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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Filme aus dem Herzen Europas
> Ein Programm der Deutschen Kinemathek widmet sich dem aktuellen Kino aus
> der Ukraine. Quer durch alle Genres dominiert das Thema Krieg.
Bild: „Klondike“, UKR/TUR 2022, Regie: Maryna Er Gorbach
Der Gedanke ist zwar nicht originell, stimmt aber trotzdem: Wenn sich
irgendetwas Positives an Putins Krieg gegen die Ukraine finden lässt, dann
ist es der geschärfte Blick aus dem Westen (und zum Teil auch
selbstvergewissernd aus der Ukraine selbst) auf ein Land und eine Kultur,
deren Bild in Deutschland auch dreißig Jahre nach dem Ende der UdSSR von
der sowjetischen Einverleibung dominiert wurde. Diese Sichtweise wurde von
russischen Narrativen und Praktiken massiv verstärkt.
Auch im Kino gab es diesen Kulturkampf. So wurden viele Kopien von Werken
der ukrainischen Filmgeschichte nach 1948 vom KGB aus den Studios in Kiew
und Odessa nach Moskau verbracht und müssen nun mit viel Aufwand einzeln
zurückgekauft werden.
Und filmhistorisch würden viele die große Regisseurin Kira Muratowa oder
den Stummfilmregisseur Oleksandr Dovshenko erstmal für russische
Filmschaffende halten. Dabei zog der 1894 geborene Sohn ukrainischer Bauern
erst 1933 auf Befehl Stalins nach Moskau und kämpfte zeit seines Lebens für
eine eigenständige ukrainische Kultur.
Teil einer dezidierten Ukraine-Trilogie war auch sein Spielfilm „Arsenal“
von 1929, der in kraftvollen expressionistischen Bildern ein komplexes und
widersprüchliches Bild des Aufstands um die gleichnamige Kyiver Fabrik
entwirft.
Jetzt eröffnete der Film in einer neuen elektronischen Vertonung im
Berliner Delphi Lux ein Programm der Deutschen Kinemathek, das sich unter
dem Titel „[1][Perspectives of Ukrainian Cinema]“ bis Ende des Monats mit
neun Filmen in Kinos in Berlin, Hamburg und Leipzig der Promotion aktuellen
ukrainischen Filmschaffens widmet.
Kuratiert haben es Victoria Leshchenko und Yuliia Kovalenko von der neu
gegründeten ukrainischen Initiative „sloїk film“. „Heute erlebt das
ukrainische Kino eine Renaissance, mit neuen Namen und einer bunten
Landkarte von Genres“, sagen die beiden in ihrer Einführung, „und dieses
Programm eröffnet einen Blick auf diese Landkarte.“ Dabei ist bei aller
Buntheit nicht zu übersehen, wie sehr die 2014 begonnenen Kriegshandlungen
die oft mehrfach ausgezeichneten Filme dominieren.
So etwa die in naher Zukunft spielende post-apokalyptische Kriegs-Dystopie
„Atlantis“ von Valentyn Vasyanovych (2019) oder der auf dem diesjährigen
Berlinale-Panorama mit dem Publikumspreis ausgezeichnete Spielfilm
„Klondike“ der Regisseurin Maryna Er Gorbach, der in unmittelbarer Nähe der
Absturzstelle der in der Ostukraine abgeschossenen Passagiermaschine des
Flugs MH 17 einen politischen Familienkonflikt durchspielt.
Im Donbass spielt auch Iryna Tsilyks starker, das Kino und das Leben
feiernder Dokumentarfilm „The Earth is Blue as an Orange“ über eine
alleinerziehende Mutter und ihre Töchter, die selber mit Leidenschaft Filme
drehen (2020).
Geradezu emblematisch scheint heute aber der nur zehnminütige, doch sehr
eindringliche Kurzfilm „Territory of Empty Windows“, in dem die junge
Regisseurin Zoya Laktionova eine zartfarbige und elegische Hommage an ihre
von Industrie und Meer geprägte Heimatstadt Mariupol komponiert. Darin hat
neben der Familie selbstverständlich auch das vor Kurzem so heftig
umkämpfte Asow-Stahlwerk (das früher auch einmal Krupp gehörte, wie wir in
Archivbildern sehen) einen Platz.
„Wohin sollen wir denn gehen?“, sagt eine Stimme aus dem Off am Ende,
„unsere Eltern sind hier begraben.“ Das wurde 2020 gedreht. Heute ist aus
der Elegie längst eine gewaltige Totenklage geworden. Und wir wissen, dass
auch die Wohnhäuser, die am Ende des Films in der Ferne durch ein im Wind
schwankendes Fenster zu sehen sind, wahrscheinlich nicht mehr stehen.
14 Jun 2022
## LINKS
[1] https://www.deutsche-kinemathek.de/de/ukrainian-cinema
## AUTOREN
Silvia Hallensleben
## TAGS
Filmrezension
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Ukraine
Filmkritik
Animation
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Kurzfilm
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Schwerpunkt Berlinale
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