# taz.de -- Ukrainische Band spielt in Berlin: Hohe schwarze Mützen | |
> Die Band Dakhabrakha bringt im Berliner Tempodrom Folkmusik mit | |
> tribalistischer Percussion zusammen. Sie treibt Spenden für humanitäre | |
> Hilfe ein. | |
Bild: Dakhabrakha bei einem Konzert in Kopenhagen im November 2022 | |
Ohne ihre weithin sichtbaren Kopfbedeckungen – hohe schwarzen Mützen – | |
treten sie nicht auf, die Künstlerinnen von Dakhabrakha. Im Berliner | |
Tempodrom tragen die Musikerinnen dazu bodenlange dunkle Röcke, weiße | |
Blusen und über der Brust ein Accessoire, das bei Nina Garenetska an einen | |
Brustpanzer erinnert, bei ihren Kolleginnen Olena Tsybulska und Iryna | |
Kovalenko einer schusssicheren Weste ähnelt. Hinter ihnen eine gelb | |
leuchtende Videoleinwand. Darauf eine Botschaft, die die ukrainische Band | |
ihrer Musik schon seit langem voranstellt: „Stop War! Stop Putin!“ | |
Seit über neun Monaten aber ist [1][Krieg in der Ukraine]. Die | |
international bekannte Band nutzt die Zeit, um durch Nord-, Mittelamerika | |
und Europa zu touren und auf diese Weise Geld für notwendiges Equipment in | |
der Heimat zu akquirieren. Dazu weisen die Künstler:Innen während des | |
Konzerts explizit auf Organisationen hin, die zum Beispiel mit | |
Spendengeldern Notstrom-Aggregate erwerben. | |
Marko Halanevych, einziger Mann des Quartetts, führt durch den Abend. Auch | |
immer mal wieder auf Ukrainisch, was die Exilgemeinde im gut gefüllten | |
Tempodrom am Montagabend mit lautstarker Begeisterung quittiert. | |
Der Auftaktsong [2][„Tataryn-Bratko“] beginnt mit Percussion und Gesang. | |
Seine Musik ist inspiriert von traditionellem ukrainischen Liedgut. Die | |
Frauen der Band schrauben ihre Stimmen in die Höhe, bleiben konstant auf | |
diesem musikalischen Hochplateau, lassen die Töne dort in einer schnellen | |
und gleichzeitig meditativen Wiederholung vibrieren – und gleichzeitig | |
trommeln sie auf Instrumenten, die wiederum in Westafrika eine lange | |
musikalische Tradition markieren. | |
Das geht nicht nur gut zusammen, im Zusammenspiel entsteht sogar mehr: | |
Durch das antreibende Trommeln wird dieser charakteristische Gesang, der | |
der Tradition nach meist a cappella gesungen oder vom Akkordeon begleitet | |
wird, mit einer eigenwilligen Energie aufgeladen. | |
Eben das ist zum Markenzeichen der 2003 gegründeten Band aus Kyjiw | |
geworden: Sie treten in einen produktiven Dialog zwischen dem musikalischen | |
Erbe der Ukraine und der Musik der sie umgebenden Welt. In dem Song | |
„Rembetiko“ erklingt wie von weit her Countrymusik, auch sie wird verwoben | |
mit traditionellem ukrainischen Folk. Marko Halanevych übernimmt die | |
englischen Gesangsparts, modelliert seine Stimme vom tiefen Bass in | |
beeindruckende Höhen, und erinnert darin stark an den britischen Pop der | |
1980er. | |
## Bezug auf Volkslieder | |
Wenn sich seine Kolleginnen mitten in „Rembetiko“ dazuschalten, gelingt ein | |
nahtloser Übergang in ukrainischen Gesang und eine entsprechende Tonfolge. | |
Das Cello, von Nina Garenetska gezupft und gestrichen, atmet nicht selten | |
den Geist von melancholischem Soul und gibt oft die Grundstimmung vor. | |
Halanevych klinkt sich dann auf dem Akkordeon ein, Olena Tsybulska mit dem | |
Schlagzeug und Iryna Kovalenko auf dem Keyboard. | |
Bei „Rozhestov“, das den sieben Millionen UkrainerInnen gewidmet ist, die | |
wegen des russischen Angriffskrieges ihre Heimat verlassen mussten, ist auf | |
der Videoleinwand das Bild eines Hauses zu sehen, das Wurzeln hat, die bis | |
tief in die Erde reichen und wie die Mauern eines Bunkers eine Familie | |
schützen, während Kampfjets auf das Haus niederstürzen. Luftaufnahmen der | |
zerstörten Stadt Mariupol flankieren die Musik, in der an die Toten des | |
Krieges erinnert wird. | |
Mittendrin im Set hält die ganze Band plötzlich inne, Fotos von | |
Künstlerkollegen sind nun zu sehen, die an die Front gegangen sind, um das | |
Land zu verteidigen. Es ist eine fein austarierte Konzert-Dramaturgie, in | |
der die visuellen Elemente der Leinwand präzise auf die Livemusik | |
abgestimmt sind, in der die Songs mit ihrer konkreten politischen Botschaft | |
aufeinander aufbauen und in der sich einem die drei Videobanner, die klug | |
zwischen die Lieder gestreut werden, ins Hirn brennen: „Russia is a | |
terrorist state. Arm Ukraine. Stand with Ukraine.“ | |
Dakhabrakha ist die ältere Schwester der 2012 gegründeten [3][Kyjiwer | |
Frauenband Dakh Daughters]. Beide Ensembles haben sich am Kiewer Dakh | |
Theater gegründet, der Talentschmiede von Vladyslav Troitskyi. [4][Beide | |
Bands beziehen sich seit ihrer Gründung bewusst auf das Volksliedgut ihrer | |
Heimat]. Wenn man Nina Garenetska, Olena Tsybulska und Iryna Kovalenko | |
zuhört und dabei von der Kraft erfasst wird, die ihr Gesang erzeugt, | |
versteht man plötzlich die elementare Bedeutung von Volksmusik in | |
unterdrückten Gesellschaften wie der ukrainischen während der letzten | |
Jahrhunderte. | |
Hohe schwarze Mützen, wie sie die Dakhabrakha-Künstlerinnen tragen, waren | |
vor fünfhundert Jahren beim niederen Adel auf dem Gebiet der heutigen | |
Ukraine en vogue. Heute verleihen sie den Musikerinnen eine aus der Zeit | |
gefallene Würde, die mit der aktuellen Mode nicht annähernd zu erreichen | |
ist. Die drei fahren mit diesen Mützen auch Fahrrad – zumindest auf den | |
T-Shirts, deren gesamter Verkaufserlös in die Ukraine geht. | |
7 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150 | |
[2] https://youtu.be/Y1JeyvoK7No | |
[3] /Dakh-Daughters-Band-aus-der-Ukraine/!5848094 | |
[4] /Soli-Konzert-in-Hamburg/!5849411 | |
## AUTOREN | |
Katja Kollmann | |
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