen Schützling.
Im Film spielt die gleiche Szene in den heruntergekommenen, halb zerstörten
Sanitäranlagen einer ehemaligen Fabrik. Ein Klangteppich aus beunruhigendem
stampfendem Rauschen und langsamem, aber agressivem Tropfen schafft bereits
eine bedrohliche Atmosphäre dieses apokalyptischen Ortes. Eine junge Frau
wird hereingeführt, von ihrem Peiniger mit dem Tode bedroht und dann
vergewaltigt.
Natalya Vorozhbit zeigt das Gesicht der Liegenden in Nahaufnahme, als auf
ihren Kopf uriniert wird. Diese drastischen Bilder von Gewalt und Ohnmacht
sind nur schwer auszuhalten, der direkte Blick der Kamera lässt
ProtagonistInnen wie ZuschauerInnen nicht entkommen.
Der Film „Bad Roads“ wurde im letzten Jahr in Venedig als innovativster
Film ausgezeichnet. Die Inszenierung „Bad Roads“ des Left Bank Theatre
wählte man 2019 in der Ukraine zur besten des Jahres. Letzten Herbst
gastierte sie beim Festival Radar Ost im Deutschen Theater Berlin.
Im Rahmen des ukrainischen Theatermonats in Europa, der durch die
international gut vernetzte „Ukrainian Artistik Task Force“ ins Leben
gerufen wurde, wird die Inszenierung in Lettland, Litauen und Tschechien
auf vielen Festivals zu sehen sein, bis zu „Radikal jung“ in München. Die
Tournee endet im Berliner Ensemble. In Kiew wird links des Dnepr immer noch
nicht Theater gespielt. Vor Kurzem aber stellte das Theater eine
Stellenanzeige online!
23 Jun 2022
## LINKS
[1] /Regisseur-ueber-Westen-im-Ukrainekrieg/!5838212
[2] /Folgen-der-US-Abschiebepolitik/!5855180
## AUTOREN
Katja Kollmann
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Theater
Film
Gewalt gegen Frauen
Donbass
GNS
Schwerpunkt #metoo
Theater
Junges Theater
Ukraine-Konflikt
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Filmrezension
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Theaterfestival in Litauen: Auch die Sirenen wollen mehr Gehalt
In der Hafenstadt Klaipeda trifft sich die Theaterszene Litauens. Bei einem
Festival verhandeln sie MeToo und den Umgang mit russischen Künstlern.
Theater über den Ukraine-Krieg: Liebe ist auch nur ein Schlachtfeld
Ein Höhepunkt der Theatersaison: Mit Natalia Vorozhbyts Drama „Zerstörte
Straßen“ führt Niklas Ritter in Göttingen mitten in den Ukraine-Krieg.
Junges Theater beim „Radikal jung“: Von Disney unterwandert
Beim Münchner Theaterfestival „Radikal jung“ ging es um politische
Zeichensetzung. Dabei spielten Identitätsdiskurse und Folklore eine große
Rolle.
Flüssiggas in Litauen: Gas läuft ohne Moskau
Lange war Litauen vollkommen abhängig von Gas aus Russland. Doch ein schwer
bewachtes Schiff im Hafen der Stadt Klaipėda änderte das.
Neue Arbeitsstätte für Kunst in Berlin: Kunstort im Exil
Am Freitag wird in einer alten Berliner Fabrik das „Hotel Continental“
eröffnet. Hier finden ukrainische und belarussische Künstler*innen eine
Plattform.
Kinotipp der Woche: Filme aus dem Herzen Europas
Ein Programm der Deutschen Kinemathek widmet sich dem aktuellen Kino aus
der Ukraine. Quer durch alle Genres dominiert das Thema Krieg.
Film über den Krieg in der Ostukraine: Ein Panzer wird gebaut
Der Dokumentarfilm „This Rain Will Never Stop“ erzählt vom Krieg in der
Ostukraine. Regisseurin Alina Gorlova verzichtet dabei auf Gewaltszenen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.